Tarif

Ein Tariftreuegesetz reicht nicht aus

Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Thorsten Schulten ist Experte für Tarifpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Foto: Uli Baatz

Was tatsächlich hilft, um zu mehr Tarifbindung zu kommen, und was Augenwischerei ist, beantwortet der Tarifexperte Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI).

DRUCK+PAPIER: Die schwarz-rote Koalition will mit einem Bundestariftreuegesetz die Tarifbindung stärken. Wer zum Beispiel Wahlzettel für die Bundestagswahl oder Broschüren für ein Ministerium druckt, müsste sich dann an Tarifverträge halten. Kann das klappen?

Thorsten Schulten: Tariftreuegesetze sind ein wichtiges Instrument, um die Benachteiligung tariftreuer Unternehmen aufzuheben. Aber ein tarifloses Unternehmen wird nicht in die Tarifbindung zurückkehren, nur um einen öffentlichen Auftrag zu bekommen. Es reicht ja, für diesen einzelnen Auftrag nach Tarif zu bezahlen. Von einem Bundestariftreuegesetz eine Trendumkehr zu erwarten, halte ich deshalb für übertrieben. Hinzu kommt, dass das Gesetz erst ab einem Auftragswert von 50.000 Euro greifen soll. Für Dienstleistungen ist das sehr hoch.

Bis auf Bayern und Sachsen haben alle Bundesländer bereits Tariftreuegesetze. Wie gut funktioniert das?

Es gibt Regelungen mit echter Wirkung, etwa in Berlin, Bremen und dem Saarland, aber auch reine Papiertiger. In Thüringen zum Beispiel wurde bislang lediglich für die Bauindustrie ein Tarifvertrag bestimmt, an den sich gehalten werden muss. Und Auftragsvergaben durch die Kommunen wurden ganz herausgenommen.

Was könnte wirklich zu mehr Tarifbindung führen?

Zum einen sollten öffentliche Investitionen grundsätzlich an soziale Kriterien geknüpft werden – zum Beispiel wäre denkbar, den geplanten niedrigeren Industriestrompreis nur tarifgebundenen Unternehmen zugutekommen zu lassen. Zum anderen muss es unbedingt erleichtert werden, Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Das Bundesarbeitsministerium kann das tun. Dann gilt der Tarif in allen Betrieben der betreffenden Branche.

Warum geschieht das bislang so selten?

Oft scheitert es bereits daran, dass Gewerkschaft und Arbeitgeberverband der jeweiligen Branche den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung nur gemeinsam beim Ministerium stellen können. Aber selbst wenn sie sich einig sind, kann die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) immer noch Nein sagen. Und das hat sie in der Vergangenheit nicht selten gemacht. Die Arbeitgeber haben also eine doppelte Vetoposition. Das muss abgeschafft werden.