Ersatzteile aus dem Drucker
Zahnräder, Laufrollen, Scharniere – Selberdrucken spart Geld | Druckindustrie wenig interessiert am 3-D-Druck | Ausnahmen sind Axel Springer und der Süddeutsche Verlag
Auf den ersten Blick sieht es aus, als hätten sich Jakob Peters und Tobias Heidenreich für ihren Arbeitsplatz einen ziemlich großen Kühlschrank gegönnt. Mehr als zwei Meter hoch und weit über einen Meter breit ist der weiß verkleidete Kasten mit der doppelten Fronttür. Der beherrscht seit gut anderthalb Jahren einen fensterlosen Raum der Druckerei von Axel Springer in Essen – und ist natürlich kein Kühlschrank. Eher das Gegenteil. »Im Inneren«, sagt Peters, 31, gelernter Industriemechaniker und Maschinenbautechniker, »wird es beim Druckprozess rund 170 Grad heiß.«
»Die kreativen Jungs« bei Axel Springer in Essen: Tobias Heidenreich (li.) und Jakob Peters. Foto: Axel Springer
Was Drucken bei dieser Druckmaschine der besonderen Art bedeutet, lässt sich durch ein kleines Fenster beobachten: Ein Rechen fährt langsam von links nach rechts, verteilt eine dünne Schicht weißlichen Pulvers auf einer Arbeitsfläche. Senkrecht von oben kommt ein Laserstrahl und verschweißt das Pulver an digital vorgegebenen Stellen zu festem Kunststoff. Dann senkt sich die Plattform um 0,1 Millimeter ab und das Ganze beginnt von vorne – so lange, meist dauert es einige Stunden, bis im Pulverbett eine fertige, dreidimensionale Form entstanden ist. Ein Zahnrad zum Beispiel. Oder auch mehrere auf einmal.
Stereolithografie nennt sich das, eines der beiden wesentlichen Verfahren des 3-D-Drucks. Beim anderen wird ein Objekt von unten nach oben aufgebaut, Schicht für Schicht aus verflüssigtem Kunststoff, der beim Abkühlen sofort aushärtet. Statt mit Kunststoff funktioniert das sogenannte Fused Deposition Modeling (FDM) auch mit geschmolzenem Metall.
Mit Drucken hat das wenig zu tun
Mit Drucken im klassischen Sinn, mit Offsetdruck, Hoch- oder Tiefdruck, hat all das wenig zu tun. Entsprechend wenig interessiert sich die Druckindustrie bislang für den 3-D-Druck. »Wegen des Worts ›Druck‹ gab es anfangs eine Kompetenzvermutung bei den Druckereien«, sagt Bettina Knape, Sprecherin des Bundesverbands Druck und Medien (bvdm). Aber das habe sich schnell erledigt. Es gehe schließlich um eine andere Technologie. »Salopp gesprochen: Ein Augenarzt ist ja auch kein Orthopäde oder Herzchirurg.«
Das sieht man bei Axel Springer zwar nicht anders. Dennoch hat das Unternehmen den 3-D-Druck für sich entdeckt. Nicht als Geschäftsfeld, jedenfalls noch nicht, sondern als Selbsthilfe. »Am erfolgreichsten sind wir bei der internen Anwendung«, sagt Stefan Fricke, der sich als Leiter Prozessmanagement & IT um das Projekt kümmert. In dem kleinen fensterlosen Raum in Essen werden Ersatzteile für die drei Druckereien des Konzerns in Deutschland produziert. Lizenzfreie Verschleißteile wie Zahnräder, Laufrollen oder Scharniere, die eins zu eins nachgebaut werden. Auf Vorrat. Aber auch Bauteile, die verbessert werden müssen. Oder die es so, wie sie benötigt werden, nicht auf dem Markt gibt. »Da«, sagt Fricke, »sind die Jungs dann selbst kreativ und finden eine Lösung.«
Die Jungs sind Jakob Peters und Tobias Heidenreich. Zu zweit herrschen sie über den Laser-Sinter-Drucker, dessen Anschaffung Axel Springer rund 220.000 Euro gekostet hat. Sie erzeugen am Computer auch alle CAD-Konstruktionszeichnungen, mit denen der Drucker gefüttert wird.
40 Maschinen nachgerüstet
Persönlich über die Schulter schauen kann man den beiden derzeit nicht. Wegen der Corona-Pandemie sind keine Besucher*innen im Betrieb zugelassen. Per Videokonferenz geben sie aber gern Auskunft. Sie zeigen die Halterung für eine Lichtschranke, die im Original starr war und der sie beim Nachdrucken einen Schwenkmechanismus spendiert haben. Und sie erzählen vom Arbeitsunfall eines Kollegen aus der Druckerei. Der sei mit der Fingerkuppe zwischen zwei Bänder geraten. »Daraufhin haben wir ein Teil entwickelt, das den Spalt zwischen den Bändern abdeckt«, berichtet Peters. »Bestimmt 40 Maschinen haben wir damit nachgerüstet.« 3-D-Druck als Weg zu mehr Arbeitssicherheit.
Im Druckzentrum des Süddeutschen Verlags produzierte der 3-D-Drucker Schutzmasken
und Ellenbogenhaken, damit Türklinken nicht
angefasst werden müssen.
Fotos (2): SV Zeitungsdruck
Lizenzfrei nachgedruckt: ein Antriebszahnrad an
einer Wickelstation zum Auf- und Abwickeln von
Zeitungen und Beilagen. Foto: Axel Springer
Und zum Kostensenken. Nicht bloß, wenn es um solche Neuentwicklungen geht, spart das Selberdrucken Zeit und Geld. Auf einen »höheren fünfstelligen Betrag« beziffert Prozessmanager Fricke, was Axel Springer dank des 3-D-Drucks schon im ersten Jahr eingespart habe.
Woher kommt die Expertise der beiden Praktiker in Essen? Eine Schulung oder Weiterbildung hatten sie nicht, sagen sie. Sie probieren einfach aus und nutzen Erfahrungen, die Peters mit seinem privaten 3-D-Drucker zu Hause gemacht hat, oder schauen sich auch mal Youtube-Tutorials an. »Wir machen Lehrgänge mit uns selbst«, formuliert es Heidenreich, 44, Elektrotechniker. »Einer lernt vom anderen.«
Einkaufen bei Ebay ist passé
Die beiden Männer können sich als Pioniere fühlen – auch wenn sie doch nicht die Einzigen sind, die sich in der Druckindustrie mit 3-D-Druck beschäftigen. »Wir arbeiten an einem digitalen Ersatzteillager«, sagt Elias Merklinghaus, der im Druckzentrum des Süddeutschen Verlags in München für Organisation und Aufbau des Projekts 3-D-Druck zuständig ist. Soll heißen: Für alle Bauteile, die günstiger gedruckt als gekauft werden können, die nur schwer oder überhaupt nicht verfügbar sind, werden vorsorglich CAD-Zeichnungen angefertigt – damit die Teile bei Bedarf gedruckt werden können. Sieben 3-D-Kunststoffdrucker, zum Teil selbst entwickelt, gibt es dafür im Betrieb. Nur Metallteile werden noch auswärts gefertigt.
»Wenn Ersatzteile für alte Maschinen nicht mehr lieferbar waren, mussten wir früher bei Ebay suchen oder bei aufgelösten Druckereien«, sagt Merklinghaus. Das konnte mehrere Wochen Stillstand der Produktionslinie bedeuten. »Ein 20 Jahre altes Bauteil durch ein 15 Jahre altes zu ersetzen, hilft auch nur begrenzt.« Wie bei Axel Springer beschränkt man sich in München zudem nicht aufs Kopieren, sondern nutzt die Chance für Optimierungen, macht etwa Haltenasen stabiler oder wählt einen moderneren Kunststoff.
Schutzmasken aus dem 3-D-Drucker
Auch auf ganz anderer Ebene half der 3-D-Druck, kreative Lösungen zu finden: Als zu Beginn der Corona-Krise Schutzmasken fehlten, druckte man sie sich hier selbst. Damit Türklinken nicht mehr angefasst werden mussten, wurden sie mit Ellbogenhaken versehen – aus dem 3-D-Drucker. Merklinghaus zweifelt deshalb nicht, dass in der additiven Fertigung, wie das dreidimensionale Drucken auch genannt wird, noch einiges Potenzial für das Unternehmen steckt.
Erst einmal, sagt er, solle die Ersatzteilversorgung jetzt auf andere Druckereien in der Südwestdeutschen Medienholding ausgedehnt werden. Langfristig aber sei noch mehr denkbar. Einzelne Aufträge von Druckmaschinenzulieferern oder aus der Automobilindustrie habe es jedenfalls schon gegeben.
Wo bleibt die Neugier der Druckereien?
Auch Axel Springer hat bereits 3-D-Druck-Dienstleistungen für externe Kund*innen erbracht, allerdings in bescheidenem Umfang. Vor einer möglichen Ausweitung, sagt Stefan Fricke, sei noch die Haftungsfrage zu klären: Inwieweit müsste das Unternehmen dafür geradestehen, wenn ein gedrucktes Bauteil nicht hält, was es verspricht? Aber auch unabhängig davon wünscht sich der Manager mehr Neugier von anderen Druckereien, mehr Interesse für die Chancen des 3-D-Drucks. »Wir stehen bereit, unser Wissen zu teilen«, sagt er. »Das soll kein Herrschaftswissen sein.«
Ganz Corona-konform: Die Recherche erfolgte über Videokonferenz. Weil der Fotograf nicht in den Betrieb durfte, illustrieren wir den Text mit Fotos der Firmen: