Editorial

Mal angenommen: Eine Familie, die ihr Häuschen in der Flut im Ahrtal verlor, stimmt für eine Partei, die nichts gegen die Klimakrise tun will. Ein Arbeiter mit Mindestlohn sympathisiert mit der Partei, die gegen dessen Erhöhung auf zwölf Euro war. Und eine Arbeitslose wählt Politiker*innen, die das Bürgergeld kürzen und auf sechs Monate begrenzen wollen. Kurzum: Die Menschen, die AfD wählen, würden am stärksten unter einer AfD-Politik leiden (siehe Seiten 12 bis 13 »Zehn Argumente gegen die AfD«).

Warum stärken Wähler*innen eine Partei, die ihre Interessen mit Füßen tritt? Aus Protest gegen Perspektivlosigkeit und hohe Strompreise? Aus Unzufriedenheit und Angst vor dem Abstieg? Oder weil die AfD offen gegen Zuwanderung hetzt. Weil sie autoritär und völkisch ist und ein Familienbild von vorgestern pflegt. Die Leipziger Autoritarismus Studie hat herausgefunden, dass fast jede*r dritte Befragte in Ostdeutschland »manifest ausländerfeindlich« sei, in Westdeutschland mehr als jede*r zehnte. Vier von zehn Befragten in Ostdeutschland finden, dass Deutschland »überfremdet« sei.

»Wer AfD wählt, kriegt Herrn Höcke«, sagt der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Das gilt leider nicht nur für Thüringen. Egal wo: Wer AfD wählt, bringt Faschist*innen an die Macht. Das ist bedrohlich. Für manche Bevölkerungsgruppen stärker als für andere. Für Menschen aus eingewanderten Familien, für Muslim*innen, Jüdinnen und Juden, Antifaschist*innen, Linke, Klimaaktivist*innen, Frauen, Grüne, Queers. Fragt sich, was die Mehrheit unternimmt. Was tut sie, wenn die Völkischen in Bürgerhäusern Wahlkampfauftakte feiern? Was tut sie, um die Rechtsextremen von Bühnen und Plätzen fernzuhalten? Oder wenn rassistische Posts die Runde machen? Augen zu, zu Hause bleiben, Mund halten? Die AfD verliert dort Stimmen, wo es Widerstand gibt.

Michaela Böhm