Porträt

Keine Angst vor dem Puck

Wie einer, der ungern im Mittelpunkt steht, in der ersten Reihe landet. Daniele Lupo, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender der Druckerei Eberl & Koesel

Daniele Lupo sieht man nicht. Jedenfalls nicht gleich. Mal steckt er mit halbem Oberkörper im Kofferraum seines Autos, um die Stangen für die Transparente herauszuholen. Mal schleppt er einen Kasten Bier für die Kolleg*innen aus dem Getränkemarkt. Oder er hält mit den anderen das 15 Meter lange Protestbanner auf dem Klosterplatz in Immenstadt. Von ihm lugen nur Kappe, Brille, Bart hervor. Das ist ihm recht. Er steht nicht gern im Mittelpunkt.

Im Juni hat Eberl & Koesel die Druckerei im Allgäu dichtgemacht. Nach Fusion, Corona-Krise und Insolvenz. Über zwei Monate protestierten fast jeden Samstag ehemalige Beschäftigte im Stadtzentrum. »Herr Eberl macht die Firma platt. Baut Wohnungen in Immenstadt«, stand auf den Transparenten. Gelbe Westen, Megafone, Sprechchöre – das fällt auf in einer Stadt, wo der größte Aufreger ein nackter Campingurlauber ist.

Ex-Betriebsratsvorsitzender Daniele Lupo, 40, ist jetzt auch ohne Arbeit. Ob ihn das umtreibt? Er zupft an seinem Bart. Wie er das immer tut, wenn er überlegt. Nein, Existenzangst habe er keine. »Irgendwas werde ich finden.« Kein böses Wort über Ulrich Eberl. Warum sollte er. Das ist keine persönliche Fehde.

Druck auf Eberl

Ulrich Eberl ist im Oberallgäu bekannt. 2001 übernahm er vom Vater Druckerei, Agentur und Allgäuer Anzeigenblatt. Unwillig, wie man ihm nachsagt. Der Mann, für den die CSU laut Süddeutscher Zeitung die »einzige wirkliche Volkspartei in Deutschland« ist, hätte sich lieber in der Politik gesehen.

Stattdessen leitete er die Druckerei – mitten in die Insolvenz hinein. Mit der Schließung verloren 270 Beschäftigte ihre Arbeit. Jetzt baut Eberl Wohnungen. Auf dem Areal, wo einst die Druckerei stand, bevor sie – mit Kösel verschmolzen – nach Altusried-Krugzell zog.

An diesem Samstag haben sich drei Dutzend Ex-Beschäftigte mit ihren Bannern an den Einfallstraßen aufgestellt. »Partnerschaftssuche: Suche Mieter. Verschenke Mitarbeiter.« An den großen Buchstaben kommt keiner vorbei. Auch die Jungs vom Junggesellenabschied nicht. Ein Drucker erklärt ihnen, warum er hier protestiert: »Der Eberl hat uns arbeitslos gemacht. Zahlen kann er uns nix. Angeblich ist er pleite. So pleite, dass er jetzt Wohnungen baut.« »So ein Scheißkerl«, sagt der Bräutigam. Die Proteste sollen Druck machen auf Eberl, damit er Geld für Abfindungen herausrückt.

»Hier, nimm das, spann das mal auf« – bei Lupo klingen Aufforderungen wie Vorschläge – freundlich und nett. Heute ist sein Hochzeitstag, kurz nachgerechnet: der achtzehnte. Wie meist an den Protestsamstagen sind seine Frau Manuela und die beiden Söhne dabei: das Team Lupo.

Er zählt die Kollegen durch. »Sind schon weniger«, murmelt er. Manche haben neue Stellen gefunden, andere wollen nichts mehr von Eberl & Koesel wissen. Mehr als ein Drittel sucht noch Arbeit, schätzt Lupo. Zum Glück stellt Bosch in Immenstadt gerade Leute ein; die Drucker erhalten Facharbeiterlöhne. Schwer haben es Helfer und Ältere.

Wer den Samstagvormittag für die Kundgebung opfert, hält viel von Daniele Lupo. »Der setzt sich komplett für uns ein.« Immer da, immer erreichbar. Auch am Wochenende. Wer nicht auf seiner Seite steht – ein paar aus Verwaltung und Vertrieb –, geben ihm, dem Betriebsrat und ver.di die Schuld für die Betriebsschließung. Das perlt an ihm ab.

Ein gutes Team: Ex-Stellvertreter Carlos Abate, Ex-Vorsitzender Daniele Lupo und Gewerkschaftssekretär Stefan Milisterfer (v.l.)

Was ihm nahegeht, sind Behauptungen wie die von Eberl, der Betriebsrat habe Fristen versäumt und deshalb gäbe es kein Geld für die Leute. »Warum sollte ich was tun, was den Beschäftigten schadet.« Es klingt wie: Wie-kann-man-so-was-von-mir-denken. Oder wenn das Arbeitsgericht Kempten seit einem Jahr nichts nach der Anzeige wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit von sich hören lässt. Und nichts unternimmt wegen der Verstöße gegen die Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. »Das bringt den Lupo in Erklärungsnot«, sagt Gewerkschaftssekretär Stefan Milisterfer. Wenn die Kollegen glauben könnten, der Betriebsrat unternimmt nichts und redet sich raus. Obwohl wegen der Überlastung der Arbeitsgerichte der Termin auf sich warten lässt.

Maulen reicht nicht

Vor Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, den Chef anzuzeigen, weil er gegen eine Betriebsvereinbarung verstößt. Das damalige Betriebsratsgremium tat stets, was Eberl geheißen. Die frühere Betriebsratsvorsitzende, so erzählen sich Altkollegen, habe unterschrieben, was ihr Eberl hinschob. Bis die ersten aus der Belegschaft murrten. Es ist Lupo, der sagt: »Maulen reicht nicht. Lasst uns kandidieren.« Die Eberl-Freundlichen und die Betriebsratsvorsitzende traten zurück. Jetzt waren fast nur Neulinge im Gremium. Wie Lupo. »Ich wusste viel zu wenig von Betriebsratsarbeit.« Er besuchte ver.di-Schulungen, lernte den Gewerkschaftssekretär Stefan Milisterfer kennen, den er nur halb im Spaß »den Allwissenden« nennt. Als ihn die neue Betriebsratsvorsitzende Sabine Birkmann als ihren Stellvertreter vorschlagen wollte, bat sich Lupo Bedenkzeit aus. Es war Sommer und wie jedes Jahr reiste er mit seinem Team Lupo nach Castelvetere in Val Fortore, einem Dorf in Kampanien. Dort ist sein Großvater her, dort sind seine Eltern geboren. Dort ist sein Stück Land, nichts wert, aber seins. Viel Platz und weit und breit niemand.

Stressresistent

Er überlegte und sagte zu. Im Vertrauen auf die Vorsitzende. »Trotz der Schulungen wusste ich noch zu wenig.« Kurze Zeit später verunglückte die Sportlerin in den Bergen. Zu der Schockstarre über ihren Tod überwältigte ihn das Gefühl der Überforderung. »Es war niemand mehr vorn, den ich fragen konnte.«

Fünf Jahre ist das her. Fusion, Stellenabbau, Organisierung der Beschäftigten für die Gewerkschaft, Mitgliedertreffen, Forderungen aufstellen, Streiks für einen Haustarifvertrag, Erfolge, Niederlagen, wieder Erfolge, Krise, Insolvenz – die Schlagzahl war enorm. Aus einem Betriebsrat, der nie eine Betriebsvereinbarung kündigte, wurde einer, der kurzerhand vor Gericht zog, wenn der Chef gegen Gesetze verstieß. Beschäftigte, die sich einst von Eberl 24 Pflichtsamstage im Jahr aufzwingen ließen, entwickelten sich zu einer Belegschaft, die selbstbewusst ihre Rechte einforderte.

Aus dem Lupo, der sich nie schlau genug fühlte, wurde einer, der sich akribisch auf jede Sitzung und jeden Gerichtstermin vorbereitet. Der es schaffte, im Betriebsrat Aufgaben zu delegieren, ohne jemanden zu über- oder zu unterfordern. »Er hat eine natürliche Autorität«, sagt Stefan Milisterfer von ver.di. Lupo wird zum wichtigsten Mann im Betrieb. So wie als Eishockeytorwart beim SSV Niedersonthofen: das letzte Glied in der Verteidigungskette seiner Mannschaft, Angriffe abwehren, hart im Nehmen, keine Angst vor dem Puck.

Hat ihm die Zeit im Betrieb zugesetzt? Daniele leicht genervt: Was für eine Frage. Sein Handy zappelt alle 15 Minuten auf dem Tisch. Er schaut drauf: Kollegen rufen an und Leute aus dem Fußballverein. Dort ist er Jugendvorstand. »Ich nehme Probleme nicht mit heim. Die lasse ich an der Stempeluhr.«

ver.di fragt, ob er sich vorstellen könne, Gewerkschaftssekretär zu werden? Er bittet um Bedenkzeit. Bespricht sich mit seinem Team Lupo. Und sagt zu.

Daniele Lupo

wurde 1981 in Thalkirchdorf geboren. »Dahl«, wie der Ort auf Allgäuerisch heißt, gehört zu Oberstaufen. Mit 14 Jahren lernte er Maurer, gab den Beruf jedoch auf Rat seines Arztes auf. Zunächst arbeitete er als Hilfsarbeiter bei der Druckerei Eberl in Immenstadt, mit Perspektive auf einen Ausbildungsplatz als Drucker. Doch den bekam der Sohn des Ausbilders. Die Zeit bis zum nächsten Ausbildungsjahr überbrückte er – mit 19 Jahren inzwischen Vater geworden – als Kommissionierer in Nachtschicht in einer Strumpffabrik. Schließlich startete er die Umschulung zum Drucker bei einer Akzidenzdruckerei. Seine ersten Druckaufträge waren Sterbebildchen – Totenzettel für die Trauergäste. Also erst einmal Schwarz und Weiß. Dabei wollte er doch Drucker werden, weil ihm die Kollegen vorgeschwärmt hatten, was einem exzellenten Drucker mit »brutalem Farbauge« alles gelingen könne. Die Ausbildung beendete er als Bundessieger im Beruf Drucker der Handwerksjugend, wechselte zu einer Tochterfirma der Allgäuer Zeitung und 2008 zu Eberl. In jenem Jahr trat er in die Gewerkschaft ein.

Daniele Lupo arbeitet demnächst beim ver.di-Bezirk Kempten.