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An Betriebsräten vorbeigemogelt

Wie Unternehmen versuchten, die Pandemie auszunutzen | Interview mit Thomas Meyer-Fries

Thomas Meyer-Fries, Volkswirt, Referent bei ver.di-Seminaren und Berater von Betriebsratsgremien

DRUCK+PAPIER: War das Corona-Jahr so katastrophal wie befürchtet?

Thomas Meyer-Fries: Für die Gewerkschaften und die Gesellschaft war‘s ein Elendsjahr, keine Frage, auch für weite Bereiche der Wirtschaft. Doch die Druckindustrie und die Papierverarbeitung sind überwiegend nicht so schlimm betroffen. Teilweise gab es sogar gute Entwicklungen, wenn ich an die Produktion von Verpackungen denke. Bei den Zeitungen sind im Frühjahr die Anzeigenumsätze deutlich eingebrochen, aber – ganz gegen den Trend – die Auflagen und damit die Vertriebserlöse gestiegen.

Schon vor der Pandemie gab es Probleme in vielen Betrieben.

Die Pandemie hat in vielen Unternehmen mit strukturellen Problemen die Lage verschärft, wenn zum Beispiel Kredite fällig waren und die Einnahmen weggebrochen sind. Aber Finanzhilfen und Kredite, auch das Aussetzen der Anmeldepflicht für Insolvenzen, haben das Schlimmste verhindert. Dazu beigetragen hat auch die Neuregelung für das Kurzarbeitergeld. Was dessen Aufstockung anbelangt, zeigt sich der bvdm (Bundesverband Druck und Medien) nicht auf der Höhe der Probleme. Vieles ist trotzdem betrieblich zufriedenstellend geregelt worden.

Und die Verschiebung der eigentlich im Juni fälligen Lohnerhöhung?

Der Sondertarifvertrag zur Verschiebung hat wenige Probleme verursacht, auch nicht in den Augen der Beschäftigten. Zumal im Gegenzug die Laufzeit des Manteltarifvertrags verlängert wurde.

Haben die Pandemiebedingungen die Arbeit von Betriebsräten belastet?

Es gab und gibt Betriebe, die unter Verweis auf die besonderen Bedingungen der Pandemie versucht haben, die Arbeit der Betriebsräte zu behindern, wenn es etwa um die Durchführung von Sitzungen, von Reisen zu Konzern- und Gesamtbetriebsratssitzungen und der Teilnahme an Seminaren ging.

Die Berufsgenossenschaft ETEM (Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse) hat zum Arbeitsschutz umfangreiche Regelungen. Sind die praxistauglich?

Am Beginn der Krise waren viele Informationen unzureichend. Meistens wurde versucht, pragmatisch und kurzfristig Lösungen zu finden, die auf den Betrieb und die jeweilige Situation passten. Das lief nicht immer ordentlich unter Beteiligung der Betriebsräte ab. Manche Geschäftsführer versuchten, Dinge durchzusetzen, mit denen sie vorher bei den Betriebsräten nicht landen konnten, zum Beispiel bei der Schichtplanung. Oder sie versuchten, die Anrechnung von Dusch- und Umkleidezeiten zu kürzen oder auszusetzen.

Doch vieles, was pragmatisch geregelt worden ist, ist nicht zu kritisieren, zum Beispiel beim Homeoffice. Hier wurden viele Regelungen allerdings kaum organisiert und planvoll getroffen, sondern überstürzt. Wir müssen sehr darauf achten, dass Regelungen, die wir nicht wollen, auch wieder rückgängig gemacht werden oder ordentlich unter der Beteiligung der Betriebsräte geregelt werden.

Nach der jüngsten Umfrage des unternehmerfreundlichen IFO-Instituts erwarten Betriebe der Druck- und Medienindustrie für die nächsten Monate um zehn Prozent bessere Ergebnisse als 2020. Ein Hoffnungsschimmer?

Die Zahlen belegen, dass die Umsatzrückgänge durch die Pandemie zwar tief greifend waren, auch deutlich tiefer als in der Finanzmarktkrise 2008, dass aber die Dauer der Umsatzeinbrüche deutlich kürzer ist als damals. Es sieht so aus, als käme die Wirtschaft insgesamt schneller wieder aus der Krise heraus. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass der von der Politik eingeschlagene Weg im Großen und Ganzen richtig war. Was allerdings ein schwacher Trost für die Menschen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche und für Solo-Selbstständige ist, die vergessen worden sind. Die strukturellen Probleme in den Verlagen, der Druckindustrie und Papierverarbeitung, die häufig hausgemacht sind, sind jedoch keineswegs gelöst.

Das sind welche?

Na ja, die alten Themen: Überkapazitäten und ruinöse Preiskonkurrenz, unzulängliche Digitalisierungskonzepte, Atomisierung der Unternehmensstrukturen und Kostensenkungsorgien zulasten der Qualität. Um nur einige zu nennen.