Editorial

Jeder und jede hätte es wissen können. In den Schlachthöfen zerlegen osteuropäische Männer tote Tiere wie Maschinen. Angestellt sind sie bei Subunternehmen und eingesetzt in der Fleischindustrie. Wer krank ist, muss die Zähne zusammenbeißen. Wer die Gewerkschaft ruft, fliegt raus.

Mehr als 1.400 Menschen hatten sich beim Fleischkonzern Tönnies mit dem Corona-Virus angesteckt. Weil sie bei schlechter Luft schwer körperlich arbeiten mussten. Weil sie auf engem Raum wohnen und in vollen Bussen zur Arbeit gebracht werden. Anders gesagt: Den Fleischindustriellen und Subunternehmern ist die Gesundheit der Akkordarbeiter aus Osteuropa völlig egal. Hauptsache billig.

Nein, es geht nicht um billiges Fleisch, das sich angeblich die Armen leisten können sollen. Es geht um Profite. Das größte Unternehmen der Fleischwirtschaft ist die Tönnies-Gruppe. Weltweiter Umsatz: 6,65 Milliarden Euro. Das Vermögen des Ex-Aufsichtsratschefs von Schalke 04 wird auf zwei Milliarden Euro geschätzt.

Fleischindustrie und Subunternehmen sind per Werkvertrag miteinander verbunden. Das bedeutet: Tarifverträge gelten nicht. Betriebsräte, sofern es welche gibt, haben kein Mitbestimmungsrecht. Nun hat das Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie verboten werden. Richtig so. Aber warum nur dort?

Auch woanders werden Werkverträge und Leiharbeit genutzt. So lagern Druckunternehmen ganze Abteilungen aus und kaufen sich Leistungen der Fremdfirmen per Werkvertrag ein. Auch ihnen ist es egal, unter welchen Bedingungen jemand dort arbeitet. Es geht allein darum, sich des Tarifvertrags der Druckindustrie zu entledigen. Auch hier sollte der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verboten werden. Stattdessen: fest anstellen und tariflich bezahlen.