Aus den Betrieben

Späte Entnazifizierung in Ingolstadt

Wilhelm Reissmüller, langjähriger Herausgeber des Donaukuriers, ist wegen seiner tiefbraunen Vergangenheit kein Ehrenbürger mehr

Menschen wie Wilhelm Reissmüller gab es in der jungen Bundesrepublik zuhauf: überzeugte Nazis, die nach 1945 wieder rasant Karriere machten. Doch wenigen gelang es so anhaltend, sich der Auseinandersetzung mit der eigenen braunen Vergangenheit zu verweigern, wie dem langjährigen Herausgeber des Ingolstädter Donaukuriers. Schon lange war bekannt, dass Reissmüller bis 1945 das örtliche Hetzblatt der NSDAP verantwortet hatte. Aber erst jetzt rang sich der Stadtrat der bayerischen Großstadt dazu durch, dem Verleger posthum die Ehrenbürgerwürde zu entziehen.

Mitverantwortliche Rädchen

Warum dauerte das derart lange? »In Ingolstadt wurde generell erst spät mit der Aufarbeitung begonnen«, sagt Agnes Krumwiede, die den Gemeinschaftsantrag von Grünen, SPD, Linken, ÖDP und Unabhängiger Wählergemeinschaft im Stadtrat initiiert hat. »Wie überall hatte man sich auch in Ingolstadt auf ein paar ›echte‹ Nazis geeinigt, der Rest galt als Mitläufer.« Das Verständnis, was eine NS-Belastung ausmacht, habe sich erst entwickeln müssen: »Auch wer nur ein Rädchen im Getriebe war, war mitverantwortlich und kann aus heutiger Sicht nicht als Vorbild dienen.«

Lügen, vertuschen und Angst machen

Reissmüller war in Ingolstadt bekannt, beliebt – und mächtig. »Bei allen, die zu seiner Vergangenheit geforscht haben, hat er Angst und Schrecken verbreitet«, sagt die Grünen-Politikerin. Bis vor das Bundesverfassungsgericht zog er, um einen Kritiker mundtot zu machen, der seine Mitgliedschaft in der NSDAP öffentlich gemacht hatte. Damit scheiterte Reissmüller zwar. Doch ansonsten blieb seine Vertuschungsstrategie erfolgreich. Bereitwillig glaubten die meisten Menschen die Legende, die sich der 1993 gestorbene Donaukurier-Herausgeber für das Entnazifizierungsverfahren gebastelt hatte: dass er in Wahrheit ein Nazi-Gegner gewesen sei und sogar mit den Hitler-Attentätern des 20. Juli 1944 zu tun gehabt habe.

Vor allem die CSU hatte bei der Auseinandersetzung mit dem wenig ehrenhaften Ehrenbürger jahrelang gebremst. Wohl auch, weil Reissmüller eng verbandelt war mit Oberbürgermeister Josef Listl, der die Stadt bis 1945 für die NSDAP und ab 1956 für die CSU geführt hatte. Dass der Stadtrat nun trotzdem fast einstimmig beschloss, die 1976 verliehene Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, lag an Erkenntnissen, die der Journalist und Reissmüller-Experte Thomas Schuler im vergangenen Jahr veröffentlicht hatte: Schuler konnte belegen, dass der einstige Verlagsleiter der NSDAP-Tageszeitung Der Donaubote bereits 1933 in die SA, die SS und den NS-Studentenbund eingetreten war. Ein echter Überzeugungstäter also.

CSU schweigt weiter

»Jetzt konnte man sich dem symbolischen Entzug der Ehrenbürgerwürde nicht mehr verwehren«, sagt Krumwiede. »Aber was ich sehr bedauerlich finde: dass man das Schweigen nicht beendet.« In der Aussprache habe sich niemand von der CSU inhaltlich zu dem Antrag bekannt. Es sei ihnen offenbar vor allem darum gegangen, die als leidig empfundene Diskussion zu beenden.

Adolf Hitler wurde die Ingolstädter Ehrenbürgerwürde übrigens vor drei Jahren entzogen.