Die Kümmerer von Oberlin
Ausbildung in den Druck- und Medienwerkstätten im Berufsbildungswerk Potsdam | Für Jugendliche mit gesundheitlichen Einschränkungen | Ausnutzen von Praktikant*innen als billige Kräfte wird verhindert |
»Bücher restaurieren, das wäre schön!«, antwortet Linda-Haida Tubes, 23, auf die Frage, was sie nach der Ausbildung gern machen möchte. »Da wird es demnächst an der Berliner Staatsbibliothek großen Bedarf geben«, sagt Kirstin Sieling sofort. Die Werkstattleiterin ist gut in der Branche vernetzt und schaut immer, wo die Azubis eingesetzt werden könnten.
Die meisten hatten es nicht leicht, bis sie ins Oberlin Berufsbildungswerk nach Potsdam-Babelsberg gekommen sind. Es sind junge Leute mit gesundheitlichen Einschränkungen im sogenannten Reha-Status, die hier mit besonderer Unterstützung einen Beruf in der dualen Ausbildung lernen. Teilweise auch mit weniger Theorie und unbedingt praxisnah.
Linda-Haida Tubes hat eine Heftlage aufgespannt.
Die Berlinerin Linda-Haida (mit getrennt gesprochenem a-i) hatte schon eine geplatzte Ausbildung zur Maskenbildnerin hinter sich, als die Agentur für Arbeit sie ins Oberlinhaus nach Potsdam vermittelte. Sie startete mit einer achtwöchigen Arbeitserprobung in Orthopädietechnik und Buchbinderei. Beides fand sie spannend, entschied sich aber schließlich für Papier und Bücher. »Ich bin sehr zufrieden mit meiner Wahl«, sagt sie nach einem Jahr Ausbildung.
Mappen, Ordner, Kalender und Kisten unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Deckeln hat die Klasse bereits gebaut. Am meisten Spaß macht der angehenden Buchbinderin das Heften. »Wenn man sieht, wie aus verschiedenen Lagen ein Buchblock entsteht und am Ende ein fertiges Buch, das ist einfach toll.«
Auch über die schulischen Inhalte berichtet sie gern: Gelernt hat sie viel über Papierherstellung und verschiedene Druckverfahren, Leime und Klebstoffe. Inzwischen hat Linda-Haida ein Praktikum begonnen. In einer kleinen Buchbinderei in Berlin, wo sie ihre handwerklichen Fertigkeiten vertiefen kann.
Ein bisschen mehr Betreuung
»Praktika sind integraler Bestandteil unserer Ausbildungen – sowohl im Vollberuf als auch für unsere Fachpraktiker«, sagt Werkstattleiterin Kirstin Sieling. »Wir sind immer auf der Suche nach geeigneten Betrieben, die unsere Azubis gut integrieren. Wenn das klappt, ist es für alle Beteiligten ein Gewinn.« Alle Azubis hier haben ihren Ausbildungsvertrag mit dem Berufsbildungswerk, die Kosten einschließlich Sozialversicherung übernimmt die Arbeitsagentur. Die Betriebe gingen somit kein Risiko ein, wenn sie ab dem zweiten Ausbildungsjahr Oberlin-Praktikant*innen übernähmen. »Im Gegenteil, die Firmen können sich die jungen Leute exakt so ausbilden, dass sie perfekt auf ihren künftigen Arbeitsplatz passen.« Bedingung: »Ein bisschen mehr Betreuung.« Darauf achtet die Meisterin allerdings genau. Firmen, die ihre Schützlinge als billige Arbeitskräfte ausnutzen und ihnen wenig beibringen – ja, das sei schon vorgekommen – würden rigoros ausgemustert.
Zur Not fährt Werkstattleiterin Kirstin Sieling in eine andere Stadt, um sich einen Betrieb für ihre Schützlinge anzuschauen.
Im Idealfall komme es zu einer verzahnten Ausbildung, bei der der Praktikumsbetrieb am Ende die Übernahme der Azubis zusichert.
Echte Aufträge, echter Berufsalltag
Trotz der geschützten Atmosphäre bemühen sich die Ausbilder*innen im Berufsbildungswerk, einen möglichst realistischen Berufsalltag entstehen zu lassen. Dazu gehören Maschinen, moderne Technik und digitale Lehrmittel, aber auch die Bearbeitung von Druck- und Buchbindeaufträgen externer Kund*innen. In Arbeit ist zurzeit ein mehrsprachiges Märchenbuch; in der Weiterverarbeitung liegen rückstichgeheftete Broschüren und Flyer abholbereit.
Auch den Übergang ins Arbeitsleben begleiten die Ausbilder*innen des Berufsbildungswerkes. Selbst in Hamburg hat sich Sieling kürzlich einen Betrieb angesehen, wo eine Auszubildende arbeiten könnte, die es an die Küste zieht. »Wir kümmern uns sehr darum, dass unsere Azubis Stellen bekommen, wo sie gut und sinnvoll arbeiten können.« Drei Viertel ihrer Absolvent*innen kommen in Arbeit. Das sei das Ziel. »Dafür machen wir das.« Dass es immer mal wieder so engagierte Auszubildende wie Buchbinderin Lisa-Haida Tubes gebe, sei ein besonderes »Träumchen«.
Oberlin Berufsbildungswerk
Das Oberlin Berufsbildungswerk ermöglicht jungen Menschen mit Körper-, Lern-, psychischen und Mehrfachbehinderungen oder Autismus berufliche Chancen. Ausgebildet wird in 30 staatlich anerkannten Ausbildungsberufen aus sieben verschiedenen Fachbereichen – abgestimmt mit der Agentur für Arbeit. Auf dem Campus in Potsdam-Babelsberg werden zurzeit etwa 500 Jugendliche mit Beeinträchtigung von mehr als 300 Fachkräften betreut.
Ausbildung in den Werkstätten
In den Druck- und Medienwerkstätten in Potsdam-Babelsberg werden angehende Mediengestalter*innen, Medientechnolog*innen Druck und Buchbinder*innen ausgebildet. Entweder im Vollberuf oder als Fachpraktiker*innen – in der Buchbinderei mit dem Schwerpunkt auf Akzidenzbetriebe und Druckweiterverarbeitung.
In der Fachpraktiker*innen-Ausbildung ist der Theorieanteil reduziert. Zeigen die Azubis in den Zwischenprüfungen gute Leistungen, können sie in die dreijährige Vollberufsausbildung wechseln.
Für die künftigen Fachpraktiker*innen gibt es individuelle Förderpläne und Personal im psychologischen und medizinischen Dienst, wo nötig auch Arbeitsassistent*innen. Alle Lehrausbilder*innen verfügen über eine Reha-pädagogische Zusatzausbildung.
Mehr Informationen im Netz unter oberlin-werkstaetten.de
Überall mit dem Smartphone lernen
Auch in der inklusiven Berufsausbildung sollen digitale Inhalte beim Lernen helfen. InProD2 – Inklusion in der Produktion – heißt das Projekt, initiiert vom Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA) vor allem für Fachpraktiker*innen-Azubis im Druck- und Medienbereich. Drei Jahre war Christina Hanck, Ausbilderin am Oberlin Berufsbildungswerk, dabei.
DRUCK+PAPIER: Es wurden unterschiedliche digitale Lernmedien erarbeitet. Wie ist der Stand?
Christina Hanck: Zuletzt haben wir eine Web-App getestet. Konzept und Inhalte kommen von uns, die technische Umsetzung hat die Universität Wuppertal übernommen. Die ersten praktischen Erprobungen gab es Mitte Juni bei uns in Potsdam und im Berufsbildungswerk Leipzig mit 20 Auszubildenden. Im September wurde die App in der Bildungseinrichtung Johannesburg bei Papenburg erprobt. Die Ergebnisse waren sehr ermutigend. Als eine Art Prototyp steht die App bereits online und kann von allen Auszubildenden und ihren Lehrkräften genutzt werden. Auch ausgelöst von Corona, war unser Ziel, den Azubis ein Lernmedium in die Hand zu geben, das sie überall auf dem Smartphone nutzen können.
Welche Inhalte werden geboten?
Christina Hanck ist Projektmitarbeiterin bei lnProD2. Foto: Elke Jacob
Wir haben die große Wissensplattform Mediencommunity 2.0 danach durchforstet, welche Lerninhalte nach den Rahmenlehrplänen auf die Fachpraktiker*innen-Ausbildung Medientechnologie Druck und Druckverarbeitung/Buchbinderei passen. Gemeinsam mit dem Institut für Textoptimierung (IFTO) haben wir sie inhaltlich verbessert und in Einfache Sprache übertragen. Dazu wurden gemeinsam mit unseren Azubis viele Abbildungen neu gezeichnet. Jetzt deckt die App einen Großteil der Ausbildungsinhalte ab, ist sehr übersichtlich und so aufgebaut, dass man sie nach bestimmten Lernfeldern filtern kann. Ein Glossar erklärt spezielle Fachbegriffe. Um die Motivation zum Selbstlernen zu fördern, gibt es außerdem mehr als 200 Quizfragen zu beantworten, also Übungsaufgaben zu lösen.
Die Nutzung ist kein Problem?
Nein, Hürden sind möglichst abgebaut. Die App ist downloadbar. Sie ist auf das erste und zweite Ausbildungsjahr ausgerichtet. Die Jugendlichen kommen damit gut zurecht, können sie für die Vorbereitung der Zwischenprüfung und natürlich auch danach nutzen.
Mehr Infos im Netz unter inprod2.de
einfach.zfamedien.de