Ein Segen für den Drucker
Eine Kritik an Transfergesellschaften lautet, die Menschen würden dort nur geparkt statt qualifiziert. Solche Einwände hält Professor Gernot Mühge für falsch. Der Sozialwissenschaftler forscht seit vielen Jahren zu Transferprojekten. Sein Fazit: Es müsste mehr Transfergesellschaften geben. Doch er sieht auch Schwächen.
DRUCK+PAPIER: Auf Vermittlungsquoten sollte man nicht so viel geben, sagen Sie. Warum?
Gernot Mühge: Ob es gelingt, die Beschäftigten wieder in Arbeit zu bringen, ist von vielen Faktoren abhängig: von der Altersstruktur, davon, ob die Qualifikation gerade am Arbeitsmarkt gefragt ist oder wie es wirtschaftlich in der Region aussieht. Um die 27-jährige Informatikerin werden sich die Unternehmen reißen. Anders sieht es bei einem Drucker um die 60 Jahre mit langer Betriebszugehörigkeit aus. Gerade für ihn wäre die Transfergesellschaft ein Segen.
Woran messen Sie das?
Wir haben Teilnehmende nach ihrer Einschätzung zur Qualität der Transferberatung befragt. Über alle Branchen, Betriebsgrößen und Träger hinweg war die Zufriedenheit durchgehend groß. In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, dass 66 bis 80 Prozent der Teilnehmenden die Beratung als hervorragend bewerten. Diese Bewertung erfolgt unabhängig davon, ob sie eine Arbeit gefunden haben oder in Arbeitslosigkeit übergegangen sind.
Wie ist das zu erklären?
Professor Gernot Mühge
Sein Schwerpunkt im Fachbereich Sozialwissenschaften an der Hochschule Darmstadt sind Arbeitsbeziehungen und Diversität. Foto: privat
Wenn Menschen lange in einem Betrieb gearbeitet haben und dieser geschlossen wird, erleben viele den Stellenverlust als tiefe Kränkung. In Verbindung damit verstärken sich vielleicht gesundheitliche Probleme, es kriselt zu Hause, vielleicht müssen Schulden abbezahlt werden. Dann ist eine gute, auch lebensweltliche, Beratung wichtig, um aus dem tiefen Loch zu kommen. Transferberater*innen können dabei unterstützen, neben ihrem Kerngeschäft, neue berufliche Perspektiven zu eröffnen, Praktika und Probearbeit anzubieten. Sie organisieren Qualifizierungen oder können An- und Ungelernte motivieren, zum Beispiel durch Teilqualifizierung und Externenprüfung einen Berufsabschluss nachzuholen.
Wo sind die Schwächen?
Die Rahmenbedingungen für Qualifizierungen sind nicht optimal. Das gilt für die Zulassung von Maßnahmen, für deren Finanzierung, aber auch in Bezug auf die Laufzeit der Transfergesellschaft. Eine große Schwäche der Beschäftigtentransfers aber ist, dass nur einem bis zwei Prozent aller Beschäftigten, die unfreiwillig ihren Job durch Schließung, Insolvenz oder Restrukturierung verlieren, eine Transfergesellschaft angeboten wird. In Schweden haben dagegen nahezu alle Beschäftigten einer Branche Zugangsrecht zu einer hochwertigen Transferberatung. Sie wird dort über einen aus Umlagen der Betriebe gespeisten Transferfonds finanziert, abgesichert in einem Tarifvertrag. In Deutschland dagegen wird bei jeder Schließung neu um einen Transfersozialplan gerungen, der je nach Durchsetzungskraft der Belegschaft, des Betriebsrats und der Gewerkschaft und der finanziellen Ressourcen des Unternehmens üppig oder schmal ausfällt. Oftmals wird mehr Wert auf hohe Abfindung statt auf eine gut ausgestattete Transfergesellschaft gelegt. Hier wären Standards über eine gute Ausstattung von Transfergesellschaften hilfreich, mit denen Gewerkschaften Betriebsräten Orientierung bieten könnten.