Rottau ist einer von zweien in der Weiterverarbeitung, die die Schneidemaschinen bedienen können. Die Leistungsfähigkeit ist unterschiedlich. Für manch einen ist eine Stunde Arbeit am Tag das Maximum. Andere haben in einer externen IHK-Prüfung ihre Ausbildung zum Medientechnologen Druck und zur Mediengestalterin geschafft. Eines haben sie mit allen bundesweit 320.000 Werkstattbeschäftigten gemeinsam: Der Monatslohn liegt im Durchschnitt bei 226 Euro. Macht bei einer 36-Stunden-Woche 1,42 Euro pro Stunde. Der Grundlohn ist für alle gleich; zusätzlich gibt es einen leistungsabhängigen Betrag.
Für Werkstattbeschäftigte ist vieles anders: Statt eines Betriebsrats gibt es einen Werkstattrat; sie gelten nicht als Arbeit- nehmer*innen, sondern nur arbeitnehmerähnlich; sie können nicht abgemahnt oder gekündigt werden, dürfen nicht streiken und – anders als in der Welt draußen – haben sie ein Recht auf Arbeit. Aber kein Recht auf Mindestlohn. Was Verbände, kirchliche Organisationen, Parteien und Betroffene heftig kritisieren. Entwürdigend. Unfair. Demotivierend sei ein solch niedriger Lohn, der die Menschen neben der Erwerbsminderungsrente abhängig macht von Sozialleistungen – wie Grundsicherung oder Wohngeld, Rentenzuschüssen und Arbeitsförderungsgeld.
»Die Abhängigkeit von Sozialleistungen ist keine gute Lebensgrundlage«, schreibt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen auf Anfrage. Allerdings erwirtschaften Werkstätten keine höheren Erträge. Mindestens 70 Prozent würden, wie in der Werkstattverordnung festgelegt, an die Beschäftigten ausgeschüttet.
Möglicherweise wird sich bald etwas ändern. Denn die vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass das jetzige Entgeltsystem gegen das Recht auf Gleichbehandlung in der UN-Behindertenrechtskonvention, das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz und das Mindestlohngesetz verstößt. Zurzeit werden verschiedene Modelle diskutiert; auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten hat Vorschläge gemacht. Letztlich wird sich die Gesellschaft entscheiden müssen, wie viel es ihr wert ist, dass Menschen mit Behinderung ein selbstständiges Leben führen können.
Rein in den Job
Aufgabe von Werkstätten ist es nicht nur, Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, sondern die Menschen beim Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Das gelingt allerdings nur zu 0,35 Prozent.
Bei der Stiftung Mensch in Dithmarschen, einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, gelingt es besser. Dort werden Unternehmen und Menschen zusammengebracht. Die Bilanz: 70 von ihnen schafften in den vergangenen zwölf Jahren den Sprung aus der Werkstatt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Dafür brauche es Geduld, aufgeschlossene Unternehmen und ein gutes Team, sagt Markus Reichhart, Teamleiter der Jobcoaches in der Stiftung Mensch. Besondere Unterstützung erhält die Stiftung von der Sozialen Allianz, zu der etwa 30 Betriebe aus der Region gehören, die sich sozial engagieren und immer ansprechbar sind.
Los geht es mit Praktika, dann folgt je nach Neigung und Eignung der Einsatz auf einem sogenannten ausgelagerten Arbeitsplatz. In diesen ein bis zwei Jahren arbeitet jemand im Betrieb, ist aber noch bei der Werkstatt beschäftigt und wird vom Jobcoach begleitet. »Das kann einen gehörigen Schub an Selbstständigkeit mit sich bringen. Einer hat den Traktorführerschein gemacht, ein anderer bei der Krankenkasse einen Rollstuhl mit Antrieb durchgesetzt, um unabhängiger zu sein.« Der nächste Schritt kann in die Festanstellung führen. Zum Beispiel bei der Druckerei Eversfrank in Meldorf, einem Gründungsmitglied der Sozialen Allianz. Zwei Beschäftigte aus der Stiftung Mensch arbeiten seit sechs Jahren als Produktionshelfer in der Weiterverarbeitung. Beide machten ihre Arbeit gut, heißt es in der Firma. Einer von ihnen ist Kevin. Er freut sich darüber, dass er jetzt mehr verdient und nette Kollegen um sich hat.