Allein herrschen war gestern
Vom Impfen über Homeoffice bis zu Steuern nach der Kurzarbeit – die Corona-Pandemie hat neue rechtliche Fragen aufgeworfen. Bei den Antworten hat uns Rechtsanwältin Regina Steiner aus Frankfurt am Main beraten.
Darf mein Chef fragen, ob ich geimpft bin, oder die Impfung anweisen?
Nein, darf er nicht. Impfen erweist sich zwar als wirksames Mittel zur Bekämpfung der Pandemie. Aber es gibt keine gesetzliche Impfpflicht gegen SARS-CoV-2. Arbeitgeber sind lediglich zu betrieblichen Testangeboten verpflichtet, beim Impfen sind sie außen vor. Eine Impfung betrifft das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit. Dass Unternehmen interessiert sind zu wissen, ob die Belegschaft geimpft ist, ändert nichts daran, dass die Gesundheit der Beschäftigten gemäß Datenschutz-Grundverordnung zu den besonders schützenswerten personenbezogenen Daten gehört. Ein Fragerecht existiert also nicht, ausgenommen bei Beschäftigten in Kliniken, Arztpraxen und ähnlichen Einrichtungen. Noch weniger rechtens wären Anweisungen zum Impfen. Auch per Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag lassen sich eine Impfverpflichtung oder eine Auskunftspflicht der Beschäftigten nicht einführen. Impfen bleibt freiwillig. Wenn ein Unternehmen möchte, dass sich möglichst viele Beschäftigte impfen lassen, kann es die Belegschaft zum Impfen bezahlt freistellen oder Impftermine im Betrieb organisieren. Bei materiellen Anreizen hätte der Betriebsrat mitzubestimmen.
Im Homeoffice hat es sich eingebürgert, auch Mails, die abends eintrafen, kurzfristig zu beantworten. Darf das zur Norm werden?
Nein. Homeoffice ist eine Form des mobilen Arbeitens. Sie ermöglicht es, unter Nutzung technischer Möglichkeiten zeitweilig auch im Privatbereich für das Unternehmen zu arbeiten. Doch gelten auch hier Regeln zum Arbeitsschutz und zur Arbeitszeit. Daraus folgt: Niemand muss ständig erreichbar sein. Auch im Homeoffice gilt die aktuelle Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Außerdem sind tarifvertragliche und gesetzliche Bestimmungen zur Arbeitszeit einzuhalten. Ein Arbeitstag hat also in der Regel acht Stunden, nach sechs Stunden muss eine Pause von 30 Minuten eingelegt werden. Gibt es keine digitale Zeiterfassung, sollten sich Beschäftigte ihre Arbeitszeiten notieren. Vielerorts wurden inzwischen gesonderte Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten abgeschlossen, in denen auch die Erreichbarkeit geregelt ist.
Seit Sommer 2021 gibt es auch ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit. Betriebsräte können dafür sorgen, dass es zu keiner Entgrenzung der Arbeit im Homeoffice kommt. In Betriebsvereinbarungen sollten beispielsweise die Dauer der mobilen Arbeit, der Ort, eine Anwesenheitspflicht im Betrieb, die Arbeitszeit und die Arbeitszeiterfassung sowie der Umgang mit mobilen Endgeräten geregelt werden.
Darf die Firma alle, die im Homeoffice arbeiten, online überwachen?
Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass die Pandemie zu einem verstärkten Einsatz sogenannter People Analytics Tools geführt hat. Vorrangig wollen Unternehmen Daten für geschäftliche Entscheidungen sammeln und auswerten. Doch lässt sich die Software auch zur Überwachung einsetzen, etwa für Beschäftigte im Homeoffice. Erfasst wird zum Beispiel, wann gearbeitet wird, welche Programme genutzt und welche Webseiten besucht werden. Allerdings sagt das wenig über die Produktivität der Arbeit aus.
Wie andere technische Neuerungen, die das Verhalten oder die Leistung von Beschäftigten überwachen, ist der Einsatz solcher Software mitbestimmungspflichtig nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz. Die Interessenvertretung sollte genau hinschauen, was da wozu ausgewertet werden soll. Gibt es keinen Betriebsrat, kann der Arbeitgeber im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes verfahren, wie er möchte. Gewerkschaften weisen darauf hin, dass die gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz mit zunehmender Digitalisierung nicht mehr ausreichen. Der DGB hat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte beim Einsatz künstlicher Intelligenz gefordert. Rechte von Beschäftigten sollten besser geschützt werden.
Wir haben keinen Betriebsrat. Der Chef hat in der Pandemie einige Anordnungen allein durchgesetzt. Müssen wir das schlucken?
Auch wenn es im Betrieb keinen Betriebsrat gibt, dürfen und sollen sich die Beschäftigten für den Schutz ihrer Gesundheit einsetzen: § 81 des Betriebsverfassungsgesetzes schafft ein Anhörungsrecht für Beschäftigte. Es betrifft alle Maßnahmen zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Deshalb sollte man das sachliche Gespräch suchen. Auch Vorschläge müssen gehört werden. Zusätzlich sieht § 17 des Arbeitsschutzgesetzes ein Beschwerderecht vor. Wenn das Unternehmen bei angezeigten Mängeln oder berechtigten Forderungen keine Abhilfe schafft, können sich auch einzelne Beschäftigte an die zuständige Behörde wenden – je nach Bundesland ans Gewerbeaufsichtsamt oder Amt für Arbeitsschutz. Dort muss man dem Problem nachgehen, selbst wenn die Beschäftigten anonym bleiben wollen. Ihnen dürfen keine Nachteile entstehen.
Bei uns wird gemunkelt, dass Büroschreibtische eingespart werden und künftig abwechselnd im Büro und im Homeoffice gearbeitet werden soll. Geht das?
Nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats: Ändern sich die Arbeitsplätze, hat der Betriebsrat Beratungs- und Unterrichtungsrechte nach § 96 Betriebsverfassungsgesetz. Er muss bei der Planung mitsprechen und seine Vorschläge unterbreiten können. Widerspricht der Plan des Unternehmens gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Sollte gar eine Betriebsänderung vorliegen, müssen in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt werden.
Ein Mitbestimmungsrecht besteht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Gerade unter den Bedingungen des Infektionsschutzes betrifft das die etwaige Reduzierung von Arbeitsplätzen im Betrieb oder geplante Doppelbelegungen. Der Betriebsrat sollte vom Grundsatz ausgehen, dass Arbeit im Homeoffice freiwillig ist und die Arbeitsplätze im Betrieb erhalten bleiben. Da, wo durch Corona gleichzeitig Kinderbetreuung notwendig ist oder Beschäftigte mit Vorerkrankungen besonderen Risikogruppen angehören, kann es auch am Ende einer Pandemie sinnvoll sein, Sonderregelungen zu treffen, selbst wenn das Gros der Beschäftigten bereits in den Betrieb zurückgekehrt ist. Der neue § 87 Abs. 1 Nr. 14 Betriebsverfassungsgesetz eröffnet hier Regelungsmöglichkeiten.
Wir waren im vergangenen Frühjahr etliche Wochen in Kurzarbeit. Jetzt höre ich, dass man darauf Steuern nachzahlen muss. Das ist doch ungerecht!
Für mehr als zehn Millionen Menschen wurde 2020 in der Corona-Krise Kurzarbeitergeld beantragt. Die Arbeitslosenzahl ist um fast eine halbe Million gestiegen. Viele Menschen erhielten Lohnersatzleistungen, also Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld I oder Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Solche Leistungen sind zwar steuerfrei, doch erhöhen sie den Steuersatz auf den regulären Arbeitslohn. Sie unterliegen dem sogenannten Progressionsvorbehalt. Das gilt auch, wenn die Gewerkschaft Zuzahlungen der Arbeitgeber auf das Kurzarbeitergeld erkämpft hat. Der Arbeitgeber musste monatlich nur so viel Lohnsteuer abführen, als wären keine Ersatzleistungen gezahlt worden. Abgerechnet wird erst am Ende vom Finanzamt. Wer mehr als 410 Euro Kurzarbeitergeld erhalten hat, muss für 2020 eine Steuererklärung abgeben. Lohnsteuerhilfevereine unterstützen dabei. Durch den erhöhten Steuersatz können nicht unbeträchtliche Nachzahlungen fällig werden. Der DGB fordert deshalb, den Progressionsvorbehalt auszusetzen. Wer durch Kurzarbeit schon erhebliche Einkommenseinbußen verkraften musste, soll nicht auch noch mit höheren Steuern zu kämpfen haben. Zumindest die Fristen zur Abgabe der Steuererklärung wurden bis 31. Oktober 2021 verlängert. Mit Steuerberater*in ist hierfür Zeit bis 31. Mai 2022.
Frau Steiner, eine Frage!
Wie nutzen Betriebsräte in der Pandemie ihre Mitbestimmungsrechte?
»Betriebsräte müssen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz mitbestimmen. Das ist ausdrücklich in § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Das Unternehmen darf keine Maßnahmen ohne den Betriebsrat anordnen. Während der Corona-Pandemie hat der Arbeits- und Gesundheitsschutz allerdings in vielen Betrieben gelitten. Unternehmen haben einseitig Maßnahmen angeordnet und Betriebsräte haben in vielen Fällen stillgehalten. Auch wenn sich die Lage akut entspannt, bleibt das Thema wichtig. Vor weiteren Pandemien in der Zukunft wird gewarnt.
In der zweiten Corona-Welle ist in vielen Betrieben das Tragen von FFP2-Masken verpflichtend angeordnet worden. Manchmal sogar auf dem kompletten Betriebsgelände, also auch im Freien. In der DGUV Regel 112-190 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung steht, dass FFP2-Masken bei der Arbeit nicht länger als 75 Minuten am Stück getragen werden dürfen. Sie wurde kaum beachtet. Dabei schreibt sie zur Vermeidung von Berufskrankheiten im Umgang mit Atemschutzgeräten, hier speziell Filtermasken, genaue Regeln und die Begrenzung von Tragezeiten vor.
Betriebsräte können durch ausreichende Pausen dafür sorgen, dass ein Ausgleich für die Belastungen geschaffen wird. Dient eine Pause allein dem Arbeitsschutz, muss sie vom Arbeitgeber im Übrigen bezahlt werden. Auch die Frage, ob es zwingend eine FFP2-Maske sein muss oder andere Schutzmaßnahmen ausreichen, unterliegt der Mitbestimmung.«
Regina Steiner ist erfahrene Fachanwältin für Arbeitsrecht. Sie und ihre Partnerinnen im Anwaltsbüro Steiner Mittländer Fischer in Frankfurt am Main stellen ihr Spezialwissen aus Überzeugung »nur der Arbeitnehmerseite zur Verfügung«. Sie unterstützen Beschäftigte bei allen rechtlichen Problemen, die im Arbeitsleben auftreten, vertreten Betriebsräte und Gewerkschaften.
Im Internet unter steiner-mittlaender.de