Mit Sicherheit im Recht

Kiffen auf dem Weg zur Arbeit?

Hat es für einen Kollegen Konsequenzen, wenn er auf eine Phishing-Mail hereingefallen ist? Muss ein Nebenjob genehmigt sein und zu welchen Arbeiten dürfen Auszubildende verdonnert werden? Darum geht es in unserer Serie zum Arbeitsrecht. Bei den Antworten hat uns diesmal Rechtsanwältin Lilian Stolle aus Darmstadt beraten.

Unsere Chefin hat uns in mehreren Schulungen eingebläut, wie wir uns gegen Hackerangriffe schützen können. Nun hat ein Kollege in der Hektik doch auf einen Phishing-Link geklickt. Ihm droht Kündigung. Wäre die rechtens?

Wohl kaum. Zwar besteht die Gefahr, dass Kriminelle so an sensible Daten gelangen oder Systeme lahmlegen können, doch liegt dieses Risiko zunächst beim Unternehmen. Dort ist Sicherheitsvorsorge angesagt. Zum einen von der technischen und organisatorischen Seite der IT-Infrastruktur, zum anderen dadurch, dass Beschäftigte geschult und sensibilisiert werden. Manche Firmen gehen so weit, die eigene Belegschaft durch betriebsinterne Phishing-Fallen regelrecht zu testen. Das ist mindestens unfair. Wichtig sind klare Ansagen, wie auf Hackerangriffe zu reagieren ist. Dazu gehört, sie umgehend zu melden – erst recht, wenn man selbst auf einen schädlichen Link geklickt hat. Geschah das aus Versehen, haben Betroffene kaum etwas zu befürchten. Für Schäden in Haftung genommen werden können sie in der Regel nur, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben. Erst dann wären Ermahnung, Abmahnung oder gar Kündigung denkbar.

Unser Chef ist aktives FDP-Mitglied und lässt Azubis während der Arbeitszeit Wahlmaterial zusammenstellen und kuvertieren. Darf er das?

Nein, wenn es sich für die Azubis eindeutig um ausbildungsfremde Tätigkeiten handelt. Gemäß § 14 Berufsbildungsgesetz dürfen sie nur Aufgaben erhalten, die dem Ausbildungszweck dienen. So legen das auch betriebliche oder Ausbildungsrahmenpläne fest. Die jungen Leute sollen berufliche Fertigkeiten erlernen und nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht oder für Tätigkeiten wie Kaffeekochen und Botengänge eingesetzt werden. Darüber haben auch Betriebsräte oder Jugend- und Auszubildendenvertretungen zu wachen. Argumentiert der Chef, dass Ablage-, Kopier- oder Kuvertierarbeiten zu einer kaufmännischen Ausbildung gehören, sollten die Azubis ermuntert werden, ihre Ausbildungsnachweise exakt zu führen. In den Berichtsheften wird dann auch die Wahlkampfhilfe beweiskräftig dokumentiert. Tolle Reklame für den Chef!

Cannabis ist ja jetzt erlaubt. Also darf ich auch vor der Arbeit kiffen?

Keine gute Idee. Das seit 1. April geltende Gesetz zur Legalisierung von Cannabis gestattet Erwachsenen zwar den Besitz gewisser Mengen und besagt nichts zum Konsum. Doch am Arbeitsplatz bleibt Kiffen weiter verboten. Klare betriebliche Regelungen sollten das bekräftigen. Beschäftigte schulden ihre ungetrübte Arbeitsleistung. Ist die jedoch durch Cannabis beeinträchtigt – egal, wann der Joint geraucht wurde –, kann der Arbeitgeber solche Verstöße ahnden. Chefs und Chefinnen sind sogar verpflichtet einzuschreiten – etwa, wenn ein bekiffter Gabelstaplerfahrer andere gefährdet. Hinzu kommt: Erleiden Beschäftigte unter Einfluss von Drogen oder Alkohol einen selbst verschuldeten Arbeitsunfall, kann sie das ihren Versicherungsschutz kosten.

Wir haben Leute im Betrieb, die bei rechtsextremen Demos mitlaufen oder sogar dazu aufrufen. Warum werden die nicht gekündigt wie die rassistischen Video-Gröler auf Sylt?

Auch deren Kündigung hatte rechtlich keinen Bestand. Was die Menschen in ihrer Freizeit tun, ist weitgehend ihre Sache. Arbeitgeber können lediglich eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung verlangen. Neueste Rechtsprechung nimmt zwar auch den privaten Bereich oder soziale Medien in den Blick. Wenn sich dort jemand zu betrieblichen Umständen, dem Arbeitgeber oder anderen Beschäftigten äußert und Vertraulichkeit oder Rücksichtnahmepflichten verletzt, kann das Folgen haben. Doch sonst sind Wohlverhalten, eine bestimmte politische oder moralische Haltung nicht gefordert. Das erfuhr kürzlich auch die Stadt Köln, als sie einer Amtsmitarbeiterin kündigen wollte, die am Potsdamer Treffen radikaler Rechter zur sogenannten Remigration teilgenommen hatte. Das Gericht widersprach der fristlosen Kündigung, da die Beamtin keiner gesteigerten Treuepflicht unterliege. Anders läge der Fall, wenn jemand im Betrieb wegen rassistischer Hetze auffällt oder dort rechte Parolen verbreitet.

Weil alles so teuer geworden ist, komme ich mit meinem Lohn nicht über die Runden und brauche einen Nebenjob. Meine Kollegin sagt, ich müsse mir den von meinem Arbeitgeber genehmigen lassen?

Eine Genehmigung braucht es meist nicht. Unser Grundgesetz garantiert Berufsfreiheit und gestattet jedem, sein Arbeitsleben weitgehend frei zu gestalten. Das betrifft auch Nebenjobs. Doch sollte man den Hauptarbeitgeber informieren. In etlichen Arbeits- oder Tarifverträgen steht eine direkte Anzeigepflicht. Grundsätzlich darf der Hauptjob durch Nebentätigkeiten nicht leiden. Falls man bei der Konkurrenz anheuern will, gilt sogar ein Wettbewerbsverbot. Ein Chef könnte seine Interessen auch gefährdet sehen und Nebentätigkeiten untersagen, wenn sie die Arbeitsleistung im Hauptjob beeinträchtigen. Darüber hinaus gilt zu bedenken: Mehr als 48 Stunden Wochenarbeitszeit sind generell nicht erlaubt. Und geht die Nebentätigkeit über einen sogenannten Minijob hinaus, hat das auch steuerliche Konsequenzen.

Ich bin in meiner ersten Anstellung und in meinem Arbeitsvertrag steht, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Egal wie viele?

Kein Gedanke! Seit 2022 muss in Arbeitsverträgen konkret festgelegt sein, wie viele Überstunden mit dem Entgelt ausgeglichen sein sollen. Auch Tarifverträge enthalten oft klare Regelungen. Für alle Überstunden darüber hinaus muss es einen finanziellen oder Freizeitausgleich geben. Steht im Vertrag etwas von einem pauschalierten Abgleich sämtlicher Überstunden, ist die Regelung unwirksam. Niemand soll sich überarbeiten, zumal bei ausufernden Arbeitszeiten das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko deutlich steigt – nicht nur für Ältere. Geh zum Betriebsrat oder melde dich bei ver.di!

Noch mehr Fragen?

Dann schreibt uns an dvpi@verdi.de! Interessante Fragen veröffentlichen wir in DRUCK+PAPIER.

Frau Stolle, eine Frage:

Bei uns verhandeln Betriebsräte über Lohn und Arbeitszeit mit dem Arbeitgeber – müsste das nicht die Gewerkschaft tun?

Betriebsverfassungs- und das Grundgesetz liefern dazu eine klare Vorgabe: Tarifverträge haben grundsätzlich Vorrang!

Gemäß § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz hat euer Betriebsrat das Recht, bei sozialen Angelegenheiten wie Lohnfragen oder Arbeitszeiten mitzubestimmen. Das gilt aber nur so lange, wie kein Tarifvertrag existiert. Sobald solche Angelegenheiten tariflich vollständig geregelt sind, endet die Zuständigkeit des Betriebsrats oder der Tarifvertrag überstimmt eine vorher getroffene Betriebsvereinbarung.

Warum? So wird sichergestellt, dass der Tarifvertrag das wichtigste Regelwerk bleibt. Auch sollen Arbeitgeber motiviert werden, Tarifgebundenheit herzustellen. Wie bei einer gesetzlichen Regelung wird auch bei einem Tarifvertrag davon ausgegangen, dass damit ein ausreichender Schutz der Beschäftigten hergestellt wurde. Über solch abschließende tarifliche Regelungen gibt es betrieblich dann nichts mehr zu verhandeln.

Was bedeutet das konkret? Arbeitet ihr in einem tarifgebundenen Betrieb, wird die Dauer der Arbeitszeit dort schon durch Tarifvertrag geregelt. Sie gilt quasi wie ein Gesetz und kann durch interne Regelungen nicht ausgehebelt werden. Der Betriebsrat könnte also bestenfalls noch darüber verhandeln, wann gearbeitet wird. Ähnlich beim Geld: Ist die Lohnhöhe tariflich geregelt, können Mitbestimmungsrechte auf über- und außertarifliche Leistungen beschränkt sein.

Lilian Stolle hat selbst Erfahrung als Betriebsrätin. Nach dem Jurastudium arbeitet sie seit 2020 in der Kanzlei Mansholt & Lodzik, Schäfer, Raane, Cornelius in Darmstadt. Dort werden seit vier Jahrzehnten ausschließlich Arbeitnehmer*innen, Betriebs- und Personalrät*innen vertreten. Wie Rankings bescheinigen, mit höchster Qualität. Lilian Stolle ist Fachanwältin für Arbeitsrecht.
www.mansholt-lodzik.de
Foto: Mansholt Lodzik & Partner/ Foto Studio Hirch

Der Betriebsrat muss sich bei der Verhandlung einer Betriebsvereinbarung also stets drei Fragen stellen: Gibt es einen Tarifvertrag? Enthält der Tarifvertrag zu der Problematik eine abschließende Regelung? Oder gibt es eine Öffnungsklausel, die weitere Regelungen durch eine Betriebsvereinbarung zulässt?

Etwas anders liegt die Sache, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Dann gilt der allgemeine Tarifvorbehalt laut §77 (3) BetrVG. Und ein Betriebsrat müsste demnach prüfen, ob es einen für die Branche und die Region geltenden Tarifvertrag mit entsprechender Regelung und Öffnungsklausel gibt.

Fazit: Der Betriebsrat kann nicht die Rolle einer Ersatzgewerkschaft übernehmen. Gewerkschaftliche Tarifverträge bleiben das zentrale Regelwerk in Betrieben, Tarifbindung soll gestärkt werden.