Freikaufen reicht nicht
Echte Klimaneutralität ist für Druckereien schwer zu erreichen. Woran es hakt und warum es nicht allein die Lösung sein kann, Geld für den CO2-Ausgleich zu zahlen.
Wer in eine Internet-Suchmaschine die beiden Begriffe »Druckerei« und »klimaneutral« eingibt, erhält mehr als 60.000 Treffer. Ungezählte Druckereien werben damit, dass man bei ihnen mit reinem Klimagewissen Broschüren, Briefpapier oder Werbeflyer bestellen kann. Dazu scheint zu passen, dass der Bundesverband Druck und Medien zu Jahresbeginn per Pressemitteilung erklärte: »Die Druckindustrie produziert immer nachhaltiger.«
Nur Ökostrom reicht nicht
Was verbirgt sich hinter diesen schönen Worten? Glaubt man Guido Rochus Schmidt: nicht viel. Oder jedenfalls: nicht genug. Er gründete einst die Druckerei Ulenspiegel im bayerischen Starnberg, die sich als Pionierin des umweltbewussten Druckens einen Namen machte. Heute ist der 69-Jährige als Umweltberater tätig. Er sagt: »Von 7.258 Druckunternehmen in Deutschland sind gerade einmal 162 ernsthaft als klimaneutral zertifiziert.«
Das heißt: Nur sie lassen sich und ihre Klimaschutzanstrengungen regelmäßig unabhängig überprüfen, haben ein eigenes Umweltmanagementsystem eingerichtet, arbeiten kontinuierlich an der Senkung ihrer Treibhausgasemissionen – und dürfen deshalb Auszeichnungen tragen wie das EU-Label EMAS oder das bekannte deutsche Umweltzeichen »Der Blaue Engel«. Schmidt kritisiert: »Viele Druckereien nennen sich klimaneutral, nur weil sie Ökostrom nutzen und CO2-Zertifikate kaufen.« Wenn nicht zugleich der gesamte Produktionsprozess auf den Umweltprüfstand gestellt werde, sei das bloß Greenwashing. So wird es genannt, wenn sich Unternehmen ein umweltfreundliches Image zulegen, sich also auf Grün waschen, ohne dass es dafür eine Grundlage gibt. Zwar hat ein Umstieg auf grünen Strom in der energieintensiven Druckindustrie den größten Effekt. Klimaschädliche Emissionen können aber auch eingespart werden durch prozesslose Druckplatten, durch Farben aus nachwachsenden Rohstoffen, durch alkoholfreie Zusätze im Feuchtwasser der Maschinen oder durch Elektroautos als Firmenfahrzeuge. Druckereien können ihren Beschäftigten für den Weg zur Arbeit Fahrräder spendieren oder Tickets für Bus und Bahn. Und sie können das Firmengebäude effizienter heizen und beleuchten.
»Von 7.258 Druckunternehmen in Deutschland sind gerade einmal 162 ernsthaft als klimaneutral zertifiziert.«
Guido Rochus Schmidt, Gründer der Druckerei Ulenspiegel, jetzt Umweltberater und Mitbegründer von Umdex
Foto: privat
Allerdings: Nur den kleineren Teil der Emissionen, die bei der Herstellung eines Printprodukts anfallen, kann eine Druckerei direkt beeinflussen. Das Gros der Emissionen wird in der Lieferkette freigesetzt.
Mehr Recyclingpapier
Martin Lind ist Geschäftsführer von Industriedruck Brandenburg, einer Großformatdruckerei mit 13 Beschäftigten in Wustermark bei Berlin, und hat es ausgerechnet: Zu 60 Prozent entstehe der CO2-Fußabdruck, den Produkte aus seinem Haus hinterlassen, bei der Papierherstellung und zu 20 Prozent beim Transport. Trotzdem will er sich nicht auf das verbleibende Fünftel beschränken. »Wir achten darauf, dass wir nicht bundesweit auf Kundenakquise gehen«, sagt Lind. Druckaufträge, die aus dem tiefen Süden oder Westen des Landes kommen und von einer dortigen Druckerei genauso gut erledigt werden könnten, lehne man ab. Das spart überflüssige Transportwege. Außerdem werbe man für eine verstärkte Nutzung von Recyclingpapier. »Information und Aufklärung ist für uns ein ganz wichtiger Bereich«, erklärt der Geschäftsführer.
Sein Unternehmen gehört wie die Druckerei Lokay im hessischen Reinheim (siehe hier) zu den wenigen Druckereien, die den »Blauen Engel« und die europäische EMAS-Auszeichnung tragen dürfen. Das kostet Geld: Auf mindestens 50.000 Euro schätzt Ralf Lokay seine jährlichen Kosten für die Zertifizierungen. »Mir ist es das wert, weil ich denke, dass wir einfach nicht so weitermachen können wie bisher.« Aber er weiß auch, dass sich das nicht alle Druckereien leisten können oder wollen. Wie sein Kollege Martin Lind engagiert er sich deshalb bei Umdex (Umwelt- Index-Druck) – einer von Guido Rochus Schmidt, dem Umweltberater, mitgegrün- deten Initiative, die sich unter anderem für eine staatliche Förderung von Blauer- Engel-Zertifizierungen und von Blauer- Engel-Druckprodukten einsetzt.
»Wir achten darauf, dass wir nicht bundesweit auf Kundenakquise gehen.«
Martin Lind ist Geschäftsführer von Industriedruck Brandenburg
Foto: privat
»Klimaneutral« sagt wenig aus
Zumindest bislang ist es für Druckunternehmen einfacher und billiger, über den Kauf von CO2-Zertifikaten zur Klimaneutralität zu gelangen, wenn auch nur auf dem Papier. Die Idee: Man zahlt freiwillig Geld dafür, dass der eigene Treibhausgasausstoß an anderer Stelle ausgeglichen wird, zum Beispiel durch Waldschutzprojekte, Wiederaufforstungen, Windparks. Weil die Klimaschutzprojekte meist im globalen Süden betrieben werden, gibt es die Zertifikate zum Schnäppchenpreis. Derzeit kostet der Ausgleich von einer Tonne CO2 rund 20 Euro. Zum Vergleich: Vom Umweltbundesamt werden die Schäden, die eine solche Menge an Emissionen verursacht, mit mindestens 195 Euro beziffert.
Druckereien können CO2-Zertifikate seit 15 Jahren über die Klimainitiative der Druck- und Medienverbände erwerben, der nach eigenen Angaben knapp 230 Mitglieder angehören. Bedeutender sind private Anbieter: Allein Climatepartner, einer der größten, zählt nach eigenen Angaben fast 1.000 Druckbetriebe in Deutschland zu seiner Kundschaft. Wie alle Anbieter legt das Münchner Unternehmen Wert darauf, nicht bloß Ablasshandel zu betreiben. Die Kompensation, heißt es, soll immer erst der dritte Schritt nach dem Vermeiden und Reduzieren sein.
Im Jahresrhythmus überprüfe man die Treibhausgasbilanz der Kundenunternehmen und ihrer Produkte, erklärt Climatepartner- Sprecher Dieter Niewierra. »Man kann den CO2-Fußbabdruck als Jahreszeugnis verstehen.« Die Versetzung ist dabei, um im Bild zu bleiben, jedoch nie gefährdet. Auch wenn keinerlei Emissionen eingespart wurden, können weiter Zertifikate gekauft werden. Und anders als etwa in Frankreich sind Unternehmen in Deutschland nicht gesetzlich zur Transparenz verpflichtet, wenn sie mit dem Zauberwort »klimaneutral« werben wollen.
Gleicht eine Druckerei, wie es auch Lokay und Industriedruck Brandenburg tun, mit CO2-Zertifikaten nur die Restemissionen aus, die sich (noch) nicht vermeiden lassen? Kauft sie sich, ohne weitere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, einfach frei? Oder beschränkt sich »klimaneutraler Druck« allein auf das Angebot an die Kundschaft, gegen Aufpreis den CO2-Fußabdruck ihres Auftrags auszugleichen? Der Zertifikatehandel ermöglicht alles gleichermaßen.
Hinzu kommt: Selbst wenn die Klimaschutzprojekte, in die investiert wird, höchsten Standards genügen, bleiben Unsicherheiten. Die Rechnung geht ja nur auf, wenn die Projekte zusätzlich und dauerhaft sind. Doch der Nachweis, dass etwa ein Windpark ohne die Ausgleichszahlungen nie errichtet worden wäre, ist schwer zu führen. Noch schwerer dürfte zu garantieren sein, dass neu gepflanzte Bäume nicht eines Tages ersatzlos gefällt werden können.
Ist der Kauf von CO2-Zertifikaten bloß Greenwashing? Oder hat er doch eine positive Wirkung? Wissenschaftler Nico Kreibich vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie gibt darauf eine salomonische Antwort: »Beides«. Trotz aller Schwierigkeiten könne das System durchaus funktionieren. »Problematisch wird es, wenn ein Unternehmen andere Maßnahmen nicht ergreift, weil die Zertifikate günstiger sind.«
Klimaneutral drucken – geht das?
Wenige Druckereien bemühen sich um konsequenten Klimaschutz. Die Druckerei Lokay in Reinheim ist eine der Ausnahmen.