Aufgeben ist keine Alternative
Erste Zeitungshäuser beenden Zustellung gedruckter Zeitungen | Verlage fahren Printgeschäft an die Wand
Abschiedsworte von Samir Alicic, Betriebsratsvorsitzender der Druckerei Pressehaus Stuttgart.
Die Zeitungskästen bleiben morgens leer. Seit Mai müssen 300 Abonnent*innen in elf Dörfern rund um Greiz auf ihre gedruckte Ostthüringer Zeitung verzichten. Die Funke Mediengruppe hat die Zustellung an sie beendet: zu unwirtschaftlich.
Aber keine Sorge. Ihr Wohnort werde Modellregion für Digitalisierung auf dem Land, schreibt ihnen die Funke-Geschäftsführung. Was nichts anderes heißt als: Die gedruckte Zeitung gibt’s nicht mehr. Steigt um auf Digital-Abos!
Damit das gelingt, wurde den wechselwilligen Abonnent*innen eine Schulung angeboten. Expert*innen des Erfurter Vereins »Mit Medien« erklärten den älteren Leser*innen in Langenwetzendorf, Cossengrün, Hohndorf und Kurtschau, wie das geht mit dem Klicken, Scrollen und Wischen auf Smartphone oder Tablet. Nicht sehr erfolgreich: Weniger als 50 Abos blieben übrig.
»Eine Verzweiflungstat«, sagt Thomas Meyer-Fries. Er berät seit vielen Jahren Betriebsräte in der Druckindustrie und kennt die Branche. Die Funke Mediengruppe tut, was die meisten großen Verlage tun: Sie kürzt, streicht, schließt. Sie hat ihr Druckhaus in Erfurt geschlossen und Thüringen zum ersten Bundesland ohne Tageszeitungsdruckerei gemacht. Und ihren Versanddienstleister, die Funke Post, aufgegeben: zu unwirtschaftlich.
Funke hat angefangen, Madsack folgt. Im Herbst wird im Landkreis Prignitz die Zustellung der gedruckten Märkischen Allgemeinen Zeitung beendet. Auch hier mit der schalen Begründung, dass der Landkreis zu einer Zukunftsregion für digitalen Regionaljournalismus werde. Die betroffenen 2.800 Abonnent*innen werden nicht die letzten sein. 63 Prozent der Verlage wollen die Zustellung in unwirtschaftlichen Bereichen aufgeben. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Die gedruckte Zeitung nicht mehr zuzustellen, reiht sich ein in eine Kette verlegerischer Fehlleistungen. Dazu gehört die vollzogene und geplante Schließung von 16 Tageszeitungsdruckereien seit 2019. DRUCK+PAPIER stellt drei Thesen zur Diskussion. Die erste: Verleger*innen fahren das Printgeschäft an die Wand. Ohne einen Plan B zu haben.
Warum Zeitungsverleger*innen die Krise beschleunigen und ihnen das Krisengerede gelegen kommt:
»Mit der Druckindustrie bin ich durch«
Verlage vergraulen Leser*innen und Beschäftigte: Sie verteuern Abos, verändern Zeitungsformate und verlagern in tariflose Druckereien.