Die unbekannte Krake
Südwestdeutsche Medienholding: scheut die Öffentlichkeit, kauft Zeitungen und entlässt Beschäftigte, streicht Stellen und bastelt an Einheitszeitungen
Das Schaubild an der Wand in Siegfried Heims Büro macht einen schwindlig. Überall Kästchen, die jeweils für ein Unternehmen stehen. 150 Fachzeitschriften, 16 Tageszeitungen, 16 Anzeigenblätter, Fernseh- und Radiosender, Briefdienste. »Ich nenne es Zerlegungsorgie«, sagt der Landesfachbereichsleiter Medien bei ver.di. So kann man die Betriebsräte klein oder gleich ganz draußen halten und sich noch leichter aus dem Tarif stehlen. Heim spricht von der Südwestdeutschen Medienholding, kurz SWMH, einem der größten Zeitungskonzerne in Deutschland.
Das Kürzel kennen die wenigsten, dafür die Namen der Blätter, die den Süden der Republik zupflastern. Im Westen fängt es mit der Rheinpfalz an, geht über die fusionierte Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung bis zur Südthüringer Zeitung im Osten.
Unterm Deckel
Die SWMH, das unbekannte Wesen. Das hängt auch damit zusammen, dass der Laden fast wie ein Geheimdienst funktioniert. So wenig wie möglich Öffentlichkeitsarbeit, möglichst keine Interviews und darauf vertrauen, dass die großen und kleinen Quälereien im Meer der Nachrichten untergehen. Außerdem legt man sich mit der Krake ungern an.
Wenn beim Nordbayerischen Kurier gestreikt wird oder beim Schwarzwälder Boten, dann bleibt das unterm Deckel von Bayreuth und Oberndorf. Wenn die Eßlinger Zeitung oder die Böblinger Kreiszeitung gekauft wird, ist das vielleicht eine dpa-Meldung wert. Gefährlich wird es erst, wenn es bei der Süddeutschen Zeitung rumort. Auf das Flaggschiff schaut die ganze Republik; deshalb hält sich das Management dort mit dem Brecheisen (noch) zurück.
Beides gehört zum Geschäftsprinzip: das Kaufen und das Quälen. Kaum gehört die Neuerwerbung zum Konzern, kaum hat man hoch und heilig versichert, ihre Unabhängigkeit zu wahren, wird geholzt. In den Redaktionen, im Verlag und – wenn vorhanden – in der Druckerei. Synergien heben, Effizienz steigern, Doppelstrukturen abbauen, so lauten dann die Ansagen, die nichts anderes bedeuten, als die Kolleginnen und Kollegen rauszuschmeißen. Das sei aus Unternehmersicht »die logische Konsequenz schrumpfender Märkte«, verbunden mit der Unfähigkeit oder dem Unwillen, sich um die betroffenen Menschen zu kümmern, sagt ver.di-Sekretär Uwe Kreft.
Und dieser Prozess beschleunigt sich. ver.di hat nachgezählt, dass allein in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres 430 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben. Verantwortlich dafür ist Christian Wegner, 45, der neue SWMH-Geschäftsführer, der im Juli 2018 von dem Kommerzsender ProSiebenSat 1 gekommen ist. Er war dort fürs Digitale zuständig, rechnet sich als Großtat den Kauf des Datingportals »Parship« an. Zu seinem Antritt sagte er, stolz darauf zu sein, jetzt ein Unternehmen führen zu dürfen, das einen »Purpose« habe. Einen Sinn also.
In den »Townhall-Meetings«, die früher Betriebsversammlung hießen, wurde Wegner deutlicher. Man müsse »massiv Kosten sparen«. In einem nächsten Schritt sollten etwa 150 Stellen gestrichen, aber auch 100 Millionen Euro investiert werden. Nicht etwa in Qualitätsjournalismus, wie das die Gewerkschaften forderten, sondern in Onlineportale im Bereich Bildung und Gesundheit. Nur Erotikplattformen sollten außen vor bleiben, das könnte manchen schwäbischen Verleger doch zu sehr verschrecken. Die Herren über viele kleine Zeitungen im Ländle halten immerhin 44,5 Prozent an der SWMH.
Gespart werden soll auch im Druckbereich. Im Zuge der Auflagen- und Anzeigeneinbrüche haben die Verlage Rotationen stillgelegt und Personal in großem Umfang auf die Straße gesetzt. ver.di-Mann Siegfried Heim hat Vergleichszahlen parat: Im Jahr 2000 waren in der Druckindustrie 200.000 Menschen beschäftigt, 2019 sind es noch 135.000. Keine andere Branche habe, prozentual gesehen, einen solchen Niedergang erlebt. Das heiße auch, sagt Heim, dass das Drucken für die Zeitungsverlage kein Kerngeschäft mehr ist. Bei der SWMH sind es noch 155 Millionen bei fast einer Milliarde Euro Umsatz. Für die Zeit nach 2020 fürchtet er, dass die SWMH weitere Druckereien schließen könnte.
Immer auf Kosten der Belegschaft
Wie der Konzern im Einzelnen vorgeht, lässt sich am Beispiel der Eßlinger Zeitung erzählen. Ein 150 Jahre altes Traditionsblatt, das 2017 von der SWMH gekauft wurde – unter wortreicher Beteuerung der Verlegerin Christine Bechtle-Kobarg, immer für die Belegschaft da zu sein. Kaum hatte sie Kasse gemacht, wurde im Rahmen einer »Portfolio-Bereinigung« die Bechtle Druck & Service sowie die Akzidenz dichtgemacht, die 60 Menschen Arbeit gegeben haben. Sollte jetzt noch der Bild-Auftrag wegfallen, den der alte Otto W. Bechtle einst mit Axel Springer gefeiert hat, dann ist auch hier bald Schluss mit dem Druck – und einem unabhängigen Journalismus. Die Mantelredaktion ist schon überflüssig geworden, den überregionalen Teil stellen die Stuttgarter Nachrichten.
Die Eßlinger Zeitung ist damit nicht alleine. Im Stuttgarter Hauptquartier der SWMH wird bereits an einem Mantel gebastelt, der allen 16 Konzernblättern, die Süddeutsche Zeitung ausgenommen, umgehängt werden soll. Wie das aussehen kann, hat sich bereits im Mai vergangenen Jahres abgezeichnet. Da erschienen die Stuttgarter Nachrichten, die Nürtinger Zeitung, die Schorndorfer Nachrichten und so weiter mit derselben Schlagzeile: »Und ewig lockt die Currywurst.«
Zuletzt, am 6. November 2019, sahen die Zeitungen wieder alle gleich aus. Die südwestdeutschen Verleger hatten eine »Haltungskampagne« ausgerufen, in der ihre Chefredakteure versicherten: »Die beste Zeit für guten Journalismus ist jetzt«. Es ging um Fake News und die gefährdete Demokratie, die nur mit ihrem Qualitätsjournalismus zu retten sei. Das kritische Onlinemagazin Kontext titelte daraufhin: »Die beste Zeit für eine Currywurst ist jetzt.« Eine Gegendarstellung ist bisher ausgeblieben.
Interview
Sie schluckt und schluckt
DRUCK+PAPIER: Herr Röper, Ihr SWMH-Organigramm ist beeindruckend. Müssen Sie bald wieder anbauen?
Horst Röper: Da hätte ich ständig zu tun. Die SWMH ist seit Jahren auf Expansionskurs und schluckt und schluckt Zeitungen und Anzeigenblätter.
Das Kaufen von Zeitungsverlagen war lange Zeit die Strategie der SWMH. Ist das nicht vorbei?
Nein, die SWMH wird diese Strategie weiterverfolgen. Sie wird sich dabei auf jene Gebiete konzentrieren, in denen sie mit anderen Zeitungen schon im Markt ist. In diesen Fällen sind bei Aufkäufen schnell Synergien machbar: durch Zusammenlegungen von Abteilungen, die Verlagerung des Drucks in eigene Unternehmen oder auch die Nutzung der eigenen Hauptredaktionen für die überregionale Berichterstattung der zugekauften Zeitungen. In anderen Regionen ist ein Engagement eher unwahrscheinlich.
Jetzt sollen es Onlineportale richten. Halten Sie das für eine Lösung?
Onlineportale sind unverzichtbar. Die ehemaligen Printunternehmen müssen schon heute und künftig noch viel mehr Erlöse im Digitalen erwirtschaften. Bei Springer kann man sehen, wie ertragreich das alte Geschäft mit Rubrikenanzeigen für den Auto-, Immobilien- und Stellenmarkt ist. Das war einst eine Domäne der Zeitungsverlage. Aber dieses Geschäft haben sie nahezu kampflos preisgegeben.
Was würden Sie tun, wenn Sie SWMH-Geschäftsführer Wegner wären?
Ich würde in die Entertainment-Branche zurückkehren. Journalismus ist ein viel schwierigeres Geschäft.
Horst Röper, Medienwissenschaftler, Forschungsinstitut Formatt in Dortmund
Das Organigramm der SWMH: bit.ly/Krake-SWMH