Darum ist uns der Mantel viel wert
Tariflose Betriebe: länger arbeiten, weniger verdienen | Jahrelang keine Lohnsteigerungen | Abhängig vom Wohlwollen des Unternehmers
Mal angenommen, es gäbe keinen Manteltarifvertrag. Ob Zuschläge oder Urlaubstage, ob wöchentliche Arbeitszeit, Jahresleistung und Urlaubsgeld – alles hinge vom Wohlwollen des Druckereibesitzers ab. Nur das Gesetz würde die Beschäftigten davor schützen, noch mehr ausgepresst zu werden. DRUCK+PAPIER hat sich in tariflosen Druckereien umgehört.
Täglich eine Stunde unbezahlt
Beispiel Druckzentrum Oberfranken in Bamberg. In der tariflosen Druckerei, die zur Mediengruppe Oberfranken gehört, werden die Zeitungen Fränkischer Tag, Saale Zeitung, Bayerische Rundschau und Coburger Tageblatt produziert. Jeden Tag arbeiten die Drucker eine Stunde unbezahlt. »Das macht mich selbst nach Jahren noch ungeheuer wütend«, sagt einer. Seit der Betriebsneugründung 2015 gilt der Manteltarifvertrag der Druckindustrie nicht mehr.
Der Belegschaft wurden neue Arbeitsverträge verpasst. Statt 35 Stunden pro Woche wie im Tarif arbeitet die Belegschaft 40, davon fünf Stunden unbezahlt. Verglichen mit einer tariflich bezahlten Arbeitsstunde erhält der Drucker fast 3,50 Euro weniger.
Druckzentrum Oberfranken: Beschäftigte kämpften 2019 für die Rückkehr in den Tarif. Foto: ver.di
Die tarifliche Antrittsgebühr für die Zeitungsherstellung am Sonntag – gestrichen. Lediglich an Feiertagen zahlt das Druckzentrum 80 Euro. Jahresleistung und Urlaubsgeld hängen zu großen Teilen vom Betriebsergebnis ab. Genauso wie die Lohnerhöhung. Die zahlt der Unternehmer, wie es ihm passt: mal ein Prozent, mal 1,5 Prozent, mal gar nichts. Nur die Zuschläge sind so hoch wie im Tarifvertrag. »In allem anderen stellen wir uns schlechter.«
Beispiel GGP Media im thüringischen Pößneck. Die tariflose Bertelsmann-Buchdruckerei brüstet sich auf der Firmen-Website, täglich würden eine Million Druckerzeugnisse produziert und jedes Jahr 120 Millionen Euro Umsatz gemacht. Was nicht zu lesen ist: Es haben schon wieder zwei Betriebshandwerker gekündigt und sind in die nahe gelegene Keksfabrik gewechselt. Dort wird besser bezahlt. Selbst Aushilfskräfte kriegt GGP Media schlecht.
Für Drucker*innen sieht die Lage aber nicht gut aus. Schließt zum Ende des Jahres die Funke-Zeitungsdruckerei in Erfurt, ist die letzte an den Tarif angelehnte Druckerei in Thüringen dicht. Drucker*innen müssten in die West-Bundesländer wechseln, um Tariflohn zu erhalten.
Nicht mal Ost-Tarif
Bei GGP Media sind nicht wenige Drucker in die Lohngruppe 5, die unterste Stufe für Facharbeiter, eingruppiert. Nicht einmal den Ost-Tariflohn zahlt Bertelsmann. Statt 17,37 Euro erhält ein Drucker in Lohngruppe 5 nur 13,84 Euro pro Stunde – 20 Prozent unter Tarif. Urlaubsgeld und Jahresleistung gibt es nur anteilig – zusammen etwa 800 Euro. Die letzte Lohnerhöhung ist sieben Jahre her. Jetzt soll es ab nächstem Jahr 2,5 Prozent mehr geben und in 2023 weitere zwei Prozent.
Gewinnbringer für Bertelsmann
Im Durchschnitt verdienen die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern 34.000 Euro im Jahr. Ein Drucker von GGP Media kommt mitsamt Sonderzahlungen und Prämien in Lohngruppe 5 nur auf 30.000 Euro – trotz Schichtarbeit bei maximal einem freien Wochenende pro Monat.
Zum Vergleich: Der Brutto-Jahresverdienst eines Druckers in einer tarifgebundenen Buchdruckerei im Westen ist um mehr als 10.000 Euro höher. Zudem unterscheiden sich die tariflichen Arbeitszeiten. Im Osten müssen 38, im Westen 35 Wochenstunden gearbeitet werden. »Nur weil wir im Osten leben, ist unsere Arbeitszeit länger und der Verdienst geringer«, sagt ein Drucker bitter.
Dabei ist die Druckerei in Thüringen ein Gewinnbringer für Bertelsmann. »GGP Media konnte wichtige Produktionsverträge mit Großkunden langfristig verlängern, Marktanteile hinzugewinnen und ist im Geschäftsjahr gegen den Markttrend profitabel gewachsen.« So steht es im Geschäftsbericht von Bertelsmann aus dem vergangenen Jahr. Für die Bertelsmann Printing Group, zu der außer GGP Media auch Prinovis und Mohn Media gehören, betrug der Gewinn vor Steuern im vergangenen Jahr 55 Millionen Euro.
Tariflos bei Ippen
Beispiel Druckhaus Dessauer Straße in München. Langjährig Beschäftigte verdienen im Jahr knapp 60.000 Euro brutto. Wütend sind sie dennoch. Denn seit sieben Jahren arbeiten sie jedes Jahr etwa 250 Stunden unbezahlt. Als die Ippen-Druckerei 2014 aus dem Unternehmerverband austrat und damit in die Tariflosigkeit wechselte, wurden den Beschäftigten Einzelverträge abgenötigt. Damit verloren sie die Nachwirkung des Manteltarifvertrags. Denn dessen inhaltliche Regelungen gelten nur so lange weiter, bis er von einem anderen Vertrag abgelöst wird. Stattdessen: 40 Stunden pro Woche, davon fünf unbezahlt. Macht umgerechnet 12,5 Prozent weniger Lohn.
Weg war auch die tarifliche Maschinenbesetzung. Die schreibt die Mindestbesetzung pro Maschinen vor. Mit dem Ziel, Schichtarbeitende zu entlasten. Im Druckhaus Dessauer Straße kommt es vor, dass lediglich zwei Drucker eingeteilt sind, egal wie viele Maschinen laufen. Im Rollenkeller ist einer allein dafür zuständig, die 1,5 Tonnen schweren Rollen mit Anlauf auf den Schlitten zu schieben. 20 Mal pro Schicht, bei hoher Produktion 30 Mal. Seitdem im vorigen Jahr allen zwölf Rotationshelfern gekündigt worden war, übernehmen die Drucker deren Arbeit mit.
Drucker gesucht
40-Stunden-Wochen, knappe Besetzungen – die Krankenquote schnellt immer wieder nach oben. Für Kranke müssen andere einspringen. »Dann heißt es nach der Spätschicht um 21 Uhr, dass man am nächsten Tag um 6 Uhr da zu sein hat«, sagt ein Drucker. Damit die gesetzliche Ruhezeit von elf Stunden eingehalten wird, solle er halt zwei Stunden später anfangen.
Die Ippen-Druckerei sucht Drucker. Für 40 Wochenstunden, Schichtarbeit, auch an Sonn- und Feiertagen. Dafür erwarte sie laut Stellenanzeige »eine leistungsgerechte Vergütung«. Übersetzt: keine Jahresleistung, kein Urlaubsgeld, keine Antrittsgebühr und maximal 17 Euro Stundenlohn.
Eindeutiges Votum für mehr Lohn
Ergebnisse der ver.di-Beschäftigtenbefragung in der Druckindustrie
Erstmals befragte ver.di Beschäftigte in der Druckindustrie. Es ging vor allem darum, die Stimmung in den Belegschaften vor der Tarifrunde auszuloten. Fast zwei Drittel sind dafür, 4,5 bis fünf Prozent und noch mehr zu fordern.
Acht von zehn Befragten ist es zudem sehr wichtig, dass ein neuer Manteltarifvertrag auf Bundesebene abgeschlossen wird. Fast ebenso viele sind bereit, diese Forderung falls nötig mit einem Arbeitskampf durchzusetzen. Nach weiteren wichtigen Themen befragt, steht an erster Stelle eine gute Altersteilzeitregelung, gefolgt von einem Arbeitgeberbeitrag zur Altersvorsorge und der Allgemeinverbindlichkeit von Teilen des Tarifvertrags.
Weiter hinten rangieren der Wunsch nach individueller Arbeitszeitverkürzung und Ausstieg aus der Schichtarbeit, beides mit Teillohnausgleich.
An der Befragung nahmen trotz Pandemie innerhalb kürzester Zeit über 1.000 Beschäftigte teil.
Von der 48-Stunden-Woche und null Urlaubsgeld
ver.di wirbt dafür, jetzt unbedingt Mitglied zu werden. Warum?
Nicht-Mitglieder profitieren in tarifgebundenen Betrieben von Tarifleistungen wie der 35-Stunden-Woche, sechs Wochen Urlaub und vielem mehr, obwohl sie keinen Anspruch darauf haben. Anspruch haben sie nur auf das, was im Gesetz und in ihrem Arbeitsvertrag steht und durch betriebliche Übung entstanden ist. Nach dem Gesetz sind Wochenarbeitszeiten von bis zu 48 Stunden und nur vier Wochen Urlaub im Jahr möglich. Urlaubsgeld, Jahresleistung und Zuschläge sind im Gesetz nicht vorgesehen.
ver.di-Mitglieder behalten den Tarifschutz?
Genau. Wenn ein Tarifvertrag gekündigt wurde oder abgelaufen ist, gelten seine Regelungen so lange weiter, bis sie durch eine neue Abmachung ersetzt werden. Das ist in Paragraf 4 Absatz 5 Tarifvertragsgesetz festgelegt. Die Nachwirkung überbrückt die tariflose Zeit bis zu einem Neuabschluss. Gewerkschaftsmitglieder sind also weiter abgesichert.
Deshalb: Mitglied werden.