Aus den Betrieben

Mia san Tarif

Ein Blick nach Bayern | Betriebe ohne Tarifbindung erstreikten sich eigene Lohnerhöhungen | 
Haustarifverträge bleiben das Ziel | ver.di plant die nächsten Aktionen

Ausgepackt, reingeschlüpft: Die Streikenden einer Zeitungsdruckerei zeigen sich als 
Erste in ihren Streik-Shirts. Darauf steht »Mia san Tarif«. 
Auf der Rückseite: »Gott grüß die Kunst« mit Buchdruckerwappen.

Fußballtrainer Sepp Herberger wäre begeistert. Taugt seine Fußballerweisheit doch leicht abgewandelt auch für die Druckindustrie: Nach dem Tarif ist vor dem Tarif. Der Manteltarifvertrag ist nach einer harten, streikintensiven Zeit wieder in Kraft gesetzt worden. Allerdings nur für zwei Jahre bis zum 30. April 2021.

Das war nicht einfach: Der Manteltarifvertrag gilt nur deshalb wieder, weil ver.di im Laufe der Tarifauseinandersetzung die Strategie änderte und die regionalen Unternehmerverbände zu Tarifverhandlungen aufforderte. Bis schließlich der Bundesverband Druck und Medien unter dem Eindruck der vielen Streiks, 
vor allem in Bayern, einlenkte und kon
struktiv verhandelte.

Die zwei Jahre will ver.di besonders dazu nutzen, die über 2.000 neuen Kollegen und Kolleginnen von der Gewerkschaft zu überzeugen und mehr Belegschaften für künftige Auseinandersetzungen zu gewinnen. So ist die 
bayerische Tarifkommission umgehend 
in die Planung der nächsten Aktionen eingestiegen.

Mit dabei sind Beschäftigte aus Betrieben ohne Tarifbindung. Erstmals hat es 
ver.di geschafft, dass in Bayern fast 
ein halbes Dutzend Druckereien, in denen der Tarifvertrag nicht angewandt wird, 
mitgestreikt haben. Zum Entsetzen der 
Geschäftsführungen. Denn die fühlten sich mit ihrem Tarifausstieg vor Streiks sicher. Falsch gefühlt.

Nur das Wort vom Chef

Zum Beispiel die Akzidenzdruckerei Eberl in Immenstadt. 24 Stunden lang streikte die Belegschaft, die Produktion stand still. Lediglich in Teilen der Weiterverarbeitung fielen der Belegschaft in einer Schicht Streikbrecher in den Rücken. Nach dem Streik zog Eberl vor Gericht (Link zu »Der Herr Eberl und das Gericht«).

Bei Eberl Print gilt seit etwa 15 Jahren kein Tarif mehr: Die knapp 165 Beschäftigten müssen pro Woche drei Stunden länger und unbezahlt arbeiten. Sie erhalten seit gut zwei Jahren keine Jahresleistung und kein Urlaubsgeld mehr. Nur die Lohnerhöhungen zahlte die Druckerei gegen Unterschriften auf Einzelarbeitsverträge wie im Tarif. »Ob wir die Lohnerhöhung bekommen oder nicht, hängt aber immer vom Chef ab. 
Er hat uns zwar als Belegschaft das Wort gegeben. Eine hundertprozentige Sicherheit haben wir aber nicht. Die gibt es nur mit Tarifvertrag«, sagt Betriebsratsvorsitzender Daniele Lupo. Deshalb ist das Ziel der 
ver.di-Mitglieder ein Haustarifvertrag.

Als die Arbeit ein weiteres Mal für 
acht Stunden niedergelegt wurde, sagte 
der Firmenchef eine Lohnerhöhung von 
2,5 Prozent zu, die an den Tarifabschluss angepasst würde. Damit wollte er den Streikenden den Wind aus den Segeln nehmen. Die Stimmung im Betrieb kippte. »Wir behalten unser Ziel dennoch im Auge«, verspricht Daniele Lupo.

Eberl war nicht die einzige Druckerei, die die Belegschaft mit Lohnerhöhungen lockte, um sie vom Streiken abzuhalten. Bei Kösel in Altusried im Oberallgäu, wo Beschäftigte mehrmals die Arbeit niederlegten, sicherte die Geschäftsführung zwei Prozent mehr Lohn zu. Auch dort ist ein Haustarifvertrag das Ziel. Denn Löhne und Zuschläge liegen weit unter Tarif, gleiche Arbeit wird zum Teil unterschiedlich bezahlt. Alle müssen länger arbeiten, Angestellte bis zu 41,5 Stunden. »Als es der Firma wirtschaftlich schlecht ging, haben wir verzichtet. In der Hoffnung, die Leistungen wiederzubekommen«, sagt Betriebsratsvorsitzender Carlos Abade. »Aber was man einmal hergibt, kriegt man ohne Arbeitskampf nicht so leicht wieder.«

Nicht anders bei der Druckerei C.H. Beck in Nördlingen. »Seit dem Tarifausstieg 2011 sind wir vom Goodwill des Verlegers abhängig, ob wir mehr Geld bekommen oder nicht«, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Adalbert Offinger. Deshalb schlossen sich die Beschäftigten den Streiks in Bayern an. Obwohl für sie kein Tarifvertrag gilt? »Wenn der Tarifvertrag schlechter wird, greift das der Verleger sofort auf und verschlechtert auch unsere Arbeitsbedingungen«, erklärt die Betriebsrätin Sonja Fischer. Mit einer Entgelterhöhung von durchschnittlich zwei Prozent haben die Streikenden einen ersten Erfolg erzielt. Vom Tarifvertrag ist die Druckerei dennoch weit entfernt.

Ob bei Kösel, Beck, Eberl oder dem Druckzentrum Oberfranken – die Belegschaften haben mit ihren Warnstreiks 
höhere Löhne erreicht. Ein erster Schritt.

Jetzt Betriebe ohne Tarifbindung einfangen

»Der Abschluss ist okay. Der Manteltarifvertrag ist erst mal für zwei Jahre zu. Ich denke aber, dass die Druckunternehmer den Tarifvertrag immer noch ›entrümpeln‹ wollen, wie sie das ausdrücken. Wir sind seit Jahren in einem Abwehrkampf und haben echt bescheidene Lohnabschlüsse hin
genommen, um die 35-Stunden-Woche zu verteidigen. 
Wir sollten jetzt drangehen und die Betriebe ohne Tarifbindung einfangen. Gelingt uns das nicht, werden wir den Manteltarif der Druckindustrie schwer halten können.«

Peter Schmid, Betriebsrat
Huhtamaki in Ronsberg
Foto: privat

Unsere Strategie ist aufgegangen

»Es gibt keinen Grund, Sektkorken knallen zu lassen. Aber durch die massiven Streiks ist es uns gelungen, den Manteltarifvertrag ohne Abstriche wieder in Kraft zu setzen. 
Das ist ein Erfolg. Es war auch absolut richtig, auf 
regionale Tarifverhandlungen zu setzen. Denn mit dem 
Bundesverband Druck und Medien sind wir keinen Zentimeter weitergekommen. Erst als ver.di die Betriebe in Bayern zum Streik aufgerufen hat und auch Betriebe ohne Tarifbindung eingestiegen sind, war der Druck auf die Unternehmer so hoch, dass sie einlenken mussten. Unsere Strategie ist aufgegangen.«

Torsten Friedrich, 
Mitglied der Tarifkommission 
Bayern
und des Betriebsrats 
bei der Zeitungsdruckerei
der 
Süddeutschen Zeitung, München
Foto: privat

Nur eine Verschnaufpause

»Die Freude war schon groß, dass wir wieder unseren Manteltarifvertrag haben. Wenn auch nur für zwei Jahre. Aber letztlich ist das nur eine Verschnaufpause. Wir werden wieder um jedes Zehntel mehr Lohn und wieder um den Manteltarifvertrag kämpfen müssen. Letztlich war es eine gute Entscheidung, regional zu Tarifverhandlungen aufzufordern. Das hat den Bundesverband Druck und Medien verunsichert. Die vielen Streiks, etwa in Bayern, waren sehr konzentriert, wie unter einem Brennglas. Das hat die Belegschaften beflügelt und den Druck auf die bayerischen Druckunternehmer so erhöht, dass die wiederum Druck auf den Bundesverband gemacht haben. Wir hatten den längeren Atem und haben dadurch den Durchbruch geschafft.«

Elke Lang, 
Mitglied der Tarifkommission
Betriebsratsvorsitzende bei der 
Heilbronner Stimme
Foto: privat

Verhandlungen gehen wieder los

ver.di hat sich beim Tarifabschluss im Mai verpflichtet, mit dem Unternehmerverband über den Manteltarifvertrag zu verhandeln. Während der Friedenspflicht, ohne streiken zu dürfen.

Andreas Fröhlich: Das ist richtig. Jede Seite wird ihre Themen aufrufen. Der Bundesverband Druck und Medien hat bei dem Treffen im Juni deutlich gemacht, dass er seine Punkte aufrechterhält: längere Arbeitszeiten, weniger Zuschläge, keine Maschinenbesetzungsregeln und noch mehr.

Was wird ver.di thematisieren?

Andreas Fröhlich, zuständig für die Tarifpolitik  Verlage, Druck, Papier und Industrie. Foto: Murat Türemis

Wir werden unsere Tarifkommission befragen, aber sicher 
sind bereits die Themen Branchenmindestlöhne und die Entlastung älte
rer Kollegen und Kolleginnen, insbesondere 
der Schichtarbeiter.

Lauter Themen, die seit Jahren strittig sind. Warum sollte jetzt eine Einigung gelingen?

Eine Einigung ist alles andere als sicher. 
Bei Veränderungen im Manteltarifvertrag müssen die Beschäftigten profitieren. Einseitige Verschlechterungen lehnen wir nach wie vor ab.

Der Lohn- und Gehaltstarifvertrag hat eine Laufzeit von 36 Monaten bis zum 31. August 2021. Alle Erhöhungen gelten auch für die Ausbildungsvergütungen.

Mehr Infos zur Tarifrunde 
der Druckindustrie:
verlage-druck-
papier.verdi.de/druck/tarifrunde-
druck-2018

Mehr Geld, aber lange Laufzeit