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Umetikettieren verschleiert den Einfluss der Alt-Nazis

Zu unserer Meldung in DRUCK+PAPIER 3/2021 »Keine Nazis auf dem Buchdeckel« schrieb uns Renate Gerstel. Sie ist stellvertretende DGB-Vorsitzende und im ver.di-Vorstand im Heidekreis:

»Wenn der juristische Fachverlag C.H. Beck glaubt, es reiche aus, juristische Kommentare von Alt-Nazis nur umzubenennen, gleicht das einem Armutszeugnis. Das verschleiert einmal mehr den bis heute nachwirkenden faschistischen Einfluss in allen Rechtsgebieten. Für kommende Generationen wird es immer schwerer herauszufinden, wem es im Arbeitsrecht zu verdanken ist, dass die bundesrepublikanische Gerichtsbarkeit ungebremst ihre rechtsideologische Entwicklung nahm, mit der wir noch heute zu kämpfen haben. Ob Treuepflicht, Verbot politischer Betätigung, Betriebsgemeinschaft, vertrauensvolle ›Zusammenarbeit‹, Friedenspflicht oder das in den Arbeitnehmer gesetzte ›Vertrauen‹ bei sogenannten Verdachtskündigungen: Die Spuren faschistischer Ideologie sind allgegenwärtig. Sie fußen auf den braunen Rechtsschöpfungen eines Hans Carl Nipperdey, eines Alfred Hueck, Rolf Dietz sowie auch Arthur Nikisch, die unter anderem das damalige ›Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit‹ kommentierten und darin die Ideologie eines ›Personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses‹ zwischen Unternehmen und Beschäftigten erfanden. Es gelang ihnen, dieses braune ›Gedankengut‹ in der neuen Republik ungehindert ins Arbeitsrecht zu zementieren, obwohl kein einziges Gesetz dies damals vorsah. All das geschah in brutal-einseitiger Parteinahme für die Unternehmen, um ihren abhängig Beschäftigten die Mittel des Arbeitskampfes zu entziehen oder jedenfalls erheblich abzuschwächen. Generationen von Juristen und Juristinnen wurden von dieser ›Viererbande‹ geprägt. Nipperdey, der früher mit Blutrichter Roland Freisler publizierte, war mehr als 20 Jahre Präsident des Bundesarbeitsgerichts. In seinem ersten BAG-Urteil zum Arbeitskampf verkündete er entgegen Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz: ›Arbeitskämpfe‹ seien ›im allgemeinen unerwünscht, weil sie volkswirtschaftliche Schäden verursachen‹. Fortan galten Streiks als unerlaubte Handlungen, die eines Rechtfertigungsgrundes bedurften – und Gewerkschaften als womöglich schadensersatzpflichtig.

Es gilt, den Einfluss dieser unseligen Personen und all jener der anderen Rechtsgebiete Stück für Stück zu enttarnen. Dann bekommt das deutsche Recht den demokratischen Aufwind, den es nach 1945 verdient hätte.«