Die stille Umwälzung
Wie Digitalisierung und Corona die Arbeit verändern | Süddeutscher Verlag: Viele aus Redaktion und Verwaltung bleiben freiwillig weiter im Homeoffice
Wenn Harald Pürzel den Aufzug verlässt und zu seinem Büro im fünften Stock geht, grüßt er nicht. Wozu auch, ist ja niemand da. Heute ist der Betriebsratsvorsitzende schon wieder der Einzige auf dem Flur.
Beim Blick vom Büroturm in die Fenster gegenüber das gleiche Bild: leere Schreibtische, verwaiste Sessel, dunkle Räume. Nur hier und da sitzt vereinzelt jemand vor einem Bildschirm. Als habe ein Hausbesitzer seine Mieter vergrault. Aber hier ist das anders. Im Süddeutschen Verlag in München bleiben die meisten der 1.600 Beschäftigten freiwillig zu Hause. An manchen Tagen kommt weniger als ein Drittel. Die Kantine verkauft dann nur 130 Essen. Das wird auf Dauer nicht reichen, um sie zu halten.
Harald Pürzel ist Konzernbetriebsratsvorsitzender der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH). Zu ihr gehört die Süddeutsche Zeitung, die in dem 103 Meter hohen Büroturm redaktionell gemacht wird. Seit der Corona-Pandemie allerdings zunehmend in Privatwohnungen. Viele Menschen sind geimpft, die Homeoffice-Pflicht ist aufgehoben, eigentlich könnten sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Doch sie bleiben weg – außer sie arbeiten in der Produktion. Beschäftigte verstreut zwischen München und dem Alpenvorland – das macht den Betriebsräten Sorgen.
Die Pandemie gibt dem Homeoffice einen ordentlichen Schub. Das Homeoffice wiederum treibt die Digitalisierung an. Das kann Christian Wegner nur recht sein. Dem SWMH-Chef spielt Corona in die Hände, weil es den digitalen Wandel beschleunigt. Die Digitalstrategie von Wegner: 100 Millionen Euro in digitale Projekte investieren.
Schweigsamer Konzern
Wobei – eine Strategie hat der Konzern den Betriebsräten nicht vorgestellt. »Sehr gesprächig ist man hier nicht«, sagt Jens Ehrlinger, Betriebsratsvorsitzender der Süddeutschen Zeitung. Deshalb schauen sich die Betriebsräte jedes neue IT-Tool, jede Software, jede Maßnahme des Konzerns genau an und versuchen, die Folgen abzuschätzen. Das sei wie ein Puzzle. Teile zusammensetzen, Gesamtbild betrachten. Das Bild, das sich ihnen zurzeit bietet: abbauen, auslagern, automatisieren. »Wir werden es mit einer anderen Arbeitswelt zu tun bekommen«, vermutet Pürzel. Die Anfänge seien schon sichtbar.