Gegen das Gefühl der Ohnmacht
Warum Streiks wie beim Bundesanzeiger-Verlag in Köln wichtig sind für die Demokratie
Es geht ums Ganze. »Hier wird die Axt angelegt an die Grundfesten unserer Gesellschaft«, sagt Gerhard Treinen, »an Sozialpartnerschaft und Demokratie.« Treinen ist Betriebsratsvorsitzender beim Bundesanzeiger-Verlag in Köln, wo seit einem Dreivierteljahr für einen Tarifvertrag gekämpft wird. An mehr als 111 Tagen wurde bereits gestreikt. Doch das Unternehmen setzt weiter auf prekäre Beschäftigung, auf Niedriglöhne und Leiharbeit und verweigert jedes Gespräch mit ver.di. Schlichtungsangebote aus der Politik werden als ungebetene Einmischung abgelehnt. Dabei macht der Bundesanzeiger-Verlag den Großteil seiner Geschäfte in hoheitlichem Auftrag, beauftragt vor allem vom Bundesjustizministerium.
Gegen Vereinzelung
Wie hält man einen Arbeitskampf so lange durch? Und was macht es mit den Streikenden, wenn dem Arbeitgeber alle Gepflogenheiten eines guten Miteinanders im Betrieb demonstrativ egal sind? Das alles, sagt Treinen, der auch der betrieblichen Tarifkommission vorsitzt, könne ganz schön belastend sein. »Ich habe großen Respekt vor denen, die das mit uns durchziehen.«
Marius Koch ist einer von ihnen. Der 32-Jährige gehört dem Aktivenkreis an, der den Streik maßgeblich organisiert, und denkt gar nicht daran aufzugeben. »Viele Kolleg*innen erleben beim Streik zum ersten Mal ein Zusammengehörigkeitsgefühl«, berichtet er. »Gemeinsam aktiv zu werden, hilft gegen Vereinzelung. Gegen das Gefühl, dass man nichts tun kann.« Es spricht viel dafür, dass die Erfahrung einer solchen »Selbstermächtigung«, wie der aktive Gewerkschafter das nennt, über den Streik und den Betrieb hinauswirkt. Als Gegengift gegen rechtes Gedankengut.
Solidarisches Handeln
Rechtsextreme Parteien wie die AfD leben davon, die Welt in düstersten Farben zu malen. Sie schüren Angst, Wut und Ohnmachtsgefühle, um sich mit ihren rassistischen und nationalistischen Scheinlösungen als vermeintlich einzige Vertretung der Wütenden inszenieren zu können. Solidarisches Handeln wie beim Bundesanzeiger-Streik ist das gelebte Gegenmodell dazu. Und eine Erfahrung, die dazu führen kann, dass man für ein demokratisches Zusammenleben eben nicht nur im Unternehmen eintritt.
Mehr dazu, wie betriebliches Engagement auch gegen rechts helfen kann, steht auf den Seiten 4 und 5.