Aus den Betrieben

Der Krieg und die Tapeten

Geflüchtete Beschäftigte aus Kiew bei Rasch untergekommen | Massiver Absatzeinbruch in der Branche | Marburger Tapetenfabrik produziert wieder

Bislang gab es weder Tote noch Verletzte unter den 170 Beschäftigten des ukrainischen Werks in Kalush am Fuß der Karpaten. Die Produktionsstätte, die zum Bramscher Tapetenhersteller Rasch gehört, liegt im Westen der Ukraine mehr als 1.000 Kilometer von Mariupol entfernt. Zwar gibt es auch in Kalush regelmäßig Luftalarm – aber keine Kämpfe und keine Bombardements. Deshalb war das Werk auch nur einen Monat dicht. Seitdem wird wieder tageweise produziert.

Hilfe aus Bramsche

Anders in Kiew, wo das Büro für Vertrieb und Design seit Kriegsbeginn leer steht. Alle zehn Beschäftigten sind geflohen, zum Teil innerhalb des Landes. Sechs von ihnen flüchteten bis ins norddeutsche Bramsche, wo sie mit ihren Familien zunächst im Gästehaus des Unternehmens Unterschlupf fanden. »Das sind Menschen, die wir seit Jahren kennen«, sagt Geschäftsführer Dario Rasch. Er erzählt die Geschichte einer jungen Verkäuferin, die tagelang in einem Keller saß, während um sie herum Bomben detonierten. Mit ihrem siebenjährigen Sohn an der Hand floh sie durch die russischen Frontlinien über Felder, watete durch einen Fluss und schaffte es bis nach Deutschland.

In Bramsche spendete die Belegschaft für die ukrainischen Familien. Nicht nur Geld, sondern auch Möbel für die Neuankömmlinge und Lkw-Ladungen mit Windeln, Decken und Medikamenten für Kalush.

Die sechs Beschäftigten arbeiten inzwischen – ebenso wie ihre in der Ukraine gebliebenen Kolleg*innen – im Homeoffice für das ukrainische Werk. Dort wird derzeit fast ausschließlich für den Export nach Polen und ins Baltikum, aber auch für Frankreich, Spanien und Italien produziert. Das sei allerdings extrem kompliziert geworden, berichtet Geschäftsführer Rasch. Um einen einzigen Lkw für den Transport zu organisieren, sei tagelange Organisation nötig.

Viele Monate Kurzarbeit

Obgleich der Betrieb nur tageweise läuft, zahlt das Unternehmen die Löhne und Gehälter der 170 Beschäftigten voll weiter, anfangs sogar vorzeitig, um den Menschen mehr Geld für eine mögliche Flucht zu geben. Geflohen ist noch niemand, es wurden auch nur wenige Männer in den Krieg eingezogen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine spüren jedoch selbst die 430 Beschäftigten in Bramsche. Seit knapp zwei Jahren gibt es eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit, die Ende Juni ausläuft. Seit Kriegsbeginn brach der Absatz in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion massiv ein, berichtet Betriebsratsvorsitzender James Syrett. Im April gab es so wenig zu tun, dass die Produktion für zwei Wochen fast stillgelegt wurde.

Inzwischen wird wieder voll gearbeitet. Sorgen macht sich Syrett angesichts der zurückgehenden Bestellungen dennoch. Dazu kommen noch die steigenden Rohstoffpreise: »Wenn das Gas abgedreht wird, gehen hier ganz schnell die Lichter aus.« Die Marburger Tapetenfabrik mit ihren 300 Beschäftigten hat noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Anfang Dezember gingen nach einer Explosion Schlosserei, Kesselhaus, Fabrikhallen und ein Magazin in Flammen auf. Der Grund für den Großbrand war ein technischer Defekt. Erst seit Ende Februar – zwei Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine – wird wieder produziert. Zunächst werden allerdings erst einmal die ausstehenden Aufträge abgearbeitet. Für den Markt im Osten reiche die Kapazität noch nicht, erklärt Geschäftsführer Alexander Kubsch. Deshalb werden die 1,60 Meter breiten Tapetenbahnen, die normalerweise nach Russland, in die Ukraine und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion gehen, derzeit nicht hergestellt. Immerhin: Der Millionenschaden und die Übergangsphase sind versichert.

Wichtiger Exportmarkt

Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind für alle Tapetenhersteller ein wichtiger Markt. Rasch übernahm deshalb 2002 im ukrainischen Kalush eine ehemalige sowjetische Tapetenfabrik. Seitdem wird bei der Tochterfirma Sintra eine eigene Kollektion für Osteuropa und Zentralasien produziert. Bis zur Besetzung der Krim 2014 ging bei der Marburger Tapetenfabrik jede dritte Tapete in den Osten.