Arbeit

Auch Frauen spielen die erste Geige

Benachteiligung bei der Bezahlung | Nur die Hälfte des Männerlohns und der Männerrente

Es begann als Experiment: Der Vorhang 
fiel und der Dirigent sah nicht, wer dahinter spielte. Er hörte nur. Melodien, gespielt auf dem Fagott, der Geige, der Flöte. Wer spielte, wusste er nicht. Der Dirigent entschied allein nach dem Können des Musikers oder der Musikerin. Seitdem es bei Orchestern in den USA üblich ist, dass Bewerber/innen hinter einem Vorhang vorspielen, gibt es mehr weibliche und schwarze Orchestermitglieder. Die Diskriminierung nach Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe wurde weniger.

Unternehmen profitieren

Die Benachteiligung von Frauen in Orchestern ist nur ein Beispiel für die vielen Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt. Nicht nur bei Bewerbungen, sondern auch bei der Bezahlung. Frauen erhalten weniger Geld als Männer. Jeden Monat, jedes Jahr. Im Laufe ihres Lebens verdient eine Frau knapp 50 Prozent weniger als ein Mann. Und erhält im Alter auch nur halb so viel Rente wie der Mann – gesetzliche Rente, Betriebsrente und private Altersversicherung zusammengenommen.

Frauen das zu bezahlen, was ihnen 
zusteht, ist eine Frage der Gerechtigkeit. 
»Es kann nicht sein, dass sie für gleichwertige Tätigkeiten mit weniger Geld abgespeist werden«, sagt eine Betriebsrätin. »Davon profitiert allein das Unternehmen.«

Mancher Tarifvertrag ist überholt

Ob die Beschäftigten richtig eingruppiert und damit gerecht bezahlt werden, sollten Betriebsräte regelmäßig überprüfen. Ist das Unternehmen tarifgebunden, orientiert sich der Betriebsrat am Tarifvertrag. Alles ganz einfach. Oder? Schön wär’s, sagt Karin Wagner, Betriebsratsvorsitzende bei der Märkischen Verlags- und Druck-Gesellschaft (Märkische Allgemeine) in Potsdam. Denn das Unternehmen wurde so zergliedert, dass nur noch wenige Beschäftigte unter die Tarifverträge für Redaktion, Druckindustrie und Verlagsangestellte fallen. Hinzu kommt: Mancher Tarifvertrag ist überholt. Etwa der Gehaltstarifvertrag für Angestellte an Zeitungsverlagen in Berlin und Brandenburg mit seinen Tätigkeitsbeispielen, an denen sich die Eingruppierung orientieren soll. »Prägen von Adressplatten« steht da, »Ausführen von Karteiarbeiten« und »Bedienen von Fakturiermaschinen«. Macht heute kein Mensch mehr. Karin Wagner zuckt die Achseln. Kein Problem. Sie richte sich nach den Schlüsselbegriffen im Tarifvertrag wie »schwierige Tätigkeit«, »selbstständig« und »verantwortlich«. Für die 205 Beschäftigten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, hat sie sich angeschaut, wie die Geschlechter verteilt sind: In den höheren Gehaltsgruppen seien etwa so viele Frauen wie Männer. Und die einzige Schichtleiterin werde bezahlt wie die männlichen Schichtleiter.

Schlusslicht Deutschland

Mehr Kopfzerbrechen bereitet ihr der schlechte Verdienst der überwiegend 
weiblichen Teilzeitbeschäftigten im ausgegliederten und tariflosen Servicebereich. Die mit Headset dauertelefonierend Anzeigen bearbeiten. Es sei »eine große emotionale Belastung«, immerzu freundlich zu sein, auch wenn einem nicht danach ist. Mehr Geld gibt es dafür allerdings nicht. »Denn solche Anforderungen und Belastungen anzuerkennen, zu honorieren und in Tarifverträgen zu verankern, ist enorm schwierig«, sagt Karin Wagner, die auch Mitglied der Tarifkommission in der Druckindustrie ist.

Übrigens schneidet Deutschland auch im Vergleich zu den OECD-Ländern (Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen) schlecht ab. Vollbeschäftigte Frauen verdienen in Deutschland weniger als im OECD-Durchschnitt. Und bei den Renten ist Deutschland sogar Schlusslicht. Nirgendwo ist die Lücke zwischen Frauen- und Männer-Rente größer.

Entgeltgleichheits-Check: 
www.eg-check.de

»Die drei Maschinenführer in der Rotation sind Männer. Könnten das unsere Druckerinnen nicht auch? 
Oder heißt es dann, die sind eh noch zu jung. 
Dann besteht Chancengleichheit nur auf dem Papier.«

Betriebsrätin einer Zeitungsdruckerei