Verlage

Lieber kurzfristig drucken als langfristig lagern

Print-on-Demand als neuer Trend: Zwischenbuchhandel und Buchhandelsketten experimentieren mit Digitaldruck

Wer seine Bücher nicht im Internet kauft, sondern bei der Lieblingsbuchhandlung ums Eck, ist daran gewöhnt: Fast alles, was gerade nicht vorrätig ist, kann über Nacht bestellt werden. Bereit zur Abholung am nächsten Morgen. So schnell liefert kein Online-Händler, jedenfalls nicht ohne Aufpreis. Dass das möglich ist, dafür sorgt das ausgefeilte System des Zwischenbuchhandels: Grossisten decken sich bei den Verlagen mit Hunderttausenden Titeln ein, lagern sie zentral und schicken jede Nacht eine Armada von Lastwagen kreuz und quer durchs Land, die die bestellten Bücher ausliefern. Ob beim kleinen Buchladen auf dem Dorf oder beim großen Filialisten.

Kleine einfach rausgekickt

Das seit Jahrzehnten bewährte Modell gerät jedoch immer mehr unter Druck. Die Kosten für die enorm aufwendige Logistik, mit Zehntausenden zurückgelegten Lkw-Kilometern pro Nacht, steigen und steigen. Die Zahl der Menschen, die (gedruckte) Bücher lesen, sinkt dagegen. Und weil Bücher in Deutschland preisgebunden sind, also nicht einfach teurer oder billiger verkauft werden dürfen, ist auch der Gewinnanteil des Zwischenbuchhandels gedeckelt.

Zeitfracht, einer der drei großen Zwischenbuchhändler des Landes, sorgte deshalb Ende vergangenen Jahres mit einer umstrittenen Maßnahme für Schlagzeilen: Buchhandlungen, mit denen man pro Jahr nur 10.000 bis 30.000 Euro Umsatz macht, werden nicht mehr täglich beliefert. Kleine Buchhandlungen und Verlage warf man sogar ganz raus.

Zugleich bewarb Zeitfracht als Alternative sein Print-on-Demand-Angebot (PoD): Bücher, die nicht mehr auf Lager gehalten werden, könnten über Nacht per Digitaldruck hergestellt werden. Der Grossist arbeitet dafür seit 2022 mit dem Druckkonzern CPI zusammen, der am Erfurter Zeitfracht-Standort eigens das (tariflose) Tochterunternehmen CPI Druckdienstleistungen gründete.

Die Idee liegt im Trend. »Es wird sehr viel Zukunftspotenzial im Digitaldruck gesehen«, sagt Branchenkenner Thomas Meyer-Fries, der seit vielen Jahren Betriebsräte berät und selbst aus der Buchbranche kommt.

Mit Libri hat bereits ein zweiter Zwischenbuchhändler seine Bestände an seltener verkauften Büchern verringert. Mit der Übernahme des Druckdienstleisters Xerox in Bad Hersfeld wolle man das Drucken auf Nachfrage zum »Bestandteil seines Kerngeschäfts« machen, heißt es aus dem Unternehmen. Und auch die Buchhandelskette Thalia hat angekündigt, sich in Marl eine eigene Digitaldruckerei für Print-on-Demand zu bauen.

Sie alle setzen auf den Druck auf Bestellung, weil es sich, so die Hoffnung, doppelt rechnen soll: Einerseits sparen sie teuren Lagerraum; andererseits erschließen sie sich eine weitere Einnahmequelle als Buchhersteller.

Über-Nacht-Druck als Chance?

Aber nicht nur für sie ist das Modell interessant. Kund*innen steht eine größere Auswahl an Büchern zur Verfügung. Verlage können garantieren, dass wegen der Möglichkeit des schnellen Nachdruckens auch ältere Titel lieferbar bleiben – wichtig nicht zuletzt, um die Rechte daran zu behalten. Für manche Druckerei in Deutschland könnte der digitale Über-Nacht-Buchdruck vielleicht sogar zu einem Rettungsanker werden. »Eine Digitaldruckerei für kleine Auflagen muss verkehrsgünstig liegen, weil es auf jede Stunde ankommt«, sagt Experte Meyer-Fries. Eine Verlagerung nach Osteuropa, wie es bei Großaufträgen im Offsetdruck verstärkt geschieht, sei deshalb hier nicht möglich.

Das könnte prinzipiell auch kleineren, regionalen Druckereien eine Chance eröffnen: dezentraler Druck als Alternative zu den Zentrallagern der Grossisten und zum ökonomisch wie ökologisch bedenklichen Kilometerfressen ihrer Bücherwagenflotten. »Im Moment ist das noch reine Zukunftsmusik«, meint der Branchenkenner. »Aber es wäre ein interessanter Ansatz.«

Print-on-Demand in der Buchlogistik – eine Win-win-win-win-Situation, die für Druckereien, Verlage, Zwischenbuchhandel und Leser*innen gleichermaßen Vorteile bietet? Christian Clement ist Betriebsratsvorsitzender bei der Buchdruckerei Ebner & Spiegel in Ulm, die ebenfalls zur CPI-Gruppe gehört. Er nennt den Gedanken, seltener nachgefragte Bücher nach Bedarf zu drucken, statt stapelweise zu horten, »überzeugend«. Für Kund*innen sei kein Qualitätsunterschied zwischen Digital- und Offsetdruck erkennbar, jedenfalls nicht bei Büchern im klassischen Schwarz-Weiß. »Die Kosten pro Buch sind höher als im Offsetdruck, aber dafür kann ich eben auch nur ein einzelnes Exemplar drucken.« Und das in rasantem Tempo: Nach 30 Sekunden in der Digitaldruckmaschine und weiteren 30 Sekunden im Klebebinder sei ein Paperback fertig. »Hardcover dauert etwas länger – aber in zwei Tagen lässt sich jedes Buch liefern.« Vorausgesetzt, die Produktionsplanung stimmt. Das Papier in der Maschine zu wechseln, geht beim Digitaldruck auch nicht schneller als beim Offsetdruck.

Glaubt man den ins Druckgeschäft eingestiegenen Zwischenbuchhändlern, dann ist ihr Print-on-Demand-Angebot ein voller Erfolg: Libri zählt nach eigenen Angaben 4.000 Verlage zu seinen Print-on-Demand-Kunden, bei Zeitfracht/CPI sollen es 550 sein. Großverlage wie Suhrkamp oder S. Fischer gehören dazu. »In der Regel wollen wir, dass unsere Bücher im Buchhandel physisch präsent sind«, sagt Barbara Rothamel, Betriebsrätin bei S. Fischer in Frankfurt. Um aber auch die sehr umfangreiche Backlist aus älteren Titeln verfügbar zu halten, nutze man Print-on-Demand durchaus. »Beschränkt allerdings auf Paperbacks und Taschenbücher.«

»Unfreundlicher Akt«

Aus kleineren Verlagen dagegen sind skeptische Stimmen zu hören. Wo die Kostenkalkulationen eh schon auf Kante genäht sind, ist mehr Geld für den teureren Druck auf Bestellung kaum drin. Zudem schreckt der mögliche Zusatzaufwand für die Aufbereitung der Druckdaten, für Aktualisierungswünsche der Autor*innen, für Abrechnung und Verwaltung. »Ich sehe die Gefahr, dass man sich verzettelt«, sagt der Leiter eines Sachbuchverlags aus dem Rheinland.

Der VSA: Verlag Hamburg ist einer jener Verlage, die Zeitfracht kürzlich aus seinem Sortiment gestrichen hat. »Das war unglaublich«, berichtet Geschäftsführer Bernhard Müller. »Die haben uns die Bücher aus ihrem Bestand einfach unangekündigt vor die Tür gestellt.« Doch nicht nur wegen dieses, wie Müller sagt, »völlig unfreundlichen Akts« trifft die alternative Print-on-Demand-Offerte des Zwischenbuchhändlers bei dem kleinen linken Verlag auf wenig Gegenliebe. »Wir wollen uns beim Druck nicht von einem Grossisten abhängig machen«, erklärt der Geschäftsführer. »Das würde uns in unserer Autonomie einschränken.«

Zwischenbuchhandel: Nur drei große Player

Zwischenbuchhändler, auch Barsortimente genannt, sind so etwas wie das Rückgrat des Buchhandels. Neben Spezialanbietern, die sich auf Schulbücher oder bestimmte Fachgebiete beschränken, gibt es in Deutschland nur drei Grossisten mit einem umfassenden Sortiment. Sie haben den Anspruch, mehr als 90 Prozent der in Buchhandlungen nachgefragten Bücher kurzfristig liefern zu können, in der Regel bis zum nächsten Tag.

Den größten Marktanteil hat Zeitfracht. Die Unternehmensgruppe aus Kleinmachnow bei Berlin, die in vielen verschiedenen Bereichen von Handel und Logistik aktiv ist, übernahm 2019 den insolventen Zwischenbuchhändler KNV. Zweitgrößter Anbieter ist Libri mit Sitz im hessischen Bad Hersfeld. Auf lediglich rund zehn Prozent Marktanteil kommt Umbreit aus Bietigheim-Bissingen in Baden- Württemberg. Libri und Umbreit kooperieren zum Teil bei der Auslieferung der Bestellungen. Die meisten Buchhandlungen nutzen die Dienste mehrerer Grossisten.