Unterwegs zum

Unterwegs zum Lost Place

Wo einst Zeichen-, Schreib-, Seiden- und Tapetenpapiere produziert wurden, gehen heute Fotoenthusiasten auf Entdeckungsreise.

Rund 100 Kilometer nordwestlich von Berlin liegt im ländlichen Brandenburg die Papierfabrik Hohenofen. Die Produktion wurde schon vor 32 Jahren eingestellt, seit 2003 ist die Fabrik als technisches Denkmal in die Denkmalliste eingetragen – birgt sie doch die einzige komplett erhaltene historische Papierproduktionslinie Deutschlands.

Träger ist heute der Verein Patent-Papierfabrik Hohenofen. Seit fast zehn Jahren arbeitet er mit dem Berliner Unternehmen go2know zusammen, das darauf spezialisiert ist, Lost Places und verborgene Orte zugänglich zu machen. Mehrere Stunden können sich Interessierte zu Preisen zwischen 50 und knapp 90 Euro je nach Ort auf den normalerweise abgesperrten Arealen von einstigen Gefängnissen, Bäckereien, Schulen, Bädern oder Erzbergwerken frei bewegen. Das finden vor allem Fotograf*innen mit einem Faible für altes Gemäuer und dessen Interieur spannend, aber auch Menschen ohne fotografische Ambitionen sind unterwegs.

Lust auf Technikdenkmäler

So treffen sich an einem grauen Herbstsonntag zehn Interessierte. Holger Pretzsch begleitet die go2know-Exkursionen als Tourguide. Er findet die Geschichte des Dorfes spannend: »Hier im ländlichen Raum zwischen Wiesen und Äckern entstand ein Dorf, dessen Mittelpunkt kein landwirtschaftliches Gut, sondern eine Fabrik war.«

Von einem speziellen Interesse an der Papierherstellung erzählt an diesem Sonntag niemand. »Ganz allgemein beeindrucken mich alte Maschinen und Technikdenkmäler wie die großen Holländertröge sehr«, berichtet eine Fotografin. Tatsächlich gibt es in den historischen Werkshallen viel zu entdecken – alle Maschinen, Schalttafeln und Werkzeuge sind noch vorhanden. Alte Holländerbecken und mächtige Mühlenräder geben Einblicke in die historische Papierherstellung.

Ein anderer Teilnehmer schwärmt von der Industriearchitektur des 18. und 19. Jahrhunderts: »Die alten Backsteinbauten sind wirklich schön. Man hat gewerbliche Bauten detailreich ausgestattet.« Eine weitere Besucherin ist fasziniert von der Möglichkeit, Geschichte live zu erleben: »Wenn ich die alten Hallen betrete, sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie die Leute hier gearbeitet haben, ich höre die Klänge und nehme die Gerüche wahr.«

Und Leidenschaft für Fotografie

Die Papierfabrik ließ der preußische Staat 1834 hier auf dem Gelände errichten, wo zuvor Raseneisenerz verhüttet und Silber geschmolzen worden war. Bis 1953 wurden am Standort Feinpapiere produziert; dann ging die Fabrik im VEB Kombinat Zellstoff und Papier Heidenau auf. In den 1960er-Jahren wurde die Produktion auf die Herstellung von Zeichenpapier für den Ostblock umgestellt.

»Die Touren sind mit 15 bis 20 Leuten meist gut besucht«, erzählt ein Mitarbeiter der go2know-Geschäftsstelle. Bei fünf bis sechs Touren pro Jahr habe man bisher einige Hundert Leute mitgenommen. Aber nur wenige wollten sich gezielt eine Papierfabrik ansehen. Auch Pretzsch ist über die Jahre auf sehr unterschiedliche Motive gestoßen: »Das geht los mit der Leidenschaft für Fotografie in Verbindung mit der speziellen Aura solcher Orte. Das geht weiter mit Leuten, die hier mal gearbeitet haben, bis zu welchen, die technische Industriedenkmäler spannend finden.« Oder eben alte Holländerbecken und Mühlenräder.