Tarifverzicht rechnet sich
Aber nur für den Chef | Was die Belegschaft einer Druckerei von Tarifverträgen hätte

Wenn sich sein Chef an die Tarifverträge der Druckindustrie halten würde, könnte Manfred Fink jeden Tag eine Stunde früher nach Hause gehen – und hätte trotzdem am Ende mehr Geld in der Tasche. Fink arbeitet bei Holzer Druck und Medien in Weiler, einem Dorf im Allgäu. Die Druckerei mit rund 100 Beschäftigten war früher berühmt für ihre Faksimiles, heute produziert sie im Akzidenzdruck »ungefähr alles«, sagt er.
Fink amtiert auch als Betriebsratsvorsitzender. Doch was genau seine Kolleg*innen verdienen, kann er nicht sagen: Seit sich Holzer vor 20 Jahren aus der Tarifbindung verabschiedete, herrscht Intransparenz. Statt nachvollziehbarer Lohntabellen gibt es nur noch Einzelverträge mit unterschiedlichen Konditionen. »Der Geschäftsführer sagt immer: Er bezahlt nach Bereitschaft und Leistung.« Eines aber weiß der Betriebsratsvorsitzende sicher: »Vom Tariflohn sind wir alle weit entfernt.« In der Lohngruppe VII zum Beispiel mache die Differenz drei bis vier Euro pro Stunde aus. Das ist rund ein Siebtel weniger.
Mindestens genauso schwer wie der Ausstieg aus dem Lohntarifvertrag wiegt der Abschied vom Manteltarif. Der Vertrag, der nach Verhandlungen zwischen dem Unternehmerverband und ver.di gerade wieder neu in Kraft getreten ist (siehe hier), regelt Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit, Zuschläge oder Sonderzahlungen. Die tarifliche Wochenarbeitszeit in Westdeutschland liegt nach wie vor bei 35 Stunden. Bei Holzer sind es fünf Stunden mehr.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden im neuen Manteltarif zu einer Jahresleistung zusammengelegt, die unverändert 164 Prozent eines Monatslohns beträgt. Bis 2027 sinkt das zwar auf 154 Prozent, mehr als anderthalb Monatslöhne bleiben es aber weiterhin.
Und bei Holzer? Dort sind Sonderzahlungen seit 2013 vom Betriebsergebnis abhängig. Die Folge: »Bis auf Corona-Bonuszahlungen gab es nie was.« Zuschläge für Überstunden – laut Tarif zwischen 25 und 70 Prozent, je nach Schicht – zahle Holzer nur samstags. Hat der Betriebsratsvorsitzende jemals ausgerechnet, wie viel Geld er durch die Tariflosigkeit des Unternehmens verliert? Nein, sagt er, lieber nicht. »Sonst bekäme ich wahrscheinlich Tränen in die Augen.«
Was getan werden kann, um wieder für mehr Tarifbindung zu sorgen:

Mehr arbeiten für weniger Geld
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