Verlage

»Mit der Druckindustrie bin ich durch«

Verlage vergraulen Leser*innen und Beschäftigte: Sie verteuern Abos, verändern Zeitungsformate und verlagern in tariflose Druckereien.

Michael Berner ist ein Kind der Industrie. Doch die macht ihm gerade sein Arbeitsleben so schwer wie nie. Erst verliert der Elektriker seine Stelle bei einem Zulieferer für die Autoindustrie. Dann wechselt er in die Druckindustrie und arbeitet in der Betriebstechnik der Lübecker Nachrichten. Angestellt bei einer Tochterfirma, die weniger als die tariflichen Nachtzuschläge zahlt. Knapp drei Jahre später schließt die Madsack Mediengruppe die Druckerei in Lübeck. Na gut, denkt Berner (Name geändert), dann geht er eben zu den Kieler Nachrichten. Zwei Jahre ist er dort, dann kündigt Madsack die Einstellung der Produktion bis Ende 2023 an.

Überraschend sei das nicht gekommen. Man wisse ja, wie es um die Druckereien bestellt sei, sagt der Elektriker. »Geknickt bin ich aber schon, weil es so schnell geht.« 13 Jahre hat er noch bis zur Rente. Wie es für ihn weitergeht? Noch unklar. Aber eins ist sicher: »Mit der Druckindustrie bin ich durch.«

Madsack wickelt in diesem Jahr bereits die zweite Druckerei ab. Anfang des Jahres machte der Konzern – fast ein Viertel der Anteile gehört der SPD-Medienholding – die Technik der Ostsee-Zeitung dicht. Nach Peine, Göttingen, Hannover, Leipzig, Lübeck und Rostock ist die Kieler Druckerei innerhalb von zehn Jahren die siebte, die Madsack schließt. Übrig bleibt neben einer Beteiligung im hessischen Gelnhausen noch Potsdam Druck. Dort wird die Märkische Allgemeine Zeitung produziert.

Wie lästige Anhängsel

Die Probleme sind bekannt: Auflagen sinken, Zeitungsumfänge schrumpfen, Papier- und Energiepreise sind gestiegen. Zur strukturellen Krise kam die Covid-19-Pandemie, die den Werbemarkt einbrechen ließ. Ein Anzeigenblatt nach dem anderen wurde eingestellt. Das verschlechterte die Auslastung der Tageszeitungsdruckereien zusätzlich. Zudem wird es schwieriger, gute Leute zu finden, die nachts bei Wind und Wetter Zeitungen zustellen. Für zwölf Euro Mindestlohn gibt es leichtere Jobs.

Zudem wäre es in vielen Druckereien an der Zeit, die in die Jahre gekommenen Druckmaschinen zu ersetzen. Doch wer investiert schon 15 bis 20 Millionen Euro in eine Rotation? Print gilt als unsicheres Geschäft. »Gedruckte Medien sind den Konzernspitzen keine ernsthafte Anstrengung mehr wert«, schreibt Medienexperte Gert Hautsch in seinem jüngsten Quartalsbericht für ver.di. Zeitungshäuser behandeln die gedruckte Zeitung wie lästige Anhängsel. So gehen sie auch mit ihren Abonnent*innen um. Zeitungsformate werden brachial verändert – gerade so, wie es passt. Ein Beispiel: Weil die Ippen-Gruppe die Frankfurter Societätsdruckerei im hessischen Mörfelden loswerden will, schiebt sie Maschinen und Druckaufträge zwischen den Druckereien hin und her. Hier wird eine Maschine ab- und dort wieder aufgebaut, die eine Tageszeitung wird vom Nordischen aufs Berliner Format verkleinert und die andere vergrößert (siehe DRUCK+ PAPIER 1/2023).

Seit 2019 wurden 16 Zeitungsdruckereien geschlossen oder deren Schließung angekündigt.
Grafik: werkzwei

Wenig Qualität für mehr Geld

Aktualität spielt keine große Rolle mehr. Weil die Zeitung in entlegenen Fremddruckereien hergestellt wird, was längere Vertriebswege nach sich zieht, wird der Andruck vorgezogen. Statt Redaktionen auszubauen und Leser*innen mehr Hintergrundgeschichten zu bieten, beziehen immer mehr Zeitungshäuser Nachrichten von Zentralredaktionen größerer Verlagsgruppen. Die Folge: weniger Vielfalt in der Berichterstattung. Und selbst dort, wo Regionalzeitungen ihren Leser*innen ein konkurrenzloses Angebot machen könnten – im Lokalen –, dünnen sie Redaktionen aus und stellen Berichterstattung ein.

Manfred Kardel konnte die Abwärtsentwicklung an seinen Nachbarn beobachten. Erst grummelten sie, weil die Kieler Nachrichten mit knapp 61 Euro im Monat fürs Abo so teuer geworden sind – es ist die teuerste Abo-Variante: die gedruckte Zeitung plus E-Paper. Das erklärte ihnen der Maschinenführer im Versand noch mit den hohen Preisen für Papier, Farbe, Energie. Aber dann zog sich die Zeitung immer mehr aus der Berichterstattung auf dem Land zurück. »Da steht ja aus unserer Gegend nix mehr drin«, schimpfen seine Nachbarn jetzt. Was soll er dazu sagen?

Kardel hat sich wegen der Schließung in Kiel jetzt in Büdelsdorf bei Rendsburg beworben. Bei der tariflosen NOZ/mh:n werden demnächst die Kieler Nachrichten, die Segeberger Zeitung und die Lübecker Nachrichten produziert.

Von der Redaktion über den Druck bis zur Zustellung verliert die Produktionskette an Qualität. Ein Ende ist nicht in Sicht. Laut Umfrage des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) denken Verlage darüber nach, die Preise für die gedruckte Zeitung zu erhöhen, redaktionelle Produkte einzustellen, die Erscheinungstage zu verringern und den Seitenumfang zu reduzieren. Sprich: weniger Qualität für mehr Geld. Damit beschleunigen sie die Zeitungskrise. »Sie fahren das Printgeschäft an die Wand«, stellt Thomas Meyer-Fries fest, »ohne über eine betriebswirtschaftlich funktionierende Alternative zu verfügen.« Bislang seien den Zeitungshäusern nicht einmal einheitliche Abrechnungsportale und Vermarktungsstrategien gelungen.

Die Verlage geben sich dagegen zuversichtlich. Die Hälfte der in der BDZV-Umfrage befragten Zeitungshäuser erwartet bis 2026/2027, dass ihre Ertragsrückgänge bei Print durch Digitalerlöse ausgeglichen werden. »Das ist möglicherweise realistisch für die großen Tageszeitungen wie Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung, nicht aber für die Regionalverlage«, ist die Einschätzung von Gert Hautsch.

»Noch verdienen wir das Geld«, sagt Christian Joscht, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Zeitungsdruckerei des Süddeutschen Verlags. »Wir finanzieren den digitalen Aufschwung.«

Alles wird teurer. Paprika, Strom, Wohnungsmiete. Weiß man ja. Corona, Krieg, Inflation – überall Krise. Das ist auch das Ende der Druckereien. Oder? Tatsächlich werden Zeitungen weiterhin gedruckt – nur nicht mehr in tarifgebundenen Druckereien. »Die Zeitungshäuser entledigen sich bei dieser Gelegenheit der Tarifverträge«, stellt Medienwissenschaftler Horst Röper fest. »Es geht vor allem darum, Kosten zu senken und billiger zu produzieren.« Unterstützt und befördert werden Tarifausstiege durch die Möglichkeit, beim Bundesverband Druck und Medien (bvdm) OT-Mitglied zu sein, sprich: Mitglied ohne Tarifbindung.

Ganz vorne dabei ist Madsack. Alle Aufträge aus den sieben Zeitungsdruckereien gingen an tariflose Betriebe. Ebenso vorne: die Ippen-Gruppe. Auf der Schließungsliste steht neben der Frankfurter Societätsdruckerei auch das Druckhaus Dessauerstraße in München. Seit 2015 gilt dort kein Tarifvertrag mehr. Die Beschäftigten arbeiten seitdem fünf Stunden pro Woche länger fürs gleiche Geld. Maschinenbesetzungsregeln gelten nicht mehr, sämtliche Druckhelfer wurden auf die Straße gesetzt. Manchmal hetzt ein Drucker zwischen Rotation und Rollenkeller hin und her. »Endlich hat das hier bald ein Ende«, sagt ein Drucker erschöpft.

Mit dem Ende der beiden Druckereien hofft Ippen all jene Beschäftigten loszuwerden, die noch von der Nachwirkung des Tarifvertrags profitieren. Einen Standort nach dem anderen hat es getroffen – Weilheim, Wolfratshausen, Dessauerstraße. Die Produktion geht nach Penzberg südlich von München. Dort setzte Ippen 2012 ein neues tarifloses Druckhaus auf die grüne Wiese.

Gedruckte Zeitungen werden nicht mehr zugestellt, Lokalredaktionen dichtgemacht – welche Folgen das hat, ist in den USA zu beobachten. Der Schriftstellerverband PEN kam in einer Studie 2019 zu dem Ergebnis, dass in den US-amerikanischen »Nachrichtenwüsten«, also Gegenden ohne unabhängigen Journalismus, die Wahlbeteiligung sinke und die lokale Steuerlast steige, weil die Kontrolle durch die vierte Gewalt fehle und der öffentliche Diskurs über politische Entscheidungen dadurch eingeschränkt sei.

Medienwissenschaftler Horst Röper fordert seit vielen Jahren, die Politik müsse sich für mehr Meinungsvielfalt einsetzen. »Wenn sich Tageszeitungen mit Werbung und Verkauf nicht mehr finanzieren können, muss als dritte Finanzierungsquelle die öffentliche Hand einspringen.« Unter klar definierten Bedingungen und ohne staatliche Einmischung müssten lokale Berichterstattung und die Zustellung in ländlichen Gebieten unterstützt werden. Damit die Zeitungslandschaft nicht wie in den USA zu »Nachrichtenwüsten« verödet. »Überflüssig ist dann nur einer«, sagt Thomas Meyer-Fries, »der Verleger.«