Verlage

Die allerersten Streiks

Proteste, Unterschriftenaktionen, Arbeitsniederlegung | Viele Eintritte in die Gewerkschaft | Beschäftigte beim Schulbuchverlag Westermann fordern einen Haus-Tarifvertrag

Tarifverträge sind im Braunschweiger Westermann-Konzern die Ausnahme. Und Gewerkschaftsmitgliedschaften auch. Doch in jüngster Zeit strömen Beschäftigte des Schulbuchverlages geradezu in ver.di. Damit nicht genug. Dass es am 5. Dezember vergangenen Jahres den ersten Warnstreik im sogenannten Bildungshaus der Schulbuchverlage gab, war das Ergebnis eines ver.di-Organizing-Projekts. Das hieß: langfristig planen, systematisch vorgehen, nach und nach Mitglieder gewinnen.

Mitglieder anders werben

ver.di-Sekretär Orhan Sat erzählt, wie das gelungen ist: »Am Beginn stand eine Mitgliederanalyse und trotz anfangs schlechtem Organisationsgrad der Aufbau einer Betriebsgruppe.« Klar war jedoch, dass ver.di erst mit Aktionen starten kann, wenn mehr als 50 Prozent Mitglieder sind. Das Ziel hieß deshalb: 50+X. Um das zu erreichen, gab es ein sogenanntes Treuhandmodell: Wen die ver.di-Aktiven überzeugt hatten, der hinterlegte seinen Aufnahmeantrag. Die Mitgliedschaft begann erst, als das Ziel 50+X erreicht war. Im Herbst vergangenen Jahres war es dann so weit.

Arbeit wird gering geschätzt

Eine Redakteurin erzählt, warum sie in die Gewerkschaft eingetreten ist. Sie ärgert sich vor allem über die Geringschätzung ihrer Arbeit und der ihrer Kolleg*innen: »Als sogenannte Leistungsträger gelten für den Verlag nur Beschäftigte mit vielen Überstunden und vielen produzierten Buchseiten.« Die Frau, ver.di-Mitglied seit wenigen Monaten, will jetzt als Mitglied der Tarifkommission gewerkschaftlich mitentscheiden und Arbeitsbedingungen per Tarifvertrag absichern. »Bisher verließen gerade jüngere Kolleg*innen schnell wieder den Verlag. Denn woanders bekommen sie dank Tarifverträgen deutlich mehr als bei uns.« Die Frau möchte ihren Namen nicht nennen – nicht verwunderlich in einem Konzern, in dem sich auch Betriebsratsmitglieder gerichtlich gegen Abmahnungen wehren müssen. Seit 2003 gibt es beim Westermann Schulbuchverlag keinen Tarifvertrag mehr und keine regelmäßigen Gehaltserhöhungen, aber 40-Stunden-Wochen für Neueingestellte.

Ein langjähriges ver.di-Mitglied freut sich, dass so viele Beschäftigte in die Gewerkschaft eintreten: »Ich hätte es kaum für möglich gehalten.« Auf einmal gibt es Aktionen vor dem Betrieb, zuletzt eine Unterschriftenaktion, bei der zwei Drittel der Belegschaft mitmachten. Dann der erste Warnstreik mit mehr als 100 Beteiligten. Noch hat der Verlag nicht auf die Aufforderung von ver.di zu Tarifverhandlungen reagiert. Ende Januar legte die Belegschaft nach: Rund 150 Beschäftigte streikten erneut. Mit Transparenten zogen sie durch die Innenstadt von Braunschweig.

Karikatur: Thomas Plaßmann

Schulbuchverlage in Deutschland

Drei Konzerne teilen sich 90 Prozent des Schulbuchmarkts auf:

• die Cornelsen-Gruppe, Berlin, tarifgebunden, über 1.000 Beschäftigte, Umsatz: über 250 Millionen Euro;

• der Klett-Verlag, Stuttgart, tarifgebunden, über 6.500 Beschäftigte, Umsatz: 750 Millionen Euro;

• die Westermann-Gruppe, Braunschweig, 210 Festangestellte (davon zwei Drittel Redakteur*innen), Umsatz: 300 Millionen Euro.

Alles gehört der Medien Union

Die Westermann-Gruppe ist ein Verlagshaus für Schulbücher, Bildungsmedien und Kinder- und Jugendliteratur. Dazu gehören Verlage wie etwa Arena, Diesterweg, Schroedel und Schöningh. Zur Gruppe zählen ein Verlagsservice sowie drei Druckereien in Braunschweig, Zwickau und Landau. Mitte Januar gab Westermann die Schließung der Druckerei in Landau bekannt. 130 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit.

Das ehemalige Familienunternehmen Westermann ging 1986 an die Medien Union aus Ludwigshafen. Die Medien Union besitzt Zeitungen (Freie Presse in Chemnitz, die Rheinpfalz in Ludwigshafen) und hält 44 Prozent an der Südwestdeutschen Medienholding (DRUCK+PAPIER 5/2019), mit der Stuttgarter Zeitung, den Stuttgarter Nachrichten und der Süddeutschen Zeitung.

Hauptgesellschafter der Medien Union mit einem geschätzten Vermögen von etwa einer Milliarde Euro ist der öffentlichkeitsscheue Dieter Schaub, in Medien als »mysteriöser Medienmogul« bezeichnet, der über Luxusyacht und Luxusdomizil verfüge.