Mit geradem Rücken und hocherhobenem Kopf
Zum Jahresende schließt Ippen die Societäts-Druckerei | 140 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit
Als ob Heiligabend wäre. Keine Maschine läuft, kein Mensch ist zu sehen. Still ist es. Aber es ist nicht Heiligabend, sondern ein Freitagvormittag in der Weiterverarbeitung. Vor zehn Jahren wurde um diese Uhrzeit in der Frankfurter Societäts-Druckerei voll produziert, Vorprodukte für die Bild am Sonntag, für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Vor 20 Jahren arbeiteten in der Produktion noch 650 Beschäftigte. Damals war die Societäts-Druckerei eine der größten Rollenoffsetdruckereien Europas. Doch am 31. Dezember ist Schluss. Der letzte Tag des Jahres ist der letzte Tag der Druckerei. Schließung nach 168 Jahren.
Die Stimmung in der Belegschaft sei gedrückt, sagt Betriebsratsvorsitzender Nektarios Androulidakis, den alle Neki rufen. Die Leute seien angeschlagen. 20, 30 und 40 Jahre haben sie hier miteinander gearbeitet und am Leben der Kolleg*innen teilgenommen. Die Druckerei habe immer schwarze Zahlen geschrieben, selbst während der Corona-Pandemie. Viele Jahre hätten die Eigentümer viel Geld verdient – dank der Belegschaft. Und nun werden 140 Beschäftigte am 1. Januar 2025 ohne Arbeit sein. Niemand sei vorbereitet auf das, was kommt. Arbeitslosigkeit kannten sie nicht. »Vielen wird jetzt bewusst, dass sie solche Löhne wie in der Druckindustrie woanders kaum finden werden.«
Ein Facharbeiter, der sich bereits auf Stellenportalen umgeschaut hat, ist ernüchtert: »Stellen gibt’s genug. Man könnte überall anfangen. Aber die meisten Unternehmen wollen nicht viel zahlen.« Im Schnitt um die 38.000 Euro im Jahr. Und damit 17.000 Euro weniger als das tarifliche Jahresgehalt eines Druckers in Lohngruppe 7 mit Schichtzulagen und Antrittsgebühr. Die letzten Jahre der Societäts-Druckerei sind eine Geschichte von Streiks und Widerstand, von Aufspaltung und Tarifausstieg, von Verkäufen, Krisen und Personalabbau. Hier in Mörfelden nahe Frankfurt zeigt sich die Entwicklung der Druckindustrie wie unter einem Brennglas.
Die Societäts-Druckerei gehört zur Ippen-Gruppe, einem verschachtelten Unternehmen mit Minderheits-, Mehrheits- und Überkreuzbeteiligungen an Druckereien, Tageszeitungen, Boulevardzeitungen, Anzeigenblättern und Internetportalen um den Verleger Dirk Ippen, der in Rankings zu den 1.000 reichsten Deutschen gezählt wird.
Societäts-Druckerei geopfert
Im vergangenen Jahr sortierte sich die Ippen-Gruppe neu. Wie auf dem Schachbrett bündelte sie ihre Zeitungsproduktionen, tauschte quer durch die Republik Maschinen und modelte Formate um. Das Ergebnis: Die Societäts-Druckerei wird dichtgemacht. Zu groß. Zu gering ausgelastet. Zu niedrig die Auflagen. Es trifft eine Belegschaft, die aus Unternehmenssicht zu teuer ist und Konflikten nicht aus dem Weg ging. Die Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH (WVD) auf dem gleichen Grundstück reißt es gleich mit. Der Betrieb mit 50 Beschäftigten wurde bereits Ende Oktober geschlossen.
Die Teilauflagen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung werden ab 1. Januar 2025 beim Zeitungsdruck Dierichs (Ippen-Gruppe) hergestellt. Die dafür notwendige Druckmaschine im nordischen Format wird aus dem Druckhaus Syke (Ippen) nach Kassel geschafft. Die beiden Tageszeitungen Frankfurter Rundschau und Frankfurter Neue Presse druckt künftig das Pressehaus Bintz Verlag (Ippen-Gruppe) in Offenbach – auf einer neuen Rotation im Berliner Format. Dafür wird die Frankfurter Neue Presse verkleinert und die Frankfurter Rundschau vergrößert. Die komplette Zeit-Auflage hat die Ippen-Gruppe im Zuge ihrer Verschiebungen an die Konkurrenz der Süddeutschen Zeitungsdruckerei in München verloren.
Kampagne gegen Tarifausstieg
14 Jahre ist es her, dass die Belegschaft der Societäts-Druckerei in der Branche schlagartig bekannt wurde. Die damalige Eigentümerin war die Fazit-Stiftung (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und die wollte Verwaltung, Redaktion und Druck in drei Firmen aufspalten. Das Motiv: Was einmal ausgegliedert ist, lässt sich schneller verkaufen und ausgliedern. Den Betriebsrat schwächt es gleich mit, denn drei Firmen hieße drei separate, viel kleinere Gremien. Nur die Beschäftigten der Druckerei sollten ihren Tarifvertrag behalten.
Als Reaktion auf die Angriffe gab es eine große Öffentlichkeitskampagne: ver.di-Aktive verteilten mehr als 35.000 Flugblätter mit dem Titel »Fazit-Stiftung auf Schlecker-Kurs«. Die Drogeriemarktkette war damals Synonym für einen miesen Umgang mit Beschäftigten bei gleichzeitiger Rettung des eigenen Vermögens. Die Belegschaft – von der Weiterverarbeitung und Rotation bis zur Redaktion, Verwaltung und Kantine – streikte zehn Tage am Stück. Die Aufspaltung konnte zwar nicht verhindert werden, aber der Tarifausstieg.
An diesen Erfolg konnte die Belegschaft nie wieder anknüpfen – trotz heftigem Widerstand. 2018 kaufte die Ippen-Gruppe gemeinsam mit der Gießener Verlegerfamilie Rempel die Societäts-Druckerei. Mit im Paket die Verlage der Frankfurter Rundschau und Frankfurter Neuen Presse. Entgegen den Beteuerungen des Managements, dass sich nichts ändern werden, passierte, was immer passiert, wenn sich Ippen einkauft. In einer Blitzaktion wechselte das Unternehmen beim Arbeitgeberverband in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung.
Das Vorgehen ist immer gleich. Die Standorte werden gegeneinander ausgespielt. Ist eine Belegschaft nicht bereit, mehrere Wochenstunden gratis zu arbeiten, werden Druckaufträge abgezogen. Und Standorte geschlossen. Wie in Weilheim, Wolfratshausen und 2025 die Druckerei Dessauerstraße in München. Unterschreiben Beschäftigte aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, einen Einzelarbeitsvertrag, verlieren sie die Nachwirkung und damit die Leistungen der Tarifverträge. Ohne Tarif zu beschäftigen, lohnt sich für Ippen. In der 2012 neu gebauten Druckerei im bayerischen Penzberg verdienen Drucker monatlich 800 Euro netto weniger als mit Tarif, nicht eingerechnet die unbezahlten Arbeitsstunden. Dort wird seit Jahren immer wieder Personal gesucht. Versprochen werden ein gutes Miteinander, ein Mitarbeiter-Abo sowie regelmäßige Betriebsfeiern. Was nicht drinsteht: Es gibt keinen Tarif, keine 35-Stunden- Woche, keine Maschinenbesetzungsregel, wenig Personal.
Auf Einzelarbeitsverträge hat sich in der Societäts-Druckerei so gut wie niemand eingelassen – und so profitiert die Belegschaft trotz Tarifausstieg immer noch von den Tarifverträgen der Druckindustrie. Einzig die tariflichen Lohnerhöhungen sind seit sechs Jahren ausgeblieben.
Drei Wochen Streik
Der Tarifausstieg war nicht die einzig schlechte Nachricht in dem Jahr 2018. Das Unternehmen plante, 100 Leute zu entlassen. Als Begründung nannte die Geschäftsführung die Kündigung des Druckauftrags durch den Axel-Springer-Verlag. Der lässt seitdem seine Zeitungen in der fünf Minuten entfernten Druckerei einer türkischen Gruppe drucken.
Die Reaktion der Belegschaft: Sie streikte für einen Anerkennungstarifvertrag und protestierte gegen die Massenentlassung. Drei Wochen am Stück. Montag bis Sonntag, von morgens bis in die Nacht. Bis auf die Schichtführer waren alle vor dem Tor. Letztlich wurden nicht 100 Kolleg*innen entlassen, sondern 70. Ab diesem Zeitpunkt werden die Erfolge weniger, die Widerstandskraft schwindet. Das Management stellt neues Personal unter Tarif ein, ersetzt Teilzeitkräfte durch Werkverträge und kippt die Besetzungsregel in der Weiterverarbeitung.
Die Tage der Druckerei sind gezählt. Was die Ippen-Gruppe mit dem Gebäude und den Druckmaschinen vorhat, wollte DRUCK+PAPIER vom Noch-Geschäftsführer wissen. Doch der verweigert das Gespräch.
Neki posiert ein letztes Mal für den Fotografen – mit vor der Brust verschränkten Armen. 57 Jahre ist er alt, mit 22 hat er in der Druckerei angefangen. Demnächst wird er keine Arbeit mehr haben. Doch er bereut keinen einzigen Streik und keine einzige Protestaktion. »Wir gehen hier mit hocherhobenem Kopf raus.«
2018 streikte fast die gesamte Belegschaft der Produktion drei Wochen am Stück. Verleger Rempel war beleidigt, wollte keine rote Jacken im Betrieb sehen und die Toiletten im Gebäude durften die Streikenden nicht benutzen. Also besorgte ver.di eine mobile Toilette, Strom lieferte der Generator der Vertrauensleute. Zu Hause waren die Streikenden nur zum Schlafen und Duschen. Sie trugen die roten Jacken nun ständig.