So was von mega-spießig
Da hatte ein Nerd mal wieder eine tolle Idee: Via App kann man jemanden ordern, der einem den Hintern abwischt. Das könnte ich auch selbst machen, klar. Aber ich kann die Zeit ja viel besser nutzen, indem ich auf dem Handy andere Apps ausprobiere: Gorillas bringen mir innerhalb von sieben Minuten Lebensmittel, damit ich nicht selbst in den Supermarkt muss. Wobei – wozu eigentlich? Ich lass’ ja das Essen fertig gekocht via Lieferando bringen. In einigen Städten gibt es schon den »Liefertürken«. Da fahren türkische Radler türkische Waren an (nicht nur) türkische Kundschaft aus und es verdienen auch nur türkische Startupper dran. Ausbeutung ist nur halb so schlimm, wenn es die eigenen Leute sind. Drum mögen viele Lieferdienste keine Betriebsräte: Die gelten als mega-spießig, Gewerkschaften sind »so was von 20. Jahrhundert«. Start-upper tun kumpelhaft und hypermodern, doch Obacht: Ein Kickertisch im Foyer macht noch keinen Mindestlohn! Und die Grundidee ist meist eher 17. als 21. Jahrhundert: Die einen tun nichts und lassen sich von den anderen bedienen. Und bezahlen sie dafür – und zwar schlecht.
Ich will nicht behaupten, früher sei alles schlechter gewesen: Der Adel musste seine Leibeigenen wenigstens einigermaßen in Schuss halten. Denn entzog sich das Personal ins Paradies, war das investierte Kapital futsch. Aber so ein Fahrradbote ist ja austauschbar. Wer berechnet jetzt, wie viel ein Fahrer bekommt, wenn er im Straßenkampf sein Leben riskiert, um den Quinoa-Salat mit Kürbis-Safran-Cappuccino zur neuen Adelsschicht zu bringen? Eben jene BWLer, die sich alles Mögliche per App ins Homeoffice-Loft bringen lassen und nicht einmal Trinkgeld geben, denn: Trinkgeld macht die Fahrer*innen bequem und träge: Zwinkersmiley. So, fertig… Wo bleibt denn nur der Popo-Abputzer?
Robert Griess