Strichätzung

Da lauert die Barbarei

Ich melde mich aus dem Epizentrum 
des Lockdowns, der Kultur! Die zu ist, wie auch Fitnesscenter, Puffs und Nagelstudios. Fußpflege-Institute, Hochzeiten und Fahrten in vollen Zügen sind dagegen erlaubt. Warum? Die Kultur hat doch Lösungen für Live-Veranstaltungen entwickelt: Hygienekonzepte, Lüftungsanlagen, Kontaktrückverfolgung. Bis heute wurde kein Kulturereignis zum Spreader-Event! Das konnte die Politik, die völlig konzeptlos von der zweiten Welle überrascht wurde, nicht auf sich sitzen lassen. Also: Zumachen!

Die meisten Schulen sind auch ohne Strategie, aber offen. Die Kultusminister empfehlen Stoßgebetslüften: Fenster auf, Jacke an, beten! Auch Fußgängerzonen dürfen aufbleiben: Jeans und Parfüm kaufen ist systemrelevant. Jetzt merkt man, was Politiker von Kultur halten: Sie taugt nur als Kampfbegriff (»Leitkultur«) oder zur Zerstreuung beim Dinner.

Was wäre aber, wenn alle TV-Sender einen Tag lang nur das Testbild zeigten, im Radio nur ein Piepton liefe und alle Bücher weggesperrt würden? Dann lacht sich der nächste Trump schon ins Fäustchen und dahinter lauert die Barbarei. Das vielfache Spreader-Event Gottesdienst darf übrigens weiter stattfinden.

Wir Künstlerinnen und Künstler sind solidarisch, wenn es um die Unterstützung von Streikenden geht, wenn es um den Kampf um Arbeitsplätze geht, wenn es gegen Rassismus geht. Wir treten (fast) kostenlos auf (fast) jeder Demo auf! Jetzt brauchen wir eure Solidarität! Damit wir auch künftig zusammen lachen, feiern, tanzen, nachdenken und leben können! Letzte Nacht stand plötzlich Armin Laschet an meinem Bett, schüttelte mich wach und rief: »Mit wie vielen Leuten liegen Sie im Bett?« Muss ich demnächst wirklich die Kirche der Satire gründen und als Wanderprediger auf Tour gehen, um der heiligen Pointe zu huldigen?

Robert Griess
Kabarettist im Berufsverbot, der laut Bundesarbeits
minister Hubertus Heil (SPD) trotz eines vollen Tourenplans Hartz IV beantragen soll

 

www.robertgriess.de