Aus den Betrieben

Endlich unter der Haube

In Stufen zum Flächentarifvertrag | Nach Jahren wieder Lohnerhöhungen und Zuschläge | Kürzere Arbeitszeiten

Für 44 Prozent der westdeutschen und 55 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten 
gilt kein Tarifvertrag. Tarifbindung geht mehr und mehr verloren. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, wie Betriebe in die Tarifbindung geholt wurden.

Mehr Geld und weniger Arbeit

Wie Dierichs Druck+Media zu einem Anerkennungstarifvertrag kam

Durch einige Umwege hat die Insolvenz der apm-Druckerei in Darmstadt zu einem Anerkennungstarifvertrag bei Dierichs Druck+Media geführt. Das ging so: In der Akzidenzdruckerei in Kassel endete die 
Tarifwelt vor rund zwölf Jahren. Damals kündigten die Eigentümer den Haustarifvertrag und legten den Beschäftigten Einzelarbeitsverträge vor. Der Inhalt: eine 40-Stunden-Woche statt der 35 wie im 
Tarif, keine Jahresleistung und kein Urlaubsgeld, nur noch die Hälfte der Zuschläge. Stattdessen sollte es eine Art ­Gewinnbeteiligung geben, die allerdings nie zum Tragen kam. Zum letzten Mal erhielt die Belegschaft 2008 eine Lohn­erhöhung. Viele der 180 Beschäftigten, 
die den Einzelarbeitsvertrag unterschrieben hatten, bekommen heute – alle Leistungen zusammengerechnet – etwa ein Drittel weniger Geld als mit dem Flächentarifvertrag. Dierichs Druck+Media gehört anders als der Zeitungsdruck Dierichs nicht zur Ippengruppe.

Großauftrag der Gewerkschaften

Viele Jahre tat sich nichts. Dann wechselte der Vorstandschef der apm AG in Darmstadt vor einem Jahr zu Dierichs Druck+Media. Die hätte gern die insolvente apm-Druckerei mitsamt ihren Gewerkschaftspublikationen übernommen und den Standort in Darmstadt nach eigenen Angaben erhalten. Doch die apm-Besitzer ließen alle Interessenten abblitzen und machten die Druckerei zum Ende des Jahres dicht (DRUCK+PAPIER 1/2019).

Die Mitgliederzeitungen von vier Gewerkschaften werden seitdem bei tariflosen Druckereien produziert. ver.di PUBLIK und die Fachbeilagen druckt Mohn Media von Bertelsmann; die Zeitungen der IG 
Metall, der IG BAU und der Verkehrsgewerkschaft EVG übernahm Dierichs Druck+Media. Doch es war klar: Wer die Großaufträge der Gewerkschaften auch künftig produzieren will, muss in die Tarifbindung gehen. Das war der Start für Verhandlungen zwischen ver.di und Dierichs Druck+Media.

Nur wenige Wochen später ist die Vereinbarung von beiden Seiten unterschrieben worden. Am 1. Oktober sollen der An­erkennungstarifvertrag und der tarifliche Stufenplan in Kraft treten. Danach werden die Löhne und Gehälter so lange jedes Jahr um fünf Prozent erhöht, bis das Lohn- und Gehaltsniveau des Flächentarifvertrags erreicht ist. Eine Prämie wurde bereits im August an die Beschäftigten gezahlt. »Uns war es wichtig, dass die Kollegen und Kolleginnen, die so lange keine Lohnerhöhung mehr erhalten haben, sofort mehr Geld bekommen«, erklärt Manfred Moos von ver.di.

Belegschaft freut sich

Parallel dazu sinkt ab 2020 die Wochenarbeitszeit – bei vollem Lohnausgleich – pro Jahr um eine Stunde, bis in gut vier Jahren nur noch 35 Wochenstunden gearbeitet wird. Tarifliche Zuschläge gibt es ab Oktober. Jahresleistung und Urlaubsgeld werden allerdings dieses und nächstes Jahr nicht gezahlt. Danach prüft ein Sachverständiger die weitere Zahlung. Solange die Belegschaft darauf verzichten muss, werden betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.

Denis Kämper ist mit den Verhandlungen zufrieden: »Ich habe noch nie eine Verhandlungssituation mit so vielen verschiedenen Interessen erlebt, in die sich doch alle eingebracht haben und aufeinander zugegangen sind.« Kämper, einst Vorstandschef bei der apm AG, ist heute bei Dierichs Druck+Media als Geschäftsführer für den Standort Kassel zuständig. Und die Belegschaft? »Die freut sich genauso wie wir im Betriebsrat über den Tarifvertrag«, sagt Betriebsratsvorsitzender Michael Klußmann.

Boni für ver.di-
Mitglieder bei TSB

Auch bei Tiefdruck Schwann Bagel (TSB) in Mönchengladbach gilt wieder ein Tarifvertrag. Das Unternehmen hatte im vergangenen Jahr den Firmentarifvertrag gekündigt und ähnliche Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung und Entgeltreduzierung aufgestellt wie der Bundesverband Druck und Medien.

In einem ergänzenden Firmentarifvertrag einigten sich ver.di und TSB auf einen Arbeitszeitkorridor von 32,5 bis maximal 37,5 Wochenstunden. Die über die tarif­liche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeit wird bezahlt. Eine Besonderheit gibt es bei der Jahresleistung und dem Urlaubsgeld, bei denen eine Stufenregelung über drei Jahre vereinbart wurde. ver.di-Mitglieder erhalten deutlich mehr Geld: In diesem Jahr bekommen sie 350 Euro mehr Jahresleistung und Urlaubsgeld. Ab 2020 und 2021 werden ihnen jeweils 600 Euro mehr als den Nicht-
Mitgliedern ausbezahlt. Der ergänzende Firmentarifvertrag gilt rückwirkend seit 
Mai bis mindestens Ende Dezember 2020. 
Kündigt ihn das Unternehmen, wirkt er nach. Sprich: Für die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gelten die Regelungen weiter, nicht aber für neue Beschäftigte.

Wahlarbeitszeit 
bei G+D

Nach rund zwei Jahren Sondierungen und Verhandlungen gibt es für die Holding und die Currency Technology von Giesecke+
Devrient (G+D) in München einen Firmentarifvertrag. Dieser tritt ab 2020 in Kraft. 
Darin sind Entgelt und Eingruppierung, Arbeitszeit und mobiles Arbeiten geregelt. Für die Branche neu ist die Möglichkeit 
für Vollzeitbeschäftigte, zwischen 30 und 40 Wochenstunden wählen und die Arbeitszeit an die persönlichen Lebensphasen anpassen zu können.

Der vormals tarifgebundene technologiegetriebene Mischkonzern Giesecke&
Devrient war 2017 in drei Unternehmens
teile aufgespalten worden. Für die 920 Beschäftigten der Currency Technology gilt nun wieder ein Tarifvertrag. Ohne Tarifvertrag ist noch die G+D Mobile Security. Das Arbeitszeitmodell wird in der nächsten DRUCK+PAPIER vorgestellt.