Arbeit

Rutschbahn in die Altersarmut

Annelie Buntenbach vom DGB: Minijobs in reguläre Beschäftigung umwandeln

Der DGB kritisiert die Minijobs. Warum?


Annelie Buntenbach: Fast die Hälfte derjenigen, die so arbeiten, werden um ihren Urlaubsanspruch gebracht. Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sieht es nicht besser aus. In vielen Fällen wird der Mindestlohn umgangen. Gleichzeitig sind diese Minijobs eben keine Brücke in reguläre Beschäftigung. Vor allem Frauen bleiben so lange darin hängen, dass das zu einer Rutschbahn in die Altersarmut wird.

Was müsste verändert werden?


Buntenbach: Wir wollen diese Kleinstarbeitsverhältnisse in Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung umwandeln. Dann wären die Menschen auch wieder eigenständig voll in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen und kranken-, pflege-, arbeitslosen- und rentenversichert.

Annelie Buntenbach
Mitglied des DGB-Bundesvorstands

Das wünschen sich viele Frauen, die heute in Minijobs arbeiten. Sie würden gerne mehr arbeiten und mehr verdienen. Aber in vielen Branchen wird außer Minijobs kaum etwas angeboten. Dass Arbeitgeber millionenfach Minijobs einsetzen, liegt an den falschen politischen Anreizen bei der Sozialversicherung und bei der Steuer. Dadurch bleiben vor allem verheiratete Frauen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt an der 450-Euro-Mauer hängen. Hier muss dringend umgesteuert werden.

Was schlägt der DGB vor?

Buntenbach: Unser Ziel ist, Arbeit ab dem ersten Euro in den Schutz der Sozialversicherung zu holen. Dabei sollen aber die Beschäftigten nicht überfordert werden. Deshalb wollen wir die Sozialbeiträge zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anders verteilen: Je kleiner der Verdienst in so einem Beschäftigungsverhältnis ist, desto höher soll der Anteil sein, den die Arbeitgeber an der Sozialversicherung tragen. Die Beiträge der Minijobberinnen und Minijobber steigen dann schrittweise. Erst ab einem Verdienst von 850 Euro sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich viel zahlen. Damit gäbe es auch einen neuen Anreiz für Arbeitgeber, mehr existenzsichernde Arbeitsverhältnisse anzubieten.

Hat die Politik den Vorschlag aufgegriffen?


Buntenbach: Im Koalitionsvertrag findet sich leider nicht einmal eine Absichtserklärung, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln zu wollen. Stattdessen steht dort eine absurde Ausnahmeregelung für die Zeitungsverleger, nach der sie für ihre als Minijobber tätigen Zusteller demnächst zwei Drittel weniger Rentenbeiträge zahlen sollen. Ich hoffe sehr, dass diese Regelung das Gesetzblatt nie erreichen wird. Glücklicherweise ist im Koalitionsvertrag wenigstens nicht von einer Ausweitung von Minijobs die Rede. Auch nicht von einer Anhebung der Minijobgrenze, wie sie sich die FDP auf die Fahne geschrieben hat. Die CDU wollte diese Grenze dynamisch anheben. Beides ist nicht drin.

Fortsetzung, warum Minijobber/innen besonders erpressbar sind:

Damit der aufrechte Gang nicht jeden Tag zur Mutprobe wird

Was könnte die Gewerkschaft noch tun?

Annelie Buntenbach: Am besten ist es natürlich, wenn es uns gelingt, die Menschen in den Betrieben zu organisieren, um mit ihnen gemeinsam die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Deswegen raten wir Minijobbern auch, sich in der Gewerkschaft zu organisieren.

Warum ist das so schwierig?

Buntenbach: Da, wo prekäre Arbeit so verbreitet ist, geht die Angst um. Wir haben eine besonders hohe Zahl von Minijobs in den Branchen, in denen Tarifverträge nicht allgemeinverbindlich gelten. In vielen dieser Betriebe gibt es keine Betriebsräte. Die Menschen in diesen prekären Verhältnissen sind besonders erpressbar, weil sie immer befürchten müssen, bei Konflikten mit dem Chef auf der Straße zu stehen. Das macht es für Gewerkschaften schwerer, sich hier mit Nachdruck aus den Betrieben heraus zu organisieren. Andererseits ist es gerade da besonders nötig. Damit der aufrechte Gang nicht jeden Tag zur Mutprobe wird, kämpfen wir dafür, die prekären Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen.

Warum wird das Thema dann nicht aufgegriffen?

Buntenbach: Die Minijobs sind im Interesse von Arbeitgebern, weil die Menschen in diesen Kleinstarbeitsverhältnissen flexibel und billig je nach Arbeitsanfall hin und hergeschoben werden können. Und auch die Politik sieht darin nicht wirklich ein Gewinnerthema. Befürchtet wird, dass man auch bei den Minijobberinnen und Minijobbern selbst nicht nur Begeisterung auslöst. Deshalb muss eine Reform so angelegt sein, dass sie die Menschen mit den kleinen Einkommen nicht noch zusätzlich belastet. Mit unserem Konzept stellen sich die Minijobber wirklich besser.

Rechte

Minijobber/innen dürfen maximal 450 Euro im Monat verdienen. Sie haben die gleichen Rechte wie Vollzeitbeschäftigte: Ihr Lohn wird bei Krankheit und Urlaub weiterbezahlt, bei Arbeits- und Wege-
unfällen erhalten sie Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. In tarifgebundenen Betrieben haben sie Anspruch auf Tariflohn; woanders gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde.

 

Zahlen und Fakten

Mit 7,5 Millionen gibt es so viele Minijobber/innen wie noch nie.
 
Davon haben 4,7 Millionen Menschen keine andere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als den Minijob. 

Knapp 60 Prozent sind Frauen.

37.000 Minijobber/innen arbeiten in der Druckbranche, 150.000 sind Zusteller/innen.

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke vom 27. Juli 2017, http://bit.ly/DL-Minijobber; Statistik der Bundesagentur für Arbeit; Minijob-Zentrale

 

Ratgeber und Tipps

DGB: www.dgb.de/schwerpunkt/
ratgeber-ungesicherte-beschaeftigung/minijobs



Minijob-Zentrale: 
www.minijob-zentrale.de

Was die Minijob-Forscherin 
Claudia Weinkopf vorschlägt, steht auf:
www.verdi-drupa.de/2018/03/05/interview-weinkopf