Was Chef*innen nicht dürfen
Wen das neue Whistleblowergesetz schützt, ob der Chef die Teilnahme am Kickboxturnier verbieten kann und ob Beschäftigte untereinander über Geld sprechen dürfen – das sind neue Fragen in der Serie zum Arbeitsrecht. Bei den Antworten hat uns wieder Rechtsanwältin Regina Steiner aus Frankfurt am Main beraten.
Wir vermuten in einer unserer Abteilungen illegale Beschäftigung. Kann ich meinen Job verlieren, wenn ich das dem Zoll melde?
Das neue Hinweisgeber-Schutzgesetz sollte eine Kündigung ausschließen. Nach EU-Recht war das deutsche Gesetz überfällig. Für Betriebe ab 250 Beschäftigte ist das Gesetz im Juni in Kraft getreten, für kleinere Betriebe ab 50 Beschäftigte gilt es ab Mitte Dezember. Es soll sogenannte Whistleblower, die Missstände in Unternehmen aufdecken, besser gegen berufliche oder persönliche Nachteile absichern.
Vielfach kann das auch greifen. Laut Gesetz kann sich jemand an eine interne oder eine externe Meldestelle wenden. Die interne Meldung ist zu bevorzugen, wenn man sich nicht vor Repressalien fürchten muss und der Missstand vor Ort beseitigt werden kann. Geschützt sind aber nur Personen, die strafrechtlich relevante Dinge aufdecken, etwa wenn Leben, Leib oder Gesundheit von Menschen bedroht sind. Auch Ordnungswidrigkeiten sind abgedeckt, wenn beispielsweise Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz verletzt werden oder das Mindestlohngesetz nicht eingehalten wird. Eins ist allerdings unbefriedigend: Werden betriebliche Verhaltensgrundsätze oder Betriebsvereinbarungen nicht eingehalten, greift das Gesetz nicht.
Stimmt es, dass auch der Betriebsrat nach dem neuen Whistleblowergesetz Hinweise von Beschäftigten entgegennehmen kann?
Ja, ich würde es aber nicht empfehlen. Vornweg: Das Whistleblowergesetz verlangt verschiedene betriebliche Maßnahmen. Auch eine interne Meldestelle in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten ist einzurichten. Leider wird nicht verlangt, dass die Meldewege unbedingt anonym sein müssen. Betriebsräte haben generell darüber zu wachen, dass das Gesetz umgesetzt wird. Sie können Einfluss nehmen, mit wem die betriebliche Meldestelle besetzt wird. Aber Whistleblower-Hinweise entgegenzunehmen, davon würde ich abraten. Statt sich Aufgaben als Meldekanal aufzuladen, ist es besser, mit dem Unternehmen eine Betriebsvereinbarung zu verhandeln, wie das Hinweisgeber-Schutzgesetz umgesetzt werden soll und wie vertrauliche Informationswege garantiert werden können. Eine interne Meldestelle muss sogar durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden; es sind zwingend Mitbestimmungsrechte betroffen.
Arbeitszeit wird bei uns am Computer erfasst. Aber der muss erst hochfahren und macht oft noch Updates, bevor ich mich einloggen kann. Ist das nicht schon Arbeitszeit?
Ja, definitiv. Unternehmen sind verpflichtet, die Arbeitszeit genau zu dokumentieren. Geschieht das über Zeiterfassungssysteme, die am Eingang zum Betrieb stehen, ist das rechtens. Erfolgt eine An- oder Abmeldung aber über eine Computersoftware erst am Arbeitsplatz, müssen notwendige Vor- oder Nacharbeiten, eventuell auch Wege dorthin, eingerechnet werden. Laut Bundesarbeitsgericht ist eine »systembedingte Arbeitsvorbereitung« – also Rechner hochfahren und Programme öffnen – vergleichbar mit sogenannten Rüstzeiten für das Anziehen von Firmen- oder Schutzkleidung. Das gehört zur Arbeitszeit, die bezahlt werden muss. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung muss die Arbeitszeit exakt erfasst werden. Eine pauschale Zugabe für Rüstzeiten geht deshalb nicht.
Laut Arbeitsvertrag endet mein Arbeitsverhältnis mit dem 65. Lebensjahr. Werde ich etwa nicht bis zur regulären Altersrente beschäftigt?
Keine Sorge. In manchen älteren Arbeitsverträgen wurde das vollendete 65. Lebensjahr festgeschrieben – was damals nur eine andere Bezeichnung war für das gesetzliche Rentenalter. Seit sich mit dem sogenannten Rentenanpassungsgesetz von 2007 diese Regelaltersgrenze schrittweise erhöht, ist eine solche Vertragsklausel so zu verstehen, dass das Arbeitsverhältnis gilt, bis jemand die individuelle Altersgrenze für seine Rente erreicht hat.
Demnächst will ich am Wochenende wieder zu einem Kickboxturnier fahren. Mein Chef möchte mir die Teilnahme verbieten, weil er fürchtet, ich könnte mich verletzen und ausfallen. Es gebe gerade jetzt eine Menge zu tun.
Das darf er nicht. Sein Weisungsrecht endet am Betriebstor. Etwas weiter reicht es im Fall von mobilem Arbeiten, aber darum geht es ja hier nicht. Grundsätzlich gilt: Was Beschäftigte in ihrer Freizeit tun, ist Privatsache.
Ist es tatsächlich erlaubt, im Bewerbungsgespräch Fragen nach persönlichen Dingen auszuweichen oder sie nicht ganz wahrheitsgemäß zu beantworten?
Ja. Man spricht hier sogar vom »Recht zur Lüge«, wenn etwa Fragen nach Kinderwunsch oder Schwangerschaft, nach Religions-, Partei- oder Gewerkschaftszugehörigkeit gestellt werden. Denn solche Themen sind in Bewerbungsgesprächen eigentlich tabu. Wahrheitsgemäß sollte man antworten, wenn es um den beruflichen Werdegang, Abschlüsse und Qualifikationen geht und um die Stelle, auf die man sich beworben hat.
Ich bin noch in der Probezeit, müsste aber dringend drei Tage Urlaub nehmen. Stimmt es, dass ich das nicht darf?
Jein. Auch in der Probezeit erwerben Beschäftigte Anspruch auf Urlaub, auf den kompletten Jahresurlaub allerdings erst nach sechs Monaten. Bis dahin steht jeder Person pro vollen Monat im Arbeitsverhältnis im Prinzip ein Zwölftel des Jahresurlaubs zu. Einzelheiten regelt das Bundesurlaubsgesetz. Drei Tage sollten bei Dringlichkeit nach zwei Monaten im Betrieb drin sein. Allerdings muss das Unternehmen einen Urlaubsantrag mit Verweis auf die Probezeit nicht genehmigen.
Über Geld spricht man nicht, wird mir oft entgegengehalten, wenn ich im Betrieb mal aufs Gehalt zu sprechen komme. Gibt es da wirklich Beschränkungen?
Unsinn. Natürlich dürfen Kolleg*innen untereinander übers Gehalt sprechen. Erst recht, seit ab 2017 das Entgelttransparenzgesetz gilt, das für mehr Offenheit in Sachen Bezahlung sorgen und Ungleichbehandlung entgegenwirken soll. Und selbst wenn auf sogenannte Verschwiegenheitsvereinbarungen im Arbeitsvertrag verwiesen würde, wären die kein Hindernis. Solche Verpflichtungen gelten bestenfalls für betriebliche Abläufe. Sollten sie das Gehalt betreffen, sind sie unwirksam.
Noch mehr Fragen? Dann schreibt uns an dvpi@verdi.de
Interessante Fragen veröffentlichen wir in DRUCK+PAPIER.
Frau Steiner, eine Frage:
Wer hat beim Einsatz von KI mitzureden?
Künstliche Intelligenz, kurz KI, kommt in Betrieben immer öfter zum Einsatz. Unternehmen haben ein Weisungsrecht über die Arbeitsmittel, also auch darüber, welche und wie viele KI-Systeme sie einsetzen, um Produktionsprozesse zu optimieren oder Personalentscheidungen zu treffen. Dabei müssen sie allerdings auf die Rechte der Beschäftigten Rücksicht nehmen. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht dürfen nur so weit erfolgen, wie sie verhältnismäßig sind und wenn dem Unternehmen keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Mit künstlicher Intelligenz können zum Beispiel Erkenntnisse über die Persönlichkeitsstruktur der Beschäftigten gewonnen werden, Bewegungsmuster erstellt sowie ihre Stärken und Schwächen analysiert werden. Wenn dabei Persönlichkeitsrechte verletzt werden, kann das einen Schadensersatzanspruch begründen.
Allerdings haben einzelne Beschäftigte nur wenig Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten darüber, was die KI alles kann und tut. Hier sind die Betriebsräte gefragt. Sie haben verschiedene Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz. Zwar gibt es kein spezifisches Mitbestimmungsrecht bei KI-Systemen. Betriebsräte müssen aber gemäß § 87 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz bei der Einführung von technischen Einrichtungen zustimmen, die in der Lage sind, Verhalten und Leistung von Beschäftigten zu kontrollieren. In einer Betriebsvereinbarung sollten deshalb bei Einführung von KI-Systemen die Rechte der Beschäftigten gesichert und Regeln festgelegt werden. Verhandlungen darüber sind erzwingbar und können in der Einigungsstelle zu einem Ergebnis gebracht werden. Betriebsräte haben außerdem das Recht, einen Sachverständigen hinzuzuziehen (§ 80 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz), der vom Unternehmen zu bezahlen ist. Betriebsräten ist zu raten, sich über ihre Rechte bei der Einführung von KI-Systemen schulen zu lassen. Das Thema bekommt immer mehr Brisanz – zum einen sind Persönlichkeitsrechte zu schützen und zum anderen führt der Einsatz von KI oft zum Arbeitsplatzabbau.
Regina Steiner ist erfahrene Fachanwältin für Arbeitsrecht. Aus Überzeugung stellen sie und ihre Partnerinnen im Anwaltsbüro Steiner Mittländer Fischer in Frankfurt am Main ihr Wissen nur den Arbeitnehmer*innen zur Verfügung. Sie unterstützen Beschäftigte bei allen rechtlichen Problemen im Arbeitsleben und vertreten Betriebsräte und Gewerkschaften.
Foto: Steiner Mittländer Fischer