Druckindustrie

Es gibt ein Leben nach dem Druck

Krisen, Insolvenzen und Krankheiten: Fünf Menschen erzählen, warum sie ausgestiegen sind und sich einen neuen Beruf gesucht haben

Erst kommt die Krise, dann die Schließung. Der Job ist weg. Transfergesellschaften helfen zwar über die erste Zeit hinweg. Aber dann kommt die Frage: Was tun? Wir haben einige Drucker*innen gefragt, wofür sie sich entschieden haben. Die Antwort: umschulen, was Neues lernen, noch mal durchstarten. Die einen stecken noch mitten drin im Lernen, die anderen haben schon Fuß gefasst. Eins ist allen gemeinsam: Vom Drucken haben sie sich schweren Herzens verabschiedet, unzufrieden ist aber niemand. 

Coach im Wald

»Für meinen neuen Beruf brauche ich feste Schuhe, strapazierfähige Klamotten und ein solides Wissen über natürliche Zusammenhänge. Wenige Monate noch – dann ist meine Ausbildung vorbei. Die Druckereihalle ist Vergangenheit. Ich werde Waldführer und Coach.

Schon immer war ich gerne draußen in der Natur. Aber das ging nur in der Freizeit. In Zukunft werde ich Besucher in den Wald führen. Ich erkläre ihnen die Beziehungen zwischen den Bäumen, den Pilzen und Waldpflanzen und den Tieren. Zusätzlich werde ich Gruppen, die beispielsweise in betrieblichen Konfliktsituationen stecken, im Wald oder in den Bergen coachen. Das sollen dann die Betriebe bezahlen. 

Meine beruflichen Anfänge liegen ganz woanders – im Graphischen Großbetrieb Völkerfreundschaft in Dresden. Dort habe ich Offsetdrucker gelernt. 1989 folgte ich meiner Freundin nach München und arbeitete dort in einer Druckerei. Als es kriselte, wechselte ich zu Bosch-Druck in Landshut. Der Betrieb rutschte in die Insolvenz, ich kam mit einigen Kollegen in die Projektgesellschaft, die für uns neue Perspektiven bringen sollte. Da hat man uns gut beraten. Ich habe mich zur Selbstständigkeit entschlossen. Die geht los, sobald im nächsten Jahr mein Arbeitslosengeld ausläuft. Ich besuche die Waldakademie in der Eifel. Ich lerne viel, mache einen Businessplan und werde für mich werben. All das wird nicht leicht, aber ich traue es mir zu.«

Christoph Löbel, 58, aus Volkenschwand wird Waldführer.

Wohin darf ich Sie bringen?

»Mein neuer Beruf ist mit finanziellen Risiken verbunden. Ich konnte erst nach drei Jahren Urlaub machen. Es passiert auch, dass nachts ein Stammkunde wegen einer Tour anruft. Zu den Vorteilen gehört, dass ich meine Ideen verwirklichen kann, wie man eine Firma führt.

Ich wusste schon in der achten Klasse, dass ich Drucker werden wollte. Nach der Ausbildung blieb ich bei Bruckmann in Oberschleißheim und wurde später Betriebsratsvorsitzender. Dann kamen die Krisen. Im Oktober 2014 wurde die Druckerei geschlossen – mit einem ordentlichen Interessenausgleich.

Ich hatte mich zum Tiefdruckermeister und Medienfachwirt weitergebildet und schickte danach einige Bewerbungen ab. Aber die Aussichten waren zu unsicher und als Alleinverdiener der Familie brauchte ich Geld. Also kaufte ich mit Hilfe meines Vaters ein Taxi. Es lief so gut, dass ich ein zweites Auto kaufte und einen Fahrer anstellte. Später tat ich mich mit sechs Partnern zusammen. Wir haben viel riskiert. In einer Branche, die an der Wand steht, schafften wir einen Umsatzzuwachs von 30 Prozent. Jetzt hat die von mir geleitete Firma 20 Autos und doppelt so viele Fahrer. Ich profitiere von meinen Erfahrungen als Betriebsrat, denn ich weiß, wie man mit Krisen umgeht. Ich konnte die Fahrer überzeugen, dass sie als Angestellte besser dastehen. Wenn sie krank sind oder Urlaub machen, werden sie weiterbezahlt. Ich führte Schichtmodelle ein, die sie als Freiberufler nicht kannten. Und einen fairen Haustarifvertrag.«

Zekai Karavas, 40, aus München leitet einen Taxibetrieb.

Die rechte Hand vom Designer

»Zu meinem jetzigen Beruf als Designerassistentin wäre ich ohne die Ausbildung zur Druckerin nie gekommen. Nach dem Abitur hatte ich mich 2013 für einen Handwerksjob entschieden, weil ich mehr wollte, als nur vor dem PC zu sitzen. Nach der Ausbildung bei der Marburger Tapetenfabrik bekam ich einen Jahresvertrag, der wegen mangelnder Aufträge allerdings nicht verlängert wurde. Insgesamt waren wir sechs junge Drucker und Druckerinnen, die nicht länger beschäftigt werden konnten. Dank unseres wirklich starken Betriebsrates wurden wir nicht vom Firmengelände geschoben. Ich konnte noch im Blaumann im Marketingbüro der Tapetenfabrik zur Probe arbeiten. Kurz darauf wurde ich als Umschülerin wieder eingestellt. Als dann ein neuer Hausdesigner seinen Posten bei uns antrat, sollte ich ihn mit meinem Fachwissen unterstützen. Denn er hatte zuvor nichts mit Tapeten zu tun, ich hatte dagegen schon mit unzähligen Oberflächen und Stoffen gearbeitet. Ich kenne nicht nur die Druckabläufe, sondern bin  kreativ und kann viele Dinge am Computer umsetzen.

Beim Umsatteln fand ich die Anträge, Formulare und Gespräche beim Arbeitsamt besonders anstrengend. Der Arbeitswechsel selbst war einfach. Man gewöhnt sich schneller an neue Sachen, als man denkt.«

Carolin Bodenbender, 28,  Assistentin des Chefdesigners bei der Marburger Tapetenfabrik

Im Führerstand des ICE

»Ich habe zwei Insolvenzen von Druckereien hinter mir: erst bei der Frankfurter Rundschau, dann bei apm in Darmstadt. Zwischendrin war ich für zwei Jahre bei der Societätsdruckerei beschäftigt, aber nur befristet. Da sagte ich mir: Das ist der letzte Schuss vor den Bug. Du musst die Druckindustrie verlassen. Auch wenn ich immer gerne Drucker war. Ich überlegte, was mich interessieren würde, und dachte relativ schnell an die Bahn. Der Arbeitsplatz ist sicher und die Bezahlung nicht schlecht. Schon in der Ausbildung habe ich etwa 1.900 Euro netto. Ich habe mich online beworben. Die meldeten sich recht flott zurück und machten gleich am Telefon eine Befragung. Dann wird man zum Bewerbungsgespräch und später zum Eignungstest eingeladen. Besonders meine Reaktionsschnelligkeit wurde getestet. Beeindruckt hat sie, dass ich als Drucker den Zeitdruck gewöhnt bin. Und technisches Verständnis mitbringe und die Arbeit im Team kenne. 

Im Juli hat meine neunmonatige Ausbildung angefangen. Ich bin der Älteste in der Klasse – aber mein Alter ist kein Problem. Zuerst gab es nur Theorieunterricht. Im August konnte ich zum ersten Mal raus und Material bewegen – das war schon aufregend. Nach der Abschlussprüfung werde ich erst mal bei der S-Bahn fahren. Mich würde es schon reizen, irgendwann im Führerstand eines ICE zu sitzen.«

Kai Marquard, 49, aus Frankfurt wird Lokführer. 

Der Rechenmeister

»Mehr als 20 Jahre lang stand ich bei Huhtamaki in der Tiefdruckhalle. In Wechselschicht – morgens, mittags, nachts und auch sonntags. Mit Lebensmittelverpackungen verdiene ich auch heute noch mein Geld, aber nicht mehr als Drucker, sondern als Kalkulator. Ich arbeite tagsüber, kann danach mit meiner  Sportgruppe laufen und mich abends mit Freunden verabreden. Das lohnte den Berufswechsel – auch wenn ich wegen der weggefallenen Schichtzulagen weniger verdiene als früher.

Die Schichtarbeit machte mich auf Dauer krank. Die wechselnden Rhythmen schlugen mir auf die Psyche – dann kam ein Bandscheibenvorfall. Ab da schaute ich nach Alternativen. Bis ich bei einer internen Stellenausschreibung meinen jetzigen Job in der Kalkulation bekam. Für die  Verpackungen berechne ich jetzt den Materialbedarf und die Kosten – alle Arbeitsschritte bis zum Endprodukt. Mein technisches Hintergrundwissen hilft mir dabei. Wer den Beruf wechseln will, muss sich fortbilden. Und man braucht Ausdauer. Bei mir dauerte die Suche vier Jahre. Ich habe nicht dauernd drüber geredet und mich auch nicht auf jede Stelle beworben. Als es mit dem Wechsel dann klappte, waren die Kollegen schon überrascht. Leider sehe ich sie jetzt seltener als früher. Weil wir nicht mehr gleichzeitig arbeiten.«

Gernot Wach, 45, aus Ronsberg ist jetzt Kalkulator.