Es gibt ein Leben nach der Kündigung
Innerhalb von vier Wochen machte die Geschäftsleitung das Druckhaus des Westfalen-Blatts in Bielefeld dicht. 52 Kolleg*innen verloren ihre Arbeit. Kurz darauf wechselten die Gekündigten in die Transfergesellschaft. Das ist ein Vierteljahr her. Was machen sie heute?
Drucker, 57
»Ich war zuerst unter Schock. Mit 57 auf den Arbeitsmarkt? Da muss man nicht mehr los, dachte ich. Aber nachdem wir von der Transfergesellschaft beraten wurden, habe ich mich aufgerafft: drei Bewerbungen, drei Vorstellungsgespräche, drei Zusagen. In einer Druckerei war der Stundenlohn um die vier bis fünf Euro unter dem Druck-Tarif und es hieß, man müsse auch mal länger arbeiten. Tatsächlich sind dort zehn bis zwölf Stunden am Tag üblich. Das machen die Leute auch mit, weil sie mit den Überstunden den niedrigen Stundenlohn aufstocken. Da habe ich es besser. Seit Kurzem arbeite ich in einer Tiefdruckerei, wo der Tarifvertrag der Druckindustrie mitsamt der 35-Stunden-Woche, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gilt.
Aber ich hätte nicht gedacht, dass der Unterschied vom Offset- zum Tiefdruck so groß ist. Das ist ein ganz anderes Druckverfahren. Im Offset wiegen die Druckplatten nur wenig. Aber Tiefdruckzylinder zu wechseln, ist echt körperlich anstrengend und das spüre ich auch nach der Schicht noch. Außerdem dauert die Nachtschicht bis morgens um 6 Uhr. Im Zeitungsdruck hatten wir schon um 2.30 Uhr ausgedruckt. Es ist auch eine Umstellung, wieder von vorn anfangen zu müssen. Es gibt so viel, was ich lernen muss. Zum Glück werde ich drei Monate lang eingearbeitet. Der einzige Nachteil ist der befristete Vertrag. Nach einem Jahr wird um ein weiteres Jahr verlängert. Dann bin ich nach zwei Jahren unbefristet beschäftigt. Oder raus.«
Rainer Arndt, 65, Rotationshelfer
»Bei all dem Mist, der da gelaufen ist, habe ich es noch gut getroffen. Nach 40 Jahren fürs Westfalen-Blatt bin ich jetzt in der Transfergesellschaft. Der Coach ist prima. Ein Training für Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräche nehme ich gerne in Anspruch, glaube aber, dass es sich für mich erübrigt. Durch meine lange Beschäftigungszugehörigkeit habe ich Anspruch auf die maximale Dauer von zwölf Monaten in der Transfergesellschaft. Dann muss ich nur noch fünf Monate bis zu meiner Rente überbrücken. Wir hatten ja damit gerechnet, dass die Druckerei zumacht, aber so schnell? Mir tun die Kolleg*innen leid, die nach vielen Jahren vor die Tür gesetzt werden und sich was Neues suchen müssen.«
Foto: privat
Foto: Veit Mette
Janina Kraemer, 55, Floristin
»Für mich hat sich viel verändert. Ich bin in meinen Beruf als Floristin zurückgekehrt und in einer Gärtnerei mit Hofladen angestellt, wo Tulpen und Rosen gezüchtet werden. Ich liebe Rosen und Tulpen! Jetzt bin ich die einzig Gelernte unter Ungelernten. Beim Westfalen-Blatt war ich die angelernte Einlegerin. Die Arbeit konnte ich ohne viel Nachdenken erledigen. Heute kreisen die Gedanken auch noch nach Feierabend in meinem Kopf: Habe ich an alles gedacht? Ist die Bestellung raus? Aber das ist eine positive Anstrengung. Ich freue mich jeden Tag darüber, Kund*innen zu beraten, Sträuße zu binden, die Deko neu zu arrangieren.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich beim Westfalen-Blatt entlassen werde. Auf einmal hieß es: ›Du stehst auf der Liste.‹ Nach 17 Jahren? Schock. Ich konnte es nicht glauben. Ich war bei der ersten Entlassungswelle dabei, als im April die Produktion der Anzeigenblätter eingestellt und 45 Leuten gekündigt wurde. Aber noch mal in einer Druckerei arbeiten, das wollte ich nicht. Keine Fabrik mehr. Da bist du als Angelernte nur eine Nummer. Heute mache ich keine Arbeit auf Abruf mehr und brauche auch nicht zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. Jetzt habe ich eine volle Stelle mit verlässlichen Arbeitszeiten.«
Betriebsschlosser, 56
»Seit ich auf Jobsuche bin, betrachte ich das Gerede über den Fachkräftemangel kritischer. Manchmal stellt sich vor Ort heraus, dass – anders als in der Anzeige behauptet – doch nicht nach Tarif bezahlt oder erwartet wird, dass man früher kommt und länger bleibt. Ich habe den Eindruck, die Betriebe hätten am liebsten junge Leute mit viel Know-how, die wenig kosten. Auf meine Bewerbung in einem großen Familienunternehmen, wo es auf der Website nur so von jungen Leuten wimmelt und eine Duz-Kultur herrscht, habe ich sofort eine Absage erhalten. Vermutlich bin ich für die zu alt. Ich habe jetzt zwölf Bewerbungen geschrieben und wurde zu sechs Vorstellungsgesprächen eingeladen. Aber ich lege Wert auf verlässliche Arbeitszeiten und einen guten Lohn. Ich mache mir trotzdem nicht allzu große Sorgen, wieder Arbeit zu finden.«
Zum Hintergrund:
»Wir wurden überrannt«
Abrupte Schließung der Druckerei des Westfalen-Blattes in Bielefeld