Ausbildung

Gegen Schachtelsätze und Bandwurmwörter

Wie künstliche Intelligenz dazu beitragen soll, dass Prüfungsaufgaben für Auszubildende verständlicher werden

Es ist wahrscheinlich einer der häufigsten Albträume: Man geht wieder zur Schule oder zur Ausbildung, muss eine Prüfung ablegen – und sitzt ratlos vor den Aufgaben. Für manche Menschen ist das nicht bloß eine nächtliche Heimsuchung, sondern eine reale Erfahrung. Weil ihr Sprachverständnis eingeschränkt ist, etwa aufgrund einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder einer Hörbehinderung, können sie kompliziert formulierte Prüfungsfragen nicht erfassen. Und geben falsche Antworten, obwohl sie es fachlich draufhaben.

Die Lösung für das Problem ist seit Langem bekannt. Sie heißt: Einfache Sprache. Das bedeutet nicht, das inhaltliche Niveau abzusenken, also komplexe Sachverhalte zu vereinfachen (das wäre Leichte Sprache). Es geht vielmehr um kürzere Sätze und klare Aufforderungen, um das Vermeiden von Schachtelsätzen und Wortungetümen. Am Beispiel einer Originalaufgabe: »Erläutern Sie unter Berücksichtigung Ihrer Ausbildungspraxis Vor- und Nachteile von Zeiterfassungssystemen und analysieren Sie probable Wirkungen von deren Einführung auf die Beschäftigten.« Daraus wird in Einfacher Sprache: »Erläutern Sie Vor- und Nachteile von Zeiterfassungssystemen! Berücksichtigen Sie Ihre Ausbildungspraxis! Analysieren Sie mögliche Wirkungen der Einführung auf die Beschäftigten!«

Auszubildende mit Sprachbehinderungen haben Anspruch darauf, dass ihnen Prüfungsaufgaben in einer solchen textoptimierten Form vorgelegt werden. Sie müssen den »Nachteilsausgleich« lediglich bei der Anmeldung beantragen. Die Umformulierung der Aufgaben sei bislang jedoch noch ein sehr aufwendiger Prozess, sagt Thomas Hagenhofer vom ZFA (Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien) in Kassel.

Kammern und Einrichtungen wie der ZFA, die Prüfungsaufgaben erstellen, beauftragen spezialisierte sprachwissenschaftliche Expert*innen, deren Überarbeitung dann wiederum von den Aufgabenersteller*innen inhaltlich geprüft werden muss. »Im schlechtesten Fall wird daraus ein Ping-Pong-Spiel«, sagt Hagenhofer.

Helfen könnte künftig künstliche Intelligenz (KI). In dem vom Bundesarbeitsministerium geförderten Projekt TOP.KI soll bis 2026 ein Tool entwickelt werden, das Prüfungsaufgaben in Einfache Sprache übersetzen kann – und den Ersteller*innen zudem erklärt, wo genau die Sprachbarrieren liegen. »Wir wollen sensibilisieren, nicht nur Textvorschläge servieren«, sagt ZFA-Mann Hagenhofer, der das Projekt koordiniert.

Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Weil Fachvokabular in den Aufgaben erhalten bleiben muss, würden KI-Sprachmodelle wie ChatGPT oder Copilot von sich aus keine brauchbaren Ergebnisse liefern.

Zunächst wurde deshalb eine Datenbank mit 20.000 Prüfungsfragen in ursprünglicher und textoptimierter Form angelegt, die dem Sprachmodell als Vorlage dienen sollen. Ein erster Prototyp des Tools, der auf dieser Grundlage die eingegebenen Texte optimiert, arbeitet bereits vielversprechend. »Wir waren erstaunt, dass wir so schnell vorwärtsgekommen sind«, sagt Christina Hanck vom Berufsbildungswerk in Potsdam. »Bei zwei Drittel der Überarbeitungen sage ich schon: Daumen hoch.« Und auch die Rückmeldungen von Aufgabenersteller*innen seien positiv.

Alle sollten wählen dürfen

Könnten dann künftig alle Prüflinge ihre Aufgaben in Einfacher Sprache erhalten? Klar ist: Profitieren würden davon weit mehr als die, die Anspruch auf den Nachteilsausgleich haben. Zum Beispiel Menschen, die mit einer anderen Sprache als Deutsch aufgewachsen sind. Hanck gehört im Projekt dem Erprobungs- und Evaluationsteam an und hat die verständlicher gemachten Aufgaben auch mit angehenden Mediengestalter*innen getestet. »Manche, vor allem wenn sie Abitur hatten, waren von der Einfachen Sprache bei Prüfungsaufgaben eher irritiert«, berichtet sie. Und folgert: Einfache Sprache für alle wäre der falsche Weg. Sinnvoller findet die Ausbilderin einen Vorschlag, den die Auszubildenden selbst gemacht haben: »Man müsste sich das aussuchen dürfen.«