Verlage

Von Edelsteinen und Bullshit

Verlage testen künstliche-Intelligenz-Systeme | Bedrohung der Wissensarbeit oder Entlastung für Beschäftigte? | Wie sich das auf den Buchdruck auswirkt

Der Titel: »Lithium-Ion Batteries«, der Autor: ein Algorithmus namens Beta Writer. Das erste maschinengeschriebene Buch von der Frankfurter Goethe-Universität und Springer Nature fasste 150, auf der Verlagsplattform veröffentlichte und wissenschaftlich begutachtete, Fachartikel zusammen. Herauskam ein Überblick über den Forschungsstand bei Lithium-Ionen- Batterien. Als E-Book kostenlos zum Herunterladen. Das sollte zeigen, was möglich ist.

Prompt-Pingpong

Nächstes Experiment: Drei Autor*innen verfassten Ende März mit einem Chatbot verteilt auf drei Tage ein 180-seitiges Manuskript für ein Wirtschaftsfachbuch. Vorgegeben waren: Thema, Zielgruppe, Umfang. Die Wirtschaftsexpert*innen formulierten die Anweisungen (Prompts) an den Chatbot, korrigierten und präzisierten, der Chatbot schrieb. Ein Hin und Her zwischen künstlicher Intelligenz und Autor*innen. »Prompt-Pingpong«, nennt es Pressesprecher Cornelius Rahn. Anders als im Buch über die Lithium-Ionen-Batterien fabrizierte ein hybrides Team aus Mensch und Maschine neue Inhalte – schneller als je zuvor. Das Manuskript wird lektoriert und ist kurze Zeit später online, das Buch wird zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

Anweisungen an den Chatbot und schon liefert er Texte. Manche begeistert’s, manche gruselt’s.
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Ja, gedruckt. »Viele Menschen ziehen es vor, Texte gedruckt statt am Bildschirm zu lesen«, sagt Rahn. Der Buchdruck werde sich nicht so schnell aus dem Verlagsgeschäft verabschieden. Das sieht Robert Höllein, Mitglied der CPI-Geschäftsführung, ähnlich. Entscheidend sei das Leseverhalten. Je kürzer die Wissenseinheiten und je schneller der Aktualisierungsbedarf, desto eher werde online konsumiert. »Je umfassender ein Werk und je länger die Texte, desto wahrscheinlicher ist eine Printfassung.« Möglicherweise, sagt Höllein von der Buchdruckerei CPI, gebe es künftig Mixformen, wie sie ein Schulbuchverlag praktiziere. Der verlegt ein Buch mit Texten, Bildern und QR-Codes, die zu Experimenten auf Online-Videos verlinkt sind. Noch werde bei Springer Nature viel ausprobiert, berichtet Cornelius Rahn. Der Verlag setze KI-Systeme ein, um Plagiate aufzuspüren, Wissensstände zusammenzufassen und Vorhersagen über künftig relevante Forschungsbereiche zu erhalten. Zudem wurden bereits mehrere 100 Bücher von der künstlichen Intelligenz übersetzt. Gab es Proteste der Übersetzer*innen? »Wir setzen künstliche Intelligenz vor allem bei Büchern ein, die ansonsten nicht übersetzt werden würden.«

Noch mehr Bücher auf dem Markt

Der Verlag bemüht sich um Unaufgeregtheit. Kein Buch werde veröffentlicht, ohne von Fachleuten geprüft worden zu sein. Die Maschinen sollen Menschen nicht ersetzen, sondern sie unterstützen, etwa Denkanstöße geben, Strukturen vorschlagen, beim Formulieren helfen. Besonders Wissensarbeiter*innen, die sich mit dem Schreiben schwertäten, könne KI auf die Sprünge helfen. »Verbuddelte Edelsteine ausgraben«, nennt es der Pressesprecher.

Das gedruckte Wort gewinnt: Ein Text wird besser verstanden als beim Lesen am Bildschirm.
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Je mehr Verlage künstliche Intelligenz nutzen, desto mehr Bücher werden erscheinen. Das macht nicht alle glücklich.
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Künstliche-Intelligenz-Systeme führten mit großer Wahrscheinlichkeit zu mehr Publikationen. »Das ist tatsächlich zu erwarten«, bestätigt Christoph Bläsi, Professor für Buchwissenschaft von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Glücklich klingt er dabei nicht. Denn je mehr Verlage die KI-Werkzeuge nutzten, umso höher werde deren Produktivität. Die Folge könne eine – in diesem Ausmaß nicht wünschenswerte – weitere Überproduktion von Titeln sein, für die Leser*innen wiederum die Hilfe künstlicher Intelligenz bräuchten, um sich zurechtzufinden.

Dem Chatbot sind Fakten egal

Die Erfahrung eines Science-Fiction Magazins in den USA scheint die Vermutung zu bestätigen. Angesichts der Flut maschinengeschriebener Geschichten wurden die Einsendungen zwischenzeitlich gestoppt, berichtet der Informatiker Sayash Kapoor in der Süddeutschen Zeitung. Seine Befürchtung: »ChatGPT wird benutzt, um Bullshit zu automatisieren« – sprich: überzeugend wirkende Inhalte zu kreieren, ohne sich um Fakten zu scheren.

Ein koreanischer Verlag veröffentlicht maschinengeschriebene Kinderbücher, KI-Systeme fertigen Zeichnungen und Grafiken an, die Filmindustrie verspricht nie enden wollende Serien, Chatbots verfassen Groschenromane am Fließband.

Bei manchen Wissensarbeiter*innen in der Buchbranche spüre er Panik, berichtet Buchwissenschaftler Christoph Bläsi. Verständlich. »Es ist das erste Mal, dass neue technologische Systeme zumindest teilweise die Arbeit von White-Collar-Personen übernehmen könnten.« (White Collar – weiße Kragen – gelten als Symbol für Angestellte im Gegensatz zu Blaumännern in Industrie und Handwerk.) KI-Systeme in der Buchbranche seien aber sehr wahrscheinlich weder eine Revolution wie einst der Buchdruck noch das Ende der Buchkultur. »Die Branche könnte dafür sorgen, dass die künstliche Intelligenz dafür genutzt wird, um Menschen von sich ständig wiederholenden Aufgaben zu entlasten und damit Freiräume für das zu schaffen, was die Essenz guter Bücher ausmacht: Originalität, Überraschung und Geschmack.«

Vorsichtig nähert sich der Fischer-Verlag den KI-Werkzeugen. »Sie werden die Arbeitswelt verändern,« sagt Albert Henrichs, Programmleiter für deutschsprachige Literatur und Mitglied der neuen, achtköpfigen KI-Arbeitsgruppe. Sie beschäftigt sich mit den ganz großen Problemen, die KI-Systeme mit sich bringen: Datenschutz und Urheberrecht. Der Verlag nutzt ein KI-Übersetzungsprogramm, um intern mal schnell einen Text ins Deutsche übertragen zu lassen und fremdsprachige Literatur zu prüfen. Chatbots könnten ein spannendes Hilfsmittel sein, um einen kreativen Hänger zu überwinden. »Wir sind im Ausprobiermodus.«

Auch der Buchdruck ändert sich – wie er das schon häufig getan hat. Vor Jahren verschwanden gedruckte Lexika, Telefonbücher, Fahrpläne, Atlanten und Wörterbücher. Heute sind kleine und Kleinstauflagen im Digitaldruck möglich – zehn, fünf Stück, selbst ein einziges Exemplar. Bestellgenau drucken. »Das Ziel in Ulm ist die industrielle Fertigung der Losgröße 1«, sagt Christian Clement, Betriebsratsvorsitzender bei CPI Ebner & Spiegel. Heute bestellt und gedruckt, morgen ausgeliefert und abgeholt. Das einzelne Exemplar eines Romans von Martin Walser genauso wie die Lebensgeschichte von Max Mustermann.

Industrielle Sonderanfertigung

Vanessa Kaspar, 26, ist die einzige weibliche Kollegin unter 15 Digitaldruckern in Ulm. Die gelernte Offsetdruckerin hat sich ein halbes Jahr lang für den Digitaldruck qualifiziert. Weil es sie interessiert. Weil es sich im Lebenslauf gut macht. »Weil es die Zukunft ist.« An manchen Tagen machten Einzelexemplare ein Drittel des Druckvolumens aus, das ist nur im Digitaldruck möglich. Clement geht davon aus, dass sich der Trend beschleunigt, wenn immer mehr Menschen mithilfe von Chatbots ihre eigenen Bücher veröffentlichen. Was den Buchdruck verändern wird – von der Massenproduktion zur industriellen Sonderanfertigung.

Kein Zweifel, künstliche-Intelligenz-Maschinen werden auch das Lesen verändern. Eine App empfiehlt Bücher mit ähnlichen Emotionen wie die eigene Lieblingsliteratur, basierend auf der KI-Auswertung von Kommentaren auf Leseplattformen. Und wer beim Kochen nicht aufs Buch verzichten will, lässt sich die Geschichte von der künstlichen Stimme vorlesen, die zwar nicht versteht, was sie liest, aber schön betont. Nicht mehr lange und auch der Schluss eines Buches kann selbst kreiert werden.

Was ist eigentlich…?

Künstliche Intelligenz (KI)

hat noch kein Bewusstsein, wie wir es definieren, verfügt nicht über Kreativität und Fantasie, hat kein Mitgefühl und denkt nicht wie Menschen. KI sei der Versuch des Menschen, der Maschine beizubringen, so zu denken wie ein Mensch, erklärt der Deutschlandfunk in seinem Podcast »KI verstehen«. Der Begriff künstliche Intelligenz wird verwendet, um Maschinen zu beschreiben, die menschliche Fähigkeiten nachahmen wie Lernen, Erinnern, Denken, Wissen, Probleme lösen, Zusammenhänge erkennen. Es gibt einfache KI-Systeme: Ein Algorithmus berechnet Informationen, Daten und Abfolge von Schritten. Und es gibt komplexe KI-Systeme, die aus großen Datenmengen lernen und sich selbst optimieren. »Alle künstlichen Intelligenzen verwenden Algorithmen, aber nicht alle Algorithmen sind KIs.«

ChatGPT

(Generative Pretrained Transformer) ist ein Chatbot – vereinfacht gesagt: Ein Roboter, mit dem man sich unterhalten kann. Er arbeitet mit künstlicher Intelligenz und erzeugt auf schriftliche Anfragen in kurzer Zeit Gedichte, Romane oder Sachtexte. Das Sprachmodell versteht keine Zusammenhänge und keinen Inhalt. Die Texte beruhen auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen und statistischen Modellen. Ende 2022 wurde ChatGPT von dem US-amerikanischen Unternehmen OpenAI kostenlos für die Öffentlichkeit freigegeben. Inzwischen gibt es eine neuere Version, aber auch die erzeugt teilweise abstruse und falsche Antworten.