Arbeit

»Selbst die Skeptischen waren hinterher zufrieden«

Häufig Transfergesellschaften in der Druckindustrie | Ziel: ein neuer Job, ein anderer Beruf und wieder Selbstwertgefühl

Müsste man einen typischen Transfer-Beschäftigten beschreiben, würde das Profil auf Marius Bürger (Name geändert) passen. Der Zeitungsdrucker ist Mitte 50, hat 36 Jahre in seinem Beruf gearbeitet, hauptsächlich Schicht. Nun ist er wegen Schließung des Betriebs seinen Job los. So einer hat es schwer auf dem Arbeitsmarkt. »Wer dann noch zehn Jahre bis zur Rente vor sich hat, braucht Unterstützung«, sagt Margrit Herrmann, Geschäftsführerin von Personaltransfer West in Bielefeld. Das Gerede vom Fachkräftemangel nervt sie. Es schwinge immer mit, dass jemand nur wollen müsse, um sofort einen Job zu kriegen. »Aber ein Drucker aus Bielefeld kann eben nicht den fehlenden Schweißer in Bayern ersetzen.«

Margrit Herrmann, im Vorstand des Bundesverbandes der Träger im Beschäftigtentransfer, kennt sich mit den beiden Problembranchen in der Region aus: Druck- und Textilindustrie.

Viele ehemalige Beschäftigte aus der Bielefelder Gegend wurden bei Personaltransfer West gecoacht und in Qualifizierungen gebracht. So wurden einer ehemaligen Einlegerin aus dem Versand Praktika in ihrem ursprünglichen Beruf als Floristin vermittelt, eine Industriekauffrau bekam eine Schulung in Buchhaltung, ein technischer Einkäufer polierte sein Wirtschaftsenglisch auf.

Dabei sind Transfergesellschaften eine Rarität auf dem Arbeitsmarkt. Im September 2023 (so die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit) bezogen knapp 5.800 Menschen Transferkurzarbeitergeld. Nicht viel. Üblich ist es, dass Transfergesellschaften pro Jahr 15.000 bis 20.000 Personen aufnehmen. Das entspricht einem bis zwei Prozent aller Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz durch Stellenabbau oder Betriebsschließungen verlieren. Viel zu wenige, findet Professor Gernot Mühge (siehe Interview).

Arbeitsforscher Jens Stegmaier vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat sich auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit angeschaut, inwiefern Beschäftigte im Alter zwischen 16 und 65 Jahren Vorteile durch eine Transfergesellschaft hatten. Er fand heraus, dass Transferteilnehmer*innen auch nach fünf Jahren nicht mehr Einkommen hatten als solche Personen, die durch Betriebsschließung ähnlich von Arbeitslosigkeit bedroht waren, aber in kein Transferprojekt einsteigen konnten. Etwas besser fällt der Vergleich bei der Beschäftigung aus. 75 Prozent der Transferteilnehmer*innen waren im fünften Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt, fünf Prozentpunkte mehr als die Personen ohne Transfergesellschaft.

Für Dustin Hertel hatte die Transfergesellschaft nicht nur die Funktion, die Kolleg*innen wieder in Arbeit zu vermitteln. »Manche waren über 30 Jahre in der Druckerei. Es gab bei uns viele Ungelernte, die sich neu orientieren mussten.« Die Transfergesellschaft sollte ihnen möglichst viele Perspektiven schaffen und »das Selbstwertgefühl wieder aufrichten.«

Dustin Hertel war Betriebsratsvorsitzender der Funke-Zeitungsdruckerei in Erfurt, die Ende 2021 geschlossen wurde. 280 Beschäftigte hat es getroffen. Nur die rund 100 aus der Druckerei durften in die Transfergesellschaft wechseln. Die Beschäftigten der Weiterverarbeitung, eine eigene Firma, sollten sich in den Logistikunternehmen der Umgebung bewerben. Ohne Risiko für Arbeitslosigkeit auch keine Transfergesellschaft.

Etliche Drucker machten sich selbst auf die Suche nach neuer Arbeit, schulten zum Lokführer oder Mechatroniker um, heuerten in einer kleinen Druckerei an oder in einer Fabrik als Maschinenbediener. Letztlich wechselten nur 16 Kolleg*innen in die Transfergesellschaft; bis auf wenige blieben sie die kompletten zwölf Monate bis Ende 2022.

Hertel, 37, ist heute Transfer-Profi. Weil die Schließung mehr als 15 Monate zuvor angekündigt wurde, blieb ihm Zeit zur Vorbereitung. Er hat sich informiert, ehemalige Betriebsratskollegen anderer Druckereien kontaktiert, die schon Schließungen hinter sich hatten. Zudem beriet er sich mit ver.di, sichtete die Unterlagen der zwölf Unternehmen, die sich für Transfergesellschaften anboten. Vier wurden eingeladen, den Zuschlag bekam eine Transfergesellschaft, die bereits die Belegschaft der Madsack-Zeitungsdruckerei in Leipzig beraten hatte und um die besonderen Schwierigkeiten von älteren Beschäftigten aus der Druckindustrie wusste.

Das habe alles gut gepasst, findet Dustin Hertel. »Selbst die Skeptischen waren hinterher zufrieden.« Nur eins hatte die alte Funke-Belegschaft dann doch geschockt: wie wenig woanders bezahlt wird.

Das alles steht den 106 Kolleg*innen der Springer-Druckerei in Ahrensburg noch bevor. Die Schließung steht fest: Am 31. Juli 2024 wird die letzte Zeitung gedruckt. Die Transfergesellschaft ist beauftragt, fast alle Beschäftigten haben ihre erste Beratung hinter sich, im August kann es losgehen. »Die Stimmung ist nicht schlecht«, sagt Betriebsratsvorsitzender Gunter Knaak. Die Kolleg*innen seien zuversichtlich, was Neues zu finden. Denn kaum war die geplante Schließung öffentlich, meldete sich eine große Firma aus der Flugzeugbranche, die Produktionskräfte sucht. Die Zuversicht könnte auch mit dem Budget bei Axel Springer zusammenhängen. Im Outplacement sind für jeden Beschäftigten 7.900 Euro für das Bildungsbudget in der Transfergesellschaft wie Beratung, Bewerbungstraining und Qualifizierung vorgesehen, außerdem externe Weiterbildung.

Zeitungsdrucker Marius Bürger hat die Zeit in der Transfergesellschaft genutzt, um sich neu zu orientieren. In der Druckindustrie wollte er nicht bleiben. Stattdessen lässt er sich zum Pflegefachmann ausbilden. Jetzt ist er kurz vor der Zwischenprüfung. Für ihn habe sich alles zum Guten gewendet: »Ich habe sehr gute Zukunftsaussichten, bin finanziell recht unabhängig und der Beruf macht super viel Spaß.«