Tarifrunde

7,8 Prozent mehr Lohn auf 29 Monate!

Ergebnis in der sechsten Verhandlungsrunde / Streiks und Proteste brechen Unternehmerblockade auf

Vor der nächsten Verhandlungsrunde haben die Streikenden aus der Druckindustrie mit einer großen Kundgebung am 18. Juni 2024 in Ulm noch mal mächtig Druck gemacht.
Foto: Julian Rettig

Fast wären die Tarifverhandlungen gescheitert. Erst in der Nacht auf den 21. Juni 2024 konnten sich ver.di und der Bundesverband Druck und Medien einigen. Die Löhne und Gehälter erhöhen sich in drei Schritten auf 7,8 Prozent. Die höchste Steigerung erfolgt noch in diesem Jahr mit 3,9 Prozent zum 1. Juli. Weitere zwei Prozent gibt es ab Juli 2025 und 1,9 Prozent ab März 2026.

Das Ergebnis entstand nach zwölf Stunden Verhandlungen, in denen verschiedene Modelle diskutiert und wieder verworfen wurden. Festbetrag, Laufzeiten, Prozente – alles wurde in die Waagschale geworfen. »Es schien fast unmöglich, mehr als sechs Prozent rauszuholen«, sagte ver.di-Verhandlungsführerin Rachel Marquardt. »Wir waren nachts in einer Situation, in der die Verhandlungen so gut wie gescheitert waren.«

Die Friedenspflicht war kaum zu Ende, da legte die Belegschaft des Main Echos in Aschaffenburg die Arbeit nieder.
Foto: Bert Bostelmann / bildfolio

Streik bei der Süddeutschen Druckerei in München: »Alles wird teurer. Wir auch!« Foto: Werner Bachmeier

Als positiv bewertet ver.di neben den 7,8 Prozent für alle Beschäftigten in der Druckindustrie die Erhöhung der Ausbildungsvergütung in zwei Schritten um je sechs Prozent. Ebenso darf kein Gehalt künftig niedriger sein als 13 Euro pro Stunde. Dafür musste ver.di Zugeständnisse machen: vier Nullmonate und eine Laufzeit von 29 Monaten.

Das Ergebnis am Verhandlungstisch wäre ohne die Streiks nicht zustande gekommen. Dieser Arbeitskampf unterschied sich deutlich von anderen Arbeitskämpfen um mehr Lohn: Die Belegschaften streikten häufiger und länger, mal zwei Tage, mal drei Tage hintereinander, in drei Schichten, in vier Schichten, sieben Mal, acht Mal. Die Streiks werden heftiger, die Beschäftigten zorniger. Es überraschte selbst ver.di-Aktive.

ver.di vereint – die Kolleg*innen der Pustet-Druckerei gehen gemeinsam mit den streikenden Beschäftigten aus dem Handel auf die Straße.
Foto: Thomas Geiger

Alle Schichten vor dem Tor von Schur Pack in Gallin Foto: Frank Walensky

Schwerpunkt der Streiks war – wie zuletzt bei der Verteidigung des Manteltarifvertrags – wieder Bayern. Ganz vorne die streikerfahrenen Belegschaften von Huhtamaki und der Süddeutschen Druckerei, ebenso in den CPI Druckereien in Ulm und Leck, bei Pustet, Giesecke+Devrient, der Nürnberger Presse, bei Schur Pack und viele mehr. Kein Wunder. Die hohe Streikbereitschaft sei das Resultat der Blockadehaltung des Bundesverbandes Druck und Medien, sagt Tarifkommissionsmitglied Torsten Friedrich von der Süddeutschen Druckerei. Die Druckunternehmer hatten in der zweiten Verhandlungsrunde im März drei Prozent mehr Lohn und Gehalt auf zwei Jahre angeboten und sich in der dritten, vierten und fünften Runde nicht bewegt.

Ein Signal an Klemens Berktold, den Verhandlungsführer des Unternehmerverbandes und Geschäftsführer der Funke Zeitungsdruckerei in Braunschweig Foto: ver.di

Auch Freiburger Druck wird bestreikt, die Druckerei vom bvdm-Präsidenten Wolfgang Poppen.
Foto: Philipp von Ditfurth

Drei Prozent mehr Lohn bezeichnete Tarifkommissionsmitglied Werner Bareth von Huhtamaki als »Beleidigung«. Das sei angesichts der Preissteigerungen in den vergangenen Jahren ein Reallohnverlust. »Wer solch ein Angebot macht« – und dabei setzte Christian Clement das Wort »Angebot« hörbar in Anführungszeichen – »treibt die Leute geradezu vors Tor.« ver.di müsse die Kolleg*innen nicht zum Arbeitskampf treiben, erklärt der Betriebsratsvorsitzende von CPI Ebner & Spiegel, das erledige der Verband mit seiner Blockade selbst.

Eine streikerfahrene Belegschaft bei CPI Ebner & Spiegel in Ulm
Foto: Joachim E. Roettgers GRAFFITI

Tariflose streikten mit

Manch ein Unternehmen hatte versucht, die Belegschaft mit Angeboten zu ködern. 4,5 Prozent mehr und eine Inflationsausgleichsprämie wollte angeblich Huhtamaki geben. »Bislang war uns jede Prämie verweigert worden – ob zu Corona-Zeiten oder in der Inflation«, sagt Werner Bareth. Dieses Angebot mitten im Arbeitskampf habe lediglich das Ziel, die Belegschaft vom Streiken abzuhalten. Erfolgreich ist das nicht. »Das beflügelt nur unsere Streikbereitschaft.«

Auch etliche tariflose Betriebe folgten dem Streikaufruf von ver.di, etwa bei der Stimme Druck (Heilbronner Stimme), der Haas Mediengruppe (Mannheimer Morgen) und der Druckerei C.H. Beck in Nördlingen.

Nach 14 Jahren wieder beim Streiken dabei: die Kolleg*innen beim tariflosen Mannheimer Morgen.
Foto: Bert Bostelmann / bildfolio

Allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz – Kolleg*innen der Beckschen Druckerei in Nördlingen haben fünf Tage am Stück gestreikt. Foto: ver.di

Die Nachricht hatte sich unter den ver.di-Aktiven in Bayern rasant verbreitet. Die Becksche streikt fünf Tage! Arbeitsniederlegung von Montagfrüh bis Samstagfrüh. »Druck und BuBi (Buchbinderei, d. Red.) stehen komplett. So wie gestern auch«, berichteten die Vertrauensleute der Druckerei C.H. Beck in Nördlingen am 11. Juni. Die Nachricht war kaum öffentlich, da meldeten sich Vorgesetzte auf den privaten Accounts der Streikenden: Ein so langer Streik sei unverhältnismäßig, die Zuverlässigkeit der Druckerei sei gefährdet, man solle die eigene Haltung überdenken, erzählt ver.di-Sekretär Matthias Erdmenger, was ihm die ver.di-Mitglieder berichtet hatten.

Noch etwas machte die Führungsriege fassungslos. Der Verlag hatte die Tarifbindung 2011 in der Druckerei und 2016 in der Buchbinderei doch in der Zuversicht verlassen, fortan von allen Streiks verschont zu bleiben. Ein Irrtum. Wo kein Tarifvertrag gilt, gibt es auch keine Friedenspflicht. Und wo keine Friedenspflicht gilt, kann gestreikt werden. Jederzeit.

Der Unmut hat sich bei den Beschäftigten in der Produktion über Jahre aufgestaut. Sie müssen länger arbeiten als mit Tarif und verdienen weniger – Helferlöhne liegen knapp überm gesetzlichen Mindestlohn. Zudem erhielten die Angestellten an den Verlagsstandorten München und Frankfurt zu Jahresbeginn eine siebenprozentige Gehaltserhöhung; die Produktion wurde mit fünf Prozent abgespeist – und das erst in 2025. Die Belegschaft lehnte ab und streikte weiter.

Die Tarifkommission wird bis 19. Juli entscheiden, ob sie das Verhandlungsergebnis annimmt oder ablehnt.

Zu weiteren Streikbildern und Informationen: ver.di-Aktionsseite zur Tarifrunde

Mal kurz keine Banknoten gedruckt – Arbeitskampf bei Giesecke & Devrient in Leipzig
Foto: Felix Adler