»Streiken hilft!«
1,45 Millionen Euro Abfindungen für ver.di-Mitglieder erkämpft | Schließung von MM Graphia in Bielefeld nicht abgewendet
Mit mehreren Streiks konnte ver.di bei MM Graphia im August einen Sozialtarifvertrag durchsetzen. Der verhindert zwar nicht die Schließung des Betriebs mit noch 212 Beschäftigten. Doch mit dem Geld werden Härten gemildert – für ver.di-Mitglieder stärker als für Nichtmitglieder.
Am 5. Mai hatte MM Graphia der Belegschaft mitgeteilt, dass der Betrieb zum Jahresende geschlossen werde. MM Graphia gehört zu dem internationalen Konzern Mayr-Melnhof mit Sitz in Wien. Die erste Reaktion: »Schockstarre«, sagt Betriebsratsvorsitzender Burkhard Winterhoff.
Der Betriebsrat nahm Verhandlungen über einen Sozialplan auf, die zäh verliefen; das Unternehmen zeigte sich geizig. Die Verhandlungen scheiterten; nun ging es vor die Einigungsstelle. Doch deren Entscheidung – gegen die Stimmen der Vertreter der Beschäftigten – sei nicht annehmbar, erklärte ver.di.
»Gewinne herausgesaugt«
Die Belegschaft streikte mehrfach. Öffentlich unterstützt durch den ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke: »Streiken hilft.« Werneke war zu einer der Streikversammlungen gereist – quasi ein Heimspiel. Er hatte 1983 dort Verpackungsmittelmechaniker (heute: Packmitteltechnologe) gelernt. Das Hauptproblem des Bielefelder Werks ist offensichtlich: Investitionen für Erhalt und Modernisierung kamen in den vergangenen Jahren zu kurz. Stattdessen, so hatte Betriebsratsvorsitzender Burkhard Winterhoff kritisiert, seien Gewinne herausgesaugt worden. Werneke ermutigte die Streikenden: »Die Graphia war in den letzten 40 Jahren immer ein verlässlicher Streikbetrieb in vielen wichtigen Tarifrunden und auch in dieser Situation der drohenden Schließung zeigen die Beschäftigten, dass sich Widerstand lohnt.«
Stimmt. MM Graphia stockte ihr altes Angebot um zwei Millionen Euro auf. Davon sind gut 1,45 Millionen für Abfindungen nur für ver.di-Mitglieder; mit dem Rest wird eine Transfergesellschaft finanziert. Burkhard Winterhoff ist stolz, dass sich der Fachbereich bunt und kreativ zeigte: Unterstützung durch eine argentinische Trommelgruppe, eine spanische Songgruppe, eine gemeinsame Aktion mit den streikenden Einzelhandelsbeschäftigten. Winterhoff konnte auch politische Unterstützung organisieren: von Abgeordneten aus Land und Bund von SPD, Grünen und Linken bis zu Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Gagen-Kaiser bei Mayr-Melnhof
Der Konzern zählt zu den größten Karton- und Verpackungsherstellern weltweit. 2019 betrug der Umsatz mehr als 2,5 Milliarden Euro. Damit erreichte Mayr-Melnhof einen Jahresüberschuss von mehr als 190 Millionen Euro, eine Steigerung von fast 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der damalige Vorstandschef Wilhelm Hörmanseder kassierte bei seinem Weggang im Corona-Jahr 11,3 Millionen Euro, wie die Arbeiterkammer Österreichs – gesetzliche Vertreterin aller Beschäftigten – veröffentlichte. Damit lag Hörmanseder an der Spitze der Vorstandsgehälter der meisten ATX-Unternehmen (vergleichbar dem hiesigen obersten Börsenindex DAX), was ihm den Spitznamen Gagen-Kaiser einbrachte. Sein Nachfolger, Peter Oswald, landete mit einer Gesamtvergütung von 5,1 Millionen auf Platz 3 der Rangliste.
Schockstarre überwunden – Betriebsratsvorsitzender Burkhard Winterhoff