»Deutschland ist der kranke Mann Europas!«
Um Wirtschafts-Hokuspokus geht es in unserer Serie mit Patrick Schreiner aus der ver.di-Wirtschaftspolitik.

Patrick Schreiner aus der ver.di-Wirtschaftspolitik. Foto: privat
»Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Was Unternehmen und ihre Verbände wieder mal für ihre Zwecke nutzen. Gebetsmühlenartig jammern sie, dass Deutschland ›der kranke Mann Europas‹ sei.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Wirtschaft in Deutschland in diesem Jahr nur um 0,2 Prozent wächst. Das ist Schlusslicht unter den sieben führenden Industrienationen (G7).
Schuld sollen die Bürokratie, zu hohe Steuern und zu hohe Sozialabgaben sein. Also der Staat. Tatsächlich aber stolpert die Wirtschaft wegen der hohen Zinsen und der gesamtwirtschaftlichen Reallohnverluste, die Konsum und Nachfrage drücken. Zudem trifft der schwache Welthandel ein Exportland wie Deutschland besonders hart. Dagegen helfen weder ›Bürokratieabbau‹ noch Steuersenkungen. Stattdessen brauchen wir höhere Löhne, niedrigere Zinsen und Investitionsanreize etwa für Klimaschutz, bezahlbare Wohnungen, öffentlichen Verkehr und das Gesundheitswesen.
Das Lamento der Verbände hingegen soll Druck machen auf die Politik. Als Ende der 1990er-Jahre Deutschland schon einmal als kranker Mann Europas bezeichnet wurde, waren Steuersenkungen und Sozialabbau die Folge; außerdem hat die damalige rot-grüne Bundesregierung Leiharbeit und Niedriglöhne ausgeweitet.«
Wirtschaftsmärchen.
Hundertundeine Legende über Ökonomie, Arbeit und Soziales.
Patrick Schreiner, Kai Eicker-Wolf
PapyRossa Verlag, September 2023, 270 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-89438-814-0
