Das Ende der Genügsamkeit
ver.di fordert zwölf Prozent mehr Lohn und Gehalt für die Beschäftigten der Druckindustrie

ver.di-Aktive stimmen sich auf den Tarifkampf bei einem Arbeitstreffen in Baden-Württemberg ein.
Egal, wohin man schaut. 15,5 Prozent mehr Lohn fordert ver.di für die Beschäftigten in Filialen und Callcentern der Postbank. Das Kabinenpersonal bei Eurowings hat sich höhere Vergütungen bis 14,4 Prozent erkämpft. Und bei den Sparda-Banken gibt es eine 12-prozentige Gehaltssteigerung über eine Laufzeit von zwei Jahren. Ein kleiner Ausschnitt bis Mitte März. ver.dis Forderung von zwölf Prozent mehr Lohn und Gehalt in der Druckindustrie ist in bester Gesellschaft. Der Bundesverband Druck und Medien hat eine Lohnerhöhung in dieser Größenordnung bei der ersten Verhandlungsrunde am 11. März allerdings als »überzogen« abgelehnt. ver.di hatte im vergangenen Herbst die Beschäftigten gefragt: Welche Forderung haltet ihr für angemessen? Das Ergebnis war Grundlage für den Forderungsbeschluss der Tarifkommission. Und so sei auch die Reaktion in den Betrieben fast durchweg positiv, berichten Tarifkommissionsmitglieder: »Habt Ihr gut gemacht.« oder »Zeit wird’s.«
Zwei Gründe sind für die Forderung überdies ausschlaggebend: die hohe Preissteigerungsrate und der enorme Nachholbedarf in der Druckindustrie. »Die Inflation hat die Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre überholt«, sagt Tarifkommissionsmitglied Dietmar Bexkens. Dem Bundesverband Druck und Medien, der ver.di fehlenden Realitätssinn vorwarf, entgegnet er: »Niemand will sich bereichern. Wir wollen nur unseren Lebensstandard halten.« Im Vergleich zu anderen Branchen hinkten die Löhne und Gehälter in der Druckindustrie hinterher, sagt ver.di-Verhandlungsführerin Rachel Marquardt. »Das muss ein Ende haben.«
Den beiden Tarifkommissionsmitgliedern Werner Bareth und Peter Schmid aus dem Allgäu macht auch etwas anderes Sorgen. Huhtamaki in Ronsberg ist umgeben von Industriebetrieben, die besser zahlen als die Druckindustrie. »Wir verlieren gute Kräfte an andere Firmen.« Sie hoffen, dass die Druckindustrie mit besseren Entgelten für Bewerber*innen wieder attraktiver wird. Es ist Zeit für mehr Geld in die Tabelle, das ist der Tenor in den Betrieben. Das jüngste Lohnabkommen sah bei einer Laufzeit von 25 Monaten zum 1. Mai 2022 eine Erhöhung um zwei Prozent und zum 1. Mai 2023 eine weitere um 1,5 Prozent vor. Über viele Jahre hinweg war der Bundesverband Druck und Medien interessiert daran, das Lohnabkommen mit dem Manteltarifvertrag zu koppeln. Wohl wissend, dass die Beschäftigten für die Verteidigung des Manteltarifvertrags zu Abstrichen bei den Lohnabschlüssen bereit sind. Denn die Leistungen aus dem Manteltarifvertrag machen allein ein Drittel des Einkommens aus.
Doch die Bereitschaft zum Verzicht ist vorbei. Die Belegschaft der Süddeutschen Zeitungsdruckerei lehne eine Verquickung der beiden Tarifverträge ab, stellt Tarifkommissionsmitglied Torsten Friedrich fest. Jetzt gehe es um ordentliche Lohnsteigerungen, und zwar in die Tabelle. Die wirken dauerhaft, anders als sogenannte Inflationsausgleichsprämien.
»Die zwölf Prozent sind ein wichtiges Signal an die Druckunternehmer, dass es deutlich mehr Geld geben muss«, sagt Holger Musiol, Betriebsratsvorsitzender vom Funke Druckzentrum in Braunschweig. Das Geld werde unbedingt gebraucht, zumal seit Kurzem die Samstagsarbeit und damit der Zuschlag weggefallen seien. Keine niedrigen Lohnabschlüsse mehr, heißt es aus Bayern. Dort hat auch die regionale Tarifkommission für die Zwölf- Prozent-Forderung votiert – basierend auf der Beschäftigtenbefragung. Eine gute Lohnsteigerung durchzusetzen, werde am Verhandlungstisch allein nicht gelingen. »In der Druckindustrie ist jedes Prozent und jede Verteidigung beim Mantel immer ein harter Kampf gewesen. Darauf stellen wir uns ein«, so der Tenor in der bayerischen Tarifkommission.
Seit 50 Jahren die gleiche Leier
Zweistellige Lohnerhöhungen hat es in der Druckindustrie zuletzt vor 50 Jahren gegeben. 1973 erkämpften die Zeitungsdrucker 10,8 Prozent mehr Geld. 1976 forderte die IG Druck (Vorläuferorganisation der IG Medien) neun Prozent mehr Geld – bei einer damals hohen Inflation. Die Reaktion der Druckunternehmer war nicht anders als heute. Der Bundesverband Druck empörte sich im Handelsblatt über die »maßlose Forderung«. Solche Lohn- und Personalkostenerhöhungen könne keine Druckerei verkraften. mib
Die Sache mit der Inflation
»Inflation schwächt sich deutlich ab«, berichteten Medien Ende Januar 2024. Die Inflation war auf dem niedrigsten Stand seit zweieinhalb Jahren. Voraussichtlich werden die Preise um weniger als drei Prozent in diesem Jahr steigen, schätzt die Bundesbank. Das klingt nach Erholung. Doch vergessen wird dabei, dass jede selbst niedrige Preissteigerung zu den vorhergehenden hinzukommt. Zum Beispiel die Lebensmittelpreise. Die stiegen laut Statistischem Bundesamt vom Sommer 2021 bis Ende 2023 um knapp 29 Prozent und gelten als Haupttreiber der Inflation.
Der Zeitplan
ver.di und der Bundesverband Druck und Medien (bvdm) trafen sich zur ersten Verhandlungsrunde am 11. März 2024. Die zweite Verhandlung ist für den 21. März angesetzt. Die Gewerkschaft hat den Lohntarifvertrag für die Beschäftigten der Druckindustrie zum 29. Februar 2024 gekündigt. Bis Ende März gilt die Friedenspflicht. Damit wären ab 1. April Streiks möglich.
Zu spät
Da die zweite Verhandlungsrunde nach Redaktionsschluss stattfand, fehlen die aktuellen Ergebnisse in dieser Ausgabe.
Wir informieren über den aktuellen Stand der Verhandlungen unter https://druck.verdi.de