Tarif für alle, Finger weg von Karenztagen, vom 8-Stunden-Tag und Rentenalter!
Was ver.di-Aktive von der neuen Bundesregierung erwarten
Nach der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 wird sich keine fortschrittliche Regierung zusammenfinden. Unsere Forderungen halten wir dennoch aufrecht. DRUCK+PAPIER hat ver.di-Aktive, Kolleg*innen aus Tarifkommissionen und dem Betriebsrat gefragt: Welche Forderungen sind ihnen rund um Arbeit am wichtigsten? Welches Thema treibt sie außerdem um?

Christian Clement, Betriebsratsvorsitzender bei CPI Ebner & Spiegel in Ulm
Foto: Giancarlo Foddis
Gesetzgeber muss regeln, wo der Arbeitgeberverband versagt
»In meinen Augen ist die Allgemeinverbindlichkeit besonders wichtig. Das heißt, Teile des Tarifvertrags, etwa die untersten Löhne für Facharbeiter, Hilfskräfte und Maschinenbediener, sowie die 35-Stunden-Woche sollten für alle Druckbetriebe gelten. Unabhängig davon, ob der Unternehmer dem Bundesverband Druck und Medien angehört oder als Mitglied ohne Tarifbindung geführt wird. Damit würden wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. In der Druckindustrie wetteifern die Betriebe nicht mehr um die besten Produkte und die innovativste Technik, sondern um niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten. Das geht zu Lasten der Beschäftigten. Wenn Arbeitgeberverbände nicht in der Lage sind, diese Auswüchse in der Branche zu zügeln, muss das eben der Gesetzgeber regeln.
Wir brauchen eine Stärkung der Informationsrechte von Betriebsräten bei wirtschaftlichen Angelegenheiten, wie Betriebsänderungen, Schließungen, Teilstilllegungen, Insolvenzen etc. Bei Verstößen sollten scharfe Sanktionierungen folgen. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen damit durchkommt, die Druckerei von einem Tag auf den anderen zu schließen, ohne dass der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet wurde. So ist aber DuMont vorgegangen. Sanktionen? Keine.
Meine nächste Forderung kommt bei Schichtarbeitenden nicht so gut an, ich weiß. Der Ausgleich für Schichtarbeit sollte ein Mix aus Freizeit und Geld sein. Denn diese hohe Belastung wird durch Geld nicht aufgefangen; für die Gesundheit ist Freizeit besser geeignet.
Noch eine Forderung habe ich an die nächste Regierung: Energie, Post, öffentlicher Nahverkehr, Entsorgung, Telekommunikation, Gesundheitsversorgung – das alles gehört in die öffentliche Hand. Die Daseinsvorsorge gehört nicht in die Hände Privater. Altenheime und Zahnarztpraxen dürfen keine Spekulationsobjekte sein.«

Thomas Dörr, Betriebsratsvorsitzender der Görres-Druckerei in Neuwied
Foto: privat
Macht Arbeitszeiten attraktiv für junge Menschen!
»Aufträge der öffentlichen Hand dürfen nur an tarifgebundene Unternehmen gehen. Eine richtige Forderung. In Rheinland-Pfalz gilt das – allerdings nur auf dem Papier. Deshalb brauchen wir Kontrolle und Sanktionen.
Junge Leute gewinnt die Druckindustrie dann als künftige Fachkräfte, wenn sie attraktive Löhne bietet, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, einen allgemein verbindlichen Flächentarifvertrag und Arbeitszeiten, die den Menschen entgegenkommen. Die 35-Stunden-Woche ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Branchen. Warum nicht eine 4-Tage-Woche anbieten oder mehr freie Tage? Die Druckindustrie braucht sicher nicht mehr so viele Fachkräfte wie früher, aber sie braucht sie – und die müssen gut ausgebildet sein.
Noch was: Wer an der Schuldenbremse festhält, verbaut der nächsten Generation die Zukunft.«

Elke Lang, Betriebsratsvorsitzende bei der Heilbronner Stimme
Foto: privat
Belegschaften ohne Betriebsrat schützen
»Es ist unsäglich, Unternehmen zu erlauben, im Arbeitgeberverband verbleiben zu können, ohne die Tarifverträge anwenden zu müssen. Das ist auch aus Sicht der Druckbetriebe eine schlechte Idee, weil ein Tarifvertrag gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft. Jetzt konkurrieren sie sich gegenseitig nieder. Und Beschäftigten fehlt die Kaufkraft. Stattdessen bräuchten wir allgemein verbindliche Tarifverträge. Ich erwarte von der neuen Regierung, Belegschaften in Betrieben ohne Betriebsrat angemessen vor Personalabbau, Ausgliederungen und Schließungen zu schützen. Sowie dauerhaft Altersteilzeit zu fördern, um den Menschen einen Ausstieg, aber auch Wissenstransfer zu ermöglichen.«

Kai Hennecke, Betriebsratsvorsitzender bei Klingele in Remshalden
Foto: privat
Schichtarbeiter sind auch Väter
»Wir sollten von den starren Schichtmodellen wegkommen. Dreischicht für die nächsten 40 Jahre – das machen doch immer weniger Leute mit. Um Arbeitskräfte zu halten und neue zu gewinnen, sollten hybride Modelle ausprobiert werden – nur Tagschicht oder Früh und Spät oder Dreischicht nur auf begrenzte Zeit. Die Bedürfnisse der Beschäftigten müssen endlich berücksichtigt werden! Dazu gehört auch eine Arbeitswoche von Montag bis Freitag. Wochenendarbeit sollte die Ausnahme bleiben. Väter wollen sich mehr in die Familie einbringen; das ist heute anders als vor 50 Jahren. Deshalb sollte Schichtarbeit mit Freizeit ausgeglichen werden – und höheren Zuschlägen. Wir bräuchten auch eine Altersteilzeit, vor allem für Schichtarbeitende, um mit weniger Arbeitszeit langsam in den Ruhestand überzugehen oder früher auszuscheiden. Das halbierte Gehalt müsste vom Arbeitgeber aufgestockt werden.«
Acht Stunden und nicht länger!
»Die Gewerkschaften erwarten harte Zeiten. Arbeitgeberverbände haben es auf die Entgeltfortzahlung bei Krankheit und aufs Arbeitszeitgesetz abgesehen. Erst lamentieren Unternehmenschefs über zu hohe Krankenstände und die telefonische Krankschreibung, die angeblich zum Blaumachen einlädt. Dann mahnt der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mehr Fleiß an, um schlussendlich den Karenztag durchzudrücken? Da muss ver.di gegenhalten. Arbeitgeberverbände versuchen auch, die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden zugunsten einer maximalen Wochenarbeitszeit zu kippen. Damit wäre es möglich, die 35 Stunden an drei Tagen abzureißen: drei Mal zwölf Stunden. Von einer solchen Belastung erholt man sich auch nicht an den freien Tagen. Dabei bräuchten wir gesamtgesellschaftlich kürzere und nicht längere Arbeitszeiten.

Alfred Roth, Mitglied des Bundesfachgruppenvorstandes DVPI (Druck, Verlage, Papier und Industrie)
Foto: privat
Notwendig wäre mehr betriebliche Mitbestimmung bei der Personalbemessung und beim Personaleinsatz, bei Weiterbildung, digitaler Arbeit und dem Einsatz von KI-Systemen. Beschäftigte müssen wissen, wo künstliche Intelligenz eingesetzt wird, welche Auswirkungen die Tools auf die Arbeitsorganisation und die Arbeitsplätze haben, welche Daten der Beschäftigten wie weiterverwendet werden.
Noch was: Betriebsratsmobbing und Gewerkschaftsbashing müssen endlich geahndet werden. Staatsanwaltschaften sollten von Amts wegen gegen die Behinderung von Betriebsratswahlen oder Betriebsratsarbeit vorgehen.«

Torsten Friedrich, Betriebsratsmitglied Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck in München
Foto: privat
Schluss mit OT-Mitgliedschaften!
»Das Allerwichtigste ist es, die Tarifverträge der Druckindustrie allgemein verbindlich zu machen, sodass die Tarifstandards für alle Druckbetriebe gelten. Außerdem muss Schluss sein mit dem Unwesen der OT-Mitgliedschaft. Wer Mitglied ist im Bundesverband Druck und Medien, sollte sich an die Tarifverträge halten müssen. Öffentliche Aufträge – und dazu gehört alles, was Kommunen, Land und Bund drucken lassen – sollten nur an tarifgebundene Betriebe vergeben werden dürfen. Wer heute Löhne unter Tarif zahlt, produziert die Altersarmut von morgen.
Betriebsräte brauchen Mitbestimmung beim Ob und Wie von Werkverträgen. Denn Fremdfirmen reinzuholen, ist eine weitere Methode von Unternehmen, den Tarifvertrag zu umgehen. Zuletzt: Finger weg vom Renteneintrittsalter. Statt darüber zu sinnieren, die Menschen länger arbeiten zu lassen (und ihnen die Rente zu kürzen, wenn sie vorher aufhören müssen), sollten Schichtarbeitende ohne Abschläge früher aussteigen dürfen oder in Altersteilzeit gehen können.«

René Arnsburg, stellvertretender Vorsitzender Druck, Verlage, Papier und Industrie (DVPI) in Berlin-Brandenburg
Foto: privat
Arbeitserlaubnis statt Schikane
»Oft ist die Rede vom Fachkräftemangel. Ich bin überzeugt davon, dass vor allem die Arbeitsbedingungen und Löhne zu schlecht sind, als dass Leute in bestimmten Berufen arbeiten wollen. Übrigens sind in solchen Branchen vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte beschäftigt. Was passiert hier gerade? Unternehmen machen Druck auf die Arbeitgeberverbände, die Löhne zu senken. Die arbeitenden Menschen werden in Konkurrenz zueinander gesetzt: Einheimische gegen Eingewanderte gegen Bürgergeldbezieher*innen gegen Geflüchtete. Mit dem Scheinargument, dass sich Leistung lohnen müsse, planen Friedrich Merz und seine Union, das Bürgergeld zu kürzen. Derweil stecken Eingewanderte in unteren Lohngruppen fest und Geflüchtete sollen immer weniger bekommen. Es ist doch paradox: Unternehmen brauchen Zuwanderung; gleichzeitig wird Zuwanderung immer schwieriger. Die Politik müsste stattdessen dafür sorgen, dass Menschen, die dauerhaft hier leben, eine Arbeitserlaubnis und damit auch die gleichen politischen und gewerkschaftlichen Rechte erhalten wie Einheimische. Noch kurz zur Schuldenbremse: Die muss ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen muss Geld in Gesundheit, Bildung und Soziales sowie Infrastruktur fließen. Auf keinen Fall in Rüstung – das ist verbranntes Geld.«