Ausbildung

»Sie können nichts!«

Comcave-Prüflinge fallen durch schlechte Leistungen auf | Scheitern in der Praxis | Kritik von Prüfer*innen | Umschüler*innen sind die Leidtragenden

Bei Comcave startet die Umschulung zu Mediengestalter*innen an verschiedenen Standorten zur gleichen Zeit. In Saarbrücken, Oberhausen und Bremen, in Jena, Oldenburg und Regensburg. Auch Larissa Amariei, 25, und Norbert Löffler, 52, lernen bei Comcave Mediengestalter*innen. Sie: abgeschlossenes, in Deutschland nicht anerkanntes Studium, wenig Deutschkenntnisse, arbeitslos. Die Frau vom Jobcenter versichert ihr (irrtümlich), dass Mediengestalterin gerade wegen der geringen Sprachkenntnisse für sie der richtige Beruf sei, weil man vor allem am Computer arbeite und wenig Kontakt zu Menschen habe. Er: gelernter Maschinenschlosser, dann selbstständig, dann insolvent. Die Frau vom Jobcenter fragte: »Mediengestalter? Was macht man da? Werden Sie doch Lokführer.« Er bildet sich im Selbststudium weiter. Dann bekommt auch er den Bildungsgutschein.

Heike Krämer ist überrascht, wie häufig Arbeitsagenturen empfehlen, zu Mediengestalter*innen umzuschulen. »Das geht oft am Markt vorbei«, sagt die Expertin für Berufe der Medienwirtschaft im Bundesinstitut für Berufsbildung. Der Bedarf an Mediengestalter*innen werde überwiegend durch die duale Ausbildung gedeckt und sei seit Jahren rückläufig.

Das erste Jahr: Photoshop, Indesign, Mathematik, JavaScript, Dreamweaver, Wirtschafts- und Sozialkunde. »Es waren so unglaublich viele Informationen, die man speichern musste.« Larissa Amariei hat Probleme mit dem Stoff. »Mein Deutsch ist nicht gut genug«, denkt sie. Doch auch andere beschweren sich: zu viel Input, zu kompliziert. Nachfragen werden von den Lehrkräften abgebügelt. Man müsse sich an den Lehrplan halten.

Unterricht ist von 8 bis 13 Uhr. Laura Spähner wundert sich. »Der Nachmittagsunterricht sei freiwillig, wurde uns gesagt. Wir könnten uns von zu Hause aus einloggen oder aus dem Kursraum.« Doch nicht immer sei nachmittags ein Dozent zugeschaltet gewesen. »Oder der falsche. Also ein Fachmann für Print. Wir nehmen aber gerade Photoshop durch.« Norbert Löffler ist genervt und lernt immer öfter allein zu Hause mit Youtube-Videos.

»Duale Ausbildungsberufe wie Mediengestalter*in Digital und Print werden vorrangig nicht für Umschulungen konzipiert, sondern für Betriebe, begleitet durch die Berufsschulen«, sagt Michael Assenmacher. Er leitet das Referat Weiterentwicklung der Beruflichen Ausbildung bei der DIHK, dem Dachverband der Industrie- und Handelskammern. Ähnlich argumentiert Anette Jacob, Geschäftsführerin des ZFA, einer gemeinsamen Einrichtung von ver.di und dem Bundesverband Druck und Medien. »Ich rate immer zur betrieblichen Umschulung, denn dann sind die Übernahme und Weiterbeschäftigung der Mediengestalter*innen viel wahrscheinlicher, weil man praxisorientiert ausgebildet wird.«

Spähner, Amariei und Löffler sitzen zwölf Monate vor dem Bildschirm. Ein Jahr Tele-Learning. Alle drei lernen in dieser Zeit ihre Lehrkräfte nur online kennen. Das entspricht nicht der Richtlinie der Industrie- und Handelskammer. Dort steht, dass der Ausbilder die Inhalte in der Ausbildungsstätte unmittelbar, verantwortlich und im wesentlichen Umfang vermitteln soll. Das heißt: Der Ausbilder muss mindestens 51 Prozent anwesend sein. Alle drei sagen: »Bei uns im Kursraum war niemand.«

»Bei ausschließlich virtuellem Lernen ist das Scheitern programmiert«, sagt Uwe Gößling. Er leitet das Referat Industriell-technische Berufsbildung der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld.

Jede örtliche Industrie- und Handelskammer ist zuständig dafür, dass die Umschulungen ordnungsgemäß ablaufen. Sie prüft, ob die Unterrichtsräume und Lehrkräfte geeignet sind und maximal 16 Umschüler*innen in einem Kurs unterrichtet werden. Doch niemand kann kontrollieren, wie viele Umschüler*innen an den Bildschirmen von Bremen bis Regenburg sitzen.

Mehr noch: »Wenn wir unseren Besuch beim Bildungsträger ankündigen, finden wir selbstverständlich einen Ausbilder im Kursraum vor«, sagt der Bildungsverantwortliche einer IHK. »Kommen wir unangekündigt und es ist keine Lehrkraft im Raum, behauptet der Träger, dass es sich um die Unterrichtszeit ohne verpflichtende Anwesenheit handelt.« Er fragt sich, warum die Arbeitsagenturen so leichtfertig Mittel für solche Maßnahmen ausgeben.

Das zweite Jahr: Auf dem Lehrplan steht ein sechsmonatiges Praktikum. Norbert Löffler erhält von Comcave wie alle anderen eine Liste mit möglichen Praktikumsbetrieben. Auf eigene Faust entdeckt er einen Laden, der Druckereien mit dem Bedrucken von Fotos auf Stoffe beauftragt. Mit seinem künftigen Beruf hat das wenig zu tun. Das findet auch sein Chef. Larissa Amariei schreibt mehr als 30 Bewerbungen – und erhält nur eine Antwort: Sie macht ihr Praktikum in einer Werbeagentur. »Die Suche war echt Stress für mich. Ich dachte, die Leute von Comcave helfen mir.« Stattdessen wurden die Umschüler*innen ermahnt, nicht herumzutrödeln. Die Industrie- und Handelskammer ließe ohne Praktikum niemanden zur Prüfung zu.

Larissa Amariei müht sich. Doch der Agenturchef ist nicht zufrieden. »Ich kann nichts, hat er zu mir gesagt.« Die beiden Azubis, die Mediengestalter*innen regulär im Betrieb lernen, beherrschen viel mehr als sie. Der Chef prophezeit ihr, dass sie die Prüfung allenfalls mit »ausreichend« bestehen und danach keinen Job finden wird.

»So nicht«, sagt Uwe Gößling von der IHK. »Der Träger ist verpflichtet, den Umschüler*innen einen geeigneten Praktikumsplatz zu vermitteln.« Und den Praktikumsbetrieb zu kontrollieren. Alle drei sagen übereinstimmend: »Während unseres Praktikums hat uns niemand von Comcave besucht.«

Dem Praktikum folgen sechs Monate Prüfungsvorbereitung. Vormittags am Bildschirm, nachmittags über den Büchern. Laura Spähner hat ein mulmiges Gefühl.

Die Prüfung: In der ersten Aufgabe soll eine Designkonzeption erarbeitet werden – neues Logo, Außenwerbung, Verpackung, Internetauftritt für eine Firma. Der Prüfer notiert: »Roter Faden nicht ersichtlich, kein medienübergreifendes Erscheinungsbild, Erläuterung unpräzise, Farbkonzept nicht stimmig.« Die Präsentation des Konzepts: »Kein freier Vortrag, kein sachlich richtiger Einsatz der Medien, Rückfragen ungenügend beantwortet.« Nicht bestanden.

Laura Spähner fällt durch. Larissa Amariei besteht mit »ausreichend« und findet danach keinen Job – wie ihr Agenturchef vermutet hat. Norbert Löffler meldet sich erst gar nicht zur Prüfung an.

95 Prozent der Mediengestalter*innen, die den Beruf im Betrieb gelernt haben, bestehen die Prüfung. Bei umgeschulten Mediengestalter*innen sei die Durchfallquote allerdings noch höher als generell bei Umschüler*innen, berichtet der Bereichsleiter einer IHK.

Das wundert Claudia Mönnig nicht. Sie prüft angehende Mediengestalter*innen Digital und Print. Wenn Prüflinge durchfallen oder die Prüfung nur knapp schaffen, dann handele es sich meist um Umschüler*innen von Comcave. Oft auch von anderen privaten Bildungsträgern. Mit ihrer Kritik ist sie nicht allein. »Comcave-Prüflinge fallen vor allem durch schlechte Leistungen auf«, sagt eine andere Prüferin. »Selbst wer es knapp schafft, wird die Probezeit kaum überstehen«, vermutet ein dritter. Die Leidtragenden seien die schlecht ausgebildeten Umschüler*innen. »Warum darf der Träger weiter umschulen?«

Aufgabe der Industrie- und Handelskammern ist es, die Umschulungen zu überwachen. Eine IHK schickt ihre Bildungsberater zum Träger, eine andere führt Mediationsgespräche und lässt sich Berichtshefte zeigen. Auch manch eine Arbeitsagentur und manch ein Jobcenter wissen um die Qualitätsmängel. Gibt es Kritik, schreibt der Prüfdienst der Arbeitsagentur einen Bericht. Der geht an den Träger und an die sogenannte fachkundige Stelle, eine externe Einrichtung. Dann nimmt der Träger eine Korrektur bei der Maßnahme vor. Oder eine einzelne Maßnahme wird eingestellt. Vielleicht wird der gleiche Qualitätsmangel an einem anderen Standort kritisiert. Wieder wird ein Bericht geschrieben, der Mangel vor Ort behoben oder die einzelne Maßnahme eingestellt. So ist das System konstruiert. Ein Bildungsträger, der die Schwächen des Konstruktes kennt, schlüpft durch.

Uwe Gößling von der IHK hält dieses Umschulungsformat für wenig zielführend. Besser wäre, den virtuellen Anteil zu reduzieren. Schließlich werde an den Prüfungsergebnissen deutlich, dass Einzelumschulungen im Betrieb erfolgreicher seien.

Das nutzt den drei Umschüler*innen nichts mehr. Norbert Löffler jobbt. »Die zwei Jahre waren vergebens.« Laura Spähner hat sich im Bildungszentrum einer Handwerkskammer auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet und bestanden. »In diesem halben Jahr habe ich mehr gelernt als die ganze Zeit bei Comcave.« Larissa Amarieri arbeitet heute als Nageldesignerin im eigenen Beauty-Shop.

In eigener Sache

Die Namen der Umschüler*innen sind zu deren Schutz geändert. Ihre Erfahrungen fielen nicht in die Zeit des Corona-Lockdown. Für diesen Text hat DRUCK+PAPIER mit etwa zwei Dutzend Interviewpartner*innen gesprochen. Darunter Betroffene, Prüfer*innen, Vertreter*innen von IHK, Arbeitsagenturen und deren Dachverbänden, mit ZFA und anderen. Zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehört es, der kritisierten Seite – in diesem Fall Comcave – die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. DRUCK+PAPIER hat die Firma telefonisch und mehrfach per E-Mail aufgefordert. Comcave reagierte nicht.

Im Betrieb wäre sie besser aufgehoben gewesen.