Porträt

»Nie die Ruhe verlieren«

Sachlich, strategisch, streng mit sich selbst – Frank Werneke kandidiert im September für den ver.di-Vorsitz

Später wird er unzufrieden mit sich sein. Die Rede war nicht so gut, wie er sie sich wünschte. »Ich war unausgeschlafen. Nicht gut drauf.« So was kann passieren. Es ärgert ihn dennoch. Auf der Konferenz im Mai hält er seine letzte Rede als Leiter des Bundesfachbereichs. »Dieses kämpferischen und manchmal auch schillernden Fachbereichs.« Vermissen werde er den Umgang miteinander. Die faire Debattenkultur. Das ungewöhnlich engagierte hauptamtliche Team. »Es hat mir Spaß gemacht. Danke!«

Jetzt stehen die ersten Delegierten auf und klatschen. Mit langem Applaus verabschieden sie Frank Werneke aus dem Bundesfachbereich Medien, Kunst und Industrie. Er wird ab Herbst der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft vorstehen, wenn ihn der Bundeskongress am 24. September in Leipzig wählt. Woran niemand zweifelt.

Selbstbewusst

Ein Aufstieg. Von der Fabrik ins Büro mit Spreeblick. Klingt gut. Aber so ist es nicht. Vom Maschinenführer bei der Verpackungsmittelfirma Graphia Hans Gundlach in Bielefeld ins ver.di-Haus am Paula-Thiede-Ufer in Berlin sind mehr als 30 Jahre vergangen. Zwischen seiner Nachfolge des letzten IG-Medien-Vorsitzenden Detlef Hensche und des ersten ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske liegen unzählige Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe, Sitzungen in Kommissionen, Beiräten, Aufsichtsräten.

Letzte Reden als Stellvertreter, ab September schaut die gesamte Republik auf Frank Werneke.

Machtbewusst sei er, sagen welche, die ihn kennen. Karriereorientiert. »Ich habe nicht geplant, einmal ver.di-Vorsitzender zu werden. Weiß Gott nicht.« Aber als es 2001 darum ging, für den ver.di-Bundesvorstand zu kandidieren, habe er die Hand gehoben. Mit 34 Jahren. Kurz danach wurde er einer von Bsirskes Stellvertretern. Mit 35. Dann hat er sich für die Übernahme des Bereichs Finanzen entschieden. Mehr Wissen, mehr Einfluss. »Wenn das nicht schlecht läuft, ist es nicht schädlich.« Mit 44. Demnächst Vorsitzender von ver.di. Mit 52.

Kann der das? So jung, wie der ist. Dieses Raunen begleitet ihn seit Beginn seiner politischen Karriere. »Optisch war Frank ewig der Jugendvertreter«, sagt eine Kollegin, die große Stücke auf ihn hält. Das Raunen ist leiser geworden. »Es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen«, erklärt ein Betriebsratsmitglied, das ihm die Nachfolge von Detlef Hensche als Tarifverhandler in der Druckindustrie zunächst nicht zutraute. Detlef Hensche – von 1992 bis 2001 Vorsitzender der IG Medien – ist noch heute vielen Gewerkschaftsmitgliedern unerreichtes Vorbild, politisch-intellektueller Kopf.

Neben dem Verhandlungsführer Hensche saß auch Frank Werneke. Viele Jahre, »eine lange Schule«. Was er von Detlef gelernt hat: »Nie die innere Ruhe zu verlieren.« Selbst wenn sich die Unternehmer wegen der Arbeitskämpfe ereifern. Wenn die Nacht hindurch verhandelt wird. Wenn Müdigkeit lähmt, Schnittchen wie Pappe schmecken, der Ton rau wird. Frank Werneke bleibt sachlich. Auch der Zivildienst in einer Einrichtung mit schwer erziehbaren Jugendlichen habe ihn gelehrt: »Den Punkt zu finden, wann es besser ist, ganz ruhig zu bleiben, während alle anderen sehr aufgeregt sind.«

Geschickt

Es ist nicht Rage, die ihn dazu bringt, »Arbeitgeber auch mal zur Ordnung zu rufen.« Es gebe Unternehmer, die ihre Rolle – Chefs im Betrieb – an den Verhandlungstisch übertrügen. »Das geht natürlich nicht. Wir sind gleichwertig.«

Nur wer ihn gut kennt, sieht an einem malmenden Unterkiefer, wenn er sich gerade noch beherrscht. Doch bei aller Sachlichkeit wünscht sich manch ein Betriebsrat bei Betriebsversammlungen mehr Emotionen von ihm. »Da ist er doch arg geschäftsführermäßig unterwegs«, sagt einer. Stets in Hemd, Pullover, Jackett.

»Frank ist ein geschickter Verhandler«, sagen die Begeisterten. »Ein gerissener Verhandler«, sagen selbst die Kritischen. Ein Stratege. Einer, dem in der verfahrensten Verhandlungssituation noch etwas einfällt. Der weiß, wann er den Verhandlungstisch verlassen muss, um die Gegenseite zum Einlenken zu bringen.

Kooperativ

Seine letzte Verhandlung mit dem Unternehmerverband der Druckindustrie hat er in den Morgenstunden zum 3. Mai zu Ende gebracht. Deshalb die Reste von Müdigkeit auf der Konferenz. Die Druckunternehmer hatten den Manteltarifvertrag im vergangenen Jahr gekündigt. Sie wollten Verschlechterungen, ver.di forderte die Wiederinkraftsetzung. Über Monate zähe Verhandlungen und Stillstand. Auf einer öffentlichen Streikversammlung in München versprach Werneke: »Wir wollen 100 Prozent MTV. Ohne Abstriche.« Am Schluss reckte er die Faust. Das Ergebnis: Der Manteltarifvertrag gilt wieder. Zwei Jahre lang. Ohne Abstriche.

Frank inmitten von Gutenbergs Jüngern auf der öffentlichen Streikkundgebung am 16. April auf dem Marienplatz in München und kurz vor seiner letzten Tarifverhandlung in der Druckindustrie

Foto: ver.di

Auch als ver.di-Vorsitzender wird er Tarifverhandlungen führen. Hauptsächlich für den öffentlichen Dienst. Das hat er bislang schon neben Verhandlungsführer Frank Bsirske getan, demnächst ohne ihn. Unter den Augen der gesamten Republik mit einer fünf Mal so großen Tarifkommission wie die der Druckindustrie.

Das Raunen, ob der das kann, ist so gut wie verstummt. Seine Anhänger schätzen ihn. Die Zweifler verzeihen ihm nicht, dass er die Schließung der Bildungsstätte in Lage-Hörste nicht verhindert hat. Aber erkennen an, dass er es war, der das Nein zur Tarifeinheit im Bundesvorstand und schließlich für die Gesamtorganisation in der Öffentlichkeit durchsetzte. Die Kolleginnen achten ihn, weil er seine Kandidatur zurückgezogen hätte, wenn sich eine Frau für den Vorsitz gemeldet hätte.

Noch hat er sich nicht alle Themen draufgeschafft, die ein ver.di-Vorsitzender kennen sollte. Doch: »Frank kannste alles geben, Steuerpolitik, Industriepolitik, völlig egal. Wie er sich in die Themen reinarbeitet, ist gewaltig«, sagt einer anerkennend. Für Monika Brandl, Vorsitzende des Gewerkschaftsrates, kann es keinen besseren Bsirske-Nachfolger geben als Frank Werneke: »Er ist offen für die Menschen, zeigt klare Kante, wo es notwendig ist, und pflegt einen kooperativen Führungsstil.«

Am 24. September haben die Delegierten des ver.di-Bundeskongresses das Wort. Werneke schaut ein wenig mulmig auf das Datum: »Ich will das machen und freue mich. Ich weiß aber auch, was das bedeutet.» Er wird an seiner Rede feilen und sie üben. Um nicht wieder unzufrieden mit sich zu sein.

Mit 14 schon ein »Politik-Nerd«

Ursprünglich wollte Frank Werneke nach seiner Mittleren Reife mit 16 Jahren einen Beruf in der Druckvorstufe lernen. Die Druckindustrie kannte er ein wenig: Seine Mutter arbeitete nachts als Einlegerin in der Weiterverarbeitung von Küster-Druck in Bielefeld. Dort absolvierte er auch sein Schülerpraktikum. Weil es mit dem Wunschberuf nicht klappte, begann er bei Graphia Hans Gundlach in Bielefeld 1983 seine dreijährige Ausbildung zum Verpackungsmittelmechaniker (heute: Packmitteltechnologe). Nach zehn Jahren wechselte er Beruf und Branche. Die IG Medien machte ihn zum Bundessekretär der Fachgruppe Druckindustrie und Zeitungsverlage. Fünf Jahre später war er Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes – und damit der jüngste Gewerkschaftssekretär in den DGB-Gewerkschaften auf Bundesebene.

Mit 15 ist Werneke in die SPD eingetreten. Aufgewachsen ist er in einer Arbeiterfamilie in Schloß Holte-Stukenbrock am Hang des Teutoburger Waldes, katholisch, ländlich. »Die SPD war mit Abstand das Progressivste, was es dort gab.« Als »der linken Tradition« verbunden hat er sich früh in der Schülervertretung und Friedensinitiative engagiert. »Ich war schon mit 14 ein Politik-Nerd.« Frank Werneke ist nach dem Fußballer Ewald Lienen die zweite berühmte Persönlichkeit für Schloß Holte-Stukenbrock.

Der Neue: Christoph Schmitz

Für den neuen ver.di-Fachbereich A, in dem die Kolleg*innen der Medien, Kunst und Industrie, der Telekom, der Banken und Versicherungen und der Ver- und Entsorgung zusammenkommen werden, ist Christoph Schmitz als Leiter nominiert.

bit.ly/C-Schmitz