Strichätzung

Sylter Sause

Anfang des Jahres dachten wir noch: »Endlich Licht am Ende des Tunnels.« Dann war es leider ein entgegenkommender russischer Panzer. Inflation, Gasmangel, die Sprit- und Strompreise explodieren wie die Temperaturen im Sommer. Man fragt sich mittlerweile: Was kommt als Nächstes? Eine Alien-Invasion? Gott spricht zu den Menschen – also er/sie selbst, direkt via TikTok? Doch es passieren auch lustige Dinge: Immer noch gibt es in den Medien DDR-Vergleiche, obwohl die DDR seit 1990 so tot ist wie Lady Di, Disko und Latein. Fordert irgendwer eine Übergewinnsteuer wegen der schamlosen Vulgarität vieler Unternehmen, sich auf unsere Kosten an der Krise zu bereichern, schreibt sofort eine Journalistin: »DDR 2.0!« Ist jemand fürs Tempolimit: »DDR!« Nimmt ein Kinderbuchverlag aus eigenem Antrieb sein Winnetou-Buch vom Markt, weil es – vielleicht ja zu Recht – ein paar negative Kommentare dazu gab: »DDR!« Dabei sollte jedem Journalisten der Unterschied zwischen rückgratlosen PR-Leuten und staatlicher Zensur bekannt sein. Im Übrigen leben wir seit über 30 Jahren ausschließlich im real existierenden Kapitalismus neoliberaler Prägung und nirgends sonst. Wer als Journalist derlei ernsthaft mit der DDR vergleicht, weiß wohl gar nicht, wie viele Latten am Zaun ihm bereits fehlen. Das Einzige, was mich diesen Sommer an die DDR erinnerte, war die Hochzeitsparty des Finanzkaspers Christian Lindner – bei der alles vertreten war, was zu DDR-Zeiten wohl in Wandlitz gewohnt hätte: Robert Habeck kam per 9-Euro-Ticket aus Flensburg (natürlich zu spät), Olaf-ich-kann-mich-nicht-erinnern-Scholz im Regierungsheli und »Oppositionsführer« Merz von der Blockpartei CDU flog den eigenen Privatjet. Motto der Sylter Sause: »Das Volk hat kein Benzin? Dann soll es halt Tesla fahren!«