Als das EU-Parlament im Frühjahr über das europäische Lieferkettengesetz abstimmen wollte, zog die Wirtschaftslobby noch einmal alle Register. Die geplanten Regelungen, mit denen gegen Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten vorgegangen werden soll, seien zu bürokratisch, zu teuer und rechtlich zu riskant für die Unternehmen, hieß es. Gerade kleine und mittlere Unternehmen würden überfordert. Auch die FDP stimmte in den Chor ein.
Das EU-Gesetz soll große Unternehmen in die Pflicht nehmen, bei ihren Zulieferern auf der Einhaltung arbeitsrechtlicher und ökologischer Mindeststandards zu bestehen, also etwa Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Umweltschutzverstöße zu verhindern. Trotz der Lobbyproteste wurde die Richtlinie Ende Mai endgültig beschlossen, in abgeschwächter Form allerdings. In den nächsten zwei Jahren muss sie von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Aber ist etwas dran an der Kritik der Wirtschaftsverbände? In Deutschland gibt es bereits ein nationales Lieferkettengesetz, dessen Reichweite sogar noch größer ist als die der EU-Richtlinie. Seit Anfang 2023 gilt es für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, am 1. Januar dieses Jahres sank die Grenze auf 1.000.
Kläranlage gegen Fischsterben
Smurfit Kappa Deutschland gehört zu den wenigen Unternehmen der Verpackungsindustrie, die von Anfang an unter das Gesetz fielen. Der Wellpappenspezialist hat die Erwartungen, die er an sich selbst und an seine Lieferanten stellt, in einer zweiseitigen Grundsatzerklärung festgehalten. Alle Zulieferer müssen bestätigen, dass sie Smurfit Kappas »Standards in Bezug auf Ethik, Umwelt, Klima und Menschenrechte« einhalten. Es gibt einen externen Menschenrechtsbeauftragten und eine Onlineplattform, über die mögliche Verstöße gemeldet werden können, auch anonym.
Ein solches Hinweissystem war bereits zuvor zum Schutz von Hinweisgeber*innen (Whistleblowern) gesetzlich vorgeschrieben. Bei Smurfit Kappa Deutschland gehen mittlerweile sechs bis acht Meldungen pro Jahr ein, berichtet Gesamtbetriebsratsvorsitzender Uwe Knorr. Nicht alle erweisen sich als zutreffend. »Aber der eine oder andere Fall ist schon glaubhaft.« Zum Beispiel, als bei einer Fabrik im Harz ein Fischsterben gemeldet wurde. »Das ist ernst genommen worden; es gibt da jetzt eine neue Kläranlage.«
Die durch das Lieferkettengesetz verursachten Kosten werden bei Smurfit Kappa Deutschland mit 50.000 Euro im Jahr beziffert. »Das ist eher Portokasse«, sagt Knorr. Auch für die Einhaltung der europäischen Lieferkettenrichtlinie werden Unternehmen nach Schätzungen der EU-Kommission nur sehr überschaubare 0,009 Prozent ihres Umsatzes aufbringen müssen.
Lieferanten werden inspiziert
Der Faltschachtelproduzent Edelmann wird seit diesem Jahr vom Lieferkettengesetz erfasst. Die Umsetzung stellt den Konzern jedoch vor keine großen Probleme. »Edelmann hat die Zahl seiner Zulieferer bereits Schritt für Schritt minimiert«, sagt Konzernbetriebsratsvorsitzender Frank Lehmann. »Wir haben wirklich nur noch große Lieferanten.« Schon im vergangenen Jahr sei zudem eigens ein Menschenrechtsbeauftragter eingestellt worden.
Skeptischer äußert sich Michael Koch, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei DS Smith. Der Verpackungshersteller muss das Lieferkettengesetz wie Smurfit Kappa bereits seit anderthalb Jahren einhalten – und tut das, wie Koch beklagt, »überdurchschnittlich formell«. Selbst kleinsten Zulieferbetrieben werde ein umfassender Fragebogen vorgelegt, mit Fragen, die diese Firmen zum Teil weder beantworten könnten noch wollten. »Da wurde nicht einmal beim Blumenladen eine Ausnahme gemacht.« Wenn der Laden etwa Blumenarrangements für die Betriebsjubiläen liefert.
Fair und angemessen
Die Kritik verweist auf eine tatsächliche Schwäche der deutschen Regelungen: Große Unternehmen können sich aus der Verantwortung winden, indem sie sie weiterreichen an kleine und mittlere Unternehmen, die vom Gesetz eigentlich gar nicht erfasst sind. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie könnte diese Lücke indes geschlossen werden: Hier ist vorgesehen, dass die Vereinbarungen mit Zulieferern »fair, angemessen und diskriminierungsfrei« sind – und dass große Unternehmen ihre kleineren Geschäftspartner gegebenenfalls auch finanziell beim Sauberhalten der Lieferkette unterstützen müssen. Andernfalls drohen Bußgelder.