Rabenschwarzer Tag
Bertelsmann schließt Nürnberger Tiefdruckstandort | Mehr als 1.000 Menschen verlieren ihre Arbeit
Still war es. Kein Räuspern, kein Raunen. Ungewöhnlich viele aus der Belegschaft hatten sich um 14 Uhr in der Produktionshalle versammelt. Selbst welche von der Nachtschicht. Der Chef von Bertelsmann, Thomas Rabe, war an diesem 10. April nach Franken gereist. Dann die Nachricht: Geschlossen wird der Nürnberger Standort.
Davon betroffen sind 700 Beschäftigte in Tiefdruck und Klebebindung, weitere 250 in Leiharbeit und Werkverträgen. Sowie kleine Firmen im Nürnberger Umland, die Aufträge in der Weiterverarbeitung erledigt haben. Mehr als 1.000 Menschen werden arbeitslos. Bertelsmann hat wieder einen Standort von der Konzernkarte getilgt. Nach Darmstadt und Itzehoe der dritte.
Seit Ende Februar war bekannt, dass Bertelsmann einen Standort in Deutschland dichtmacht. Dresden sei mit rund 450 Beschäftigten zu klein, als dass eine Schließung effektiv wäre, hieß es. Blieben Ahrensburg und Nürnberg. Anderthalb Monate Ungewissheit. »Wir wurden dauernd von den Kollegen angesprochen: Wann ist es so weit? Wann sagt einer was? Wisst ihr schon was?«, erzählt Betriebsratsvorsitzender Thomas Scharrer. Die Belegschaft war zerrissen zwischen Bangen und Hoffen.
Wie ein Schlachtfeld
Ein Blick zurück: Vor zehn Jahren steckte der Tiefdruck in Europa mitten in der Finanz- und Strukturkrise. Überkapazitäten, Preisverfall, Konkurrenz vom Rollenoffset. Das klang wie höhere Gewalt. Was die Konzerne beklagten, hatten sie zum Teil selbst verursacht. Trotz Unterauslastungen wurden weitere Maschinen aufgestellt: breiter, leistungsstärker. Unternehmer jagten sich gegenseitig die Aufträge ab. Hauptsache, die Maschinen waren ausgelastet. Koste es, was es wolle.
Europas Rollenoffset- und Tiefdruck industrie gleiche einem Schlachtfeld, sagte damals ein Konzernchef. Jeder hoffte auf die Kapitulation der Konkurrenz. Frank Werneke, stellvertretender Bundesvorsitzender von ver.di, nannte das den »blutigen Weg«. Er warb auf europäischen Konferenzen mit Gewerkschaftsvertretern für einen »geordneten Abbau« von Kapazitäten. Ohne Entlassungen. Doch passiert ist das Gegenteil: Tiefdruckkonzerne gingen pleite, Standort um Standort wurde dichtgemacht, Menschen verloren ihre Arbeit.
In den übrigen Betrieben wurden Löhne gedrückt, Arbeitsbedingungen verschlechtert, Arbeitszeiten verlängert, Leiharbeits- und Werkvertragsbeschäftigte angeheuert.
Gratisarbeit und Lohnverlust
In Nürnberg hat es Bündnisse gegeben. Mit jedem Bündnis, das der Betriebsrat vereinbarte, musste die Belegschaft etwas hergeben. Das erste brachte drei Wochenstunden Gratisarbeit, die nächsten eine Halbierung des Urlaubsgeldes und der Jahresleistung sowie die Reduzierung der Maschinenbesetzung. Bündnis III war 2016 als das letzte angekündigt worden.
Das Versprechen hielt anderthalb Jahre. Dann sollten alle drei Standorte weitere 20 Millionen Euro einsparen. Das hieß Standortsicherungspaket. Die Saalbesetzung in der Rotation wurde verschlechtert und frei gewordene Arbeitsplätze nicht mehr besetzt. »Egal, was wir hergeben, es hört nicht auf«, hatte Betriebsratsvorsitzender Thomas Scharrer vor zwei Jahren gesagt.
War es richtig, ein Bündnis nach dem anderen einzugehen? »Die Bündnisse haben uns zumindest bis hierher gebracht.« Vorsichtig klingt das. Ziel des Betriebsrats sei es immer gewesen, Arbeitsplätze »dauerhaft zu vernünftigen Konditionen« zu erhalten.
Im April 2021 soll die einstige Maul-Belser- Druckerei in Nürnberg geschlossen werden. »Bis dahin müssen wir so viele Menschen in Lohn und Brot bringen wie nur möglich.« ver.di fordert Qualifizierung und eine Perspektive für die Menschen. Bezahlt wird das aus dem Sozialplan, der schon 2015 von Bertelsmann unterschrieben wurde. Auf Vorrat vereinbart für künftige Schließungen.
Rabe verspricht, dass die beiden übrigen Standorte Dresden und Ahrensburg »mittelfristig« sicher seien. Glauben tut das keiner. Seine Rede ist zu Ende. Rabe macht sich auf den Weg. Bertelsmann hat 2018 wieder einen Milliardengewinn gemacht. Viele Beschäftigte stehen noch zu sammen. Dann gehen sie zurück an die Maschinen.
Der Niedergang des Tiefdrucks
Innerhalb von 13 Jahren werden über 3.000 Menschen ihre Arbeit im Tiefdruck verloren haben. Tiefdruckereien sind auch in anderen europäischen Ländern geschlossen worden.
1997 Burda, Darmstadt
(600 Beschäftigte)
2008 Prinovis in Darmstadt (fast 300)
2008 Metz, Aachen (40)
2010 Bauer Druck, Köln (knapp 400)
2011 Broschek in Hamburg (200)
2011 Schlott in Freudenstadt (300)
2013 Badenia in Karlsruhe (100)
2014 Prinovis in Itzehoe (750 + 250*)
2015 Bruckmann, Oberschleißheim (130)
2021 Prinovis in Nürnberg
(knapp 700 + 250*)
*Werkvertrags- und Leiharbeitskräfte