Arbeit

Von Umbrüchen und Umwälzungen

»Vom Buchdrucker zum Medientechnologen« umreißt den Übergang von der Druck- zur Medienindustrie | Mit Zeitzeugeninterviews

Das Buch beginnt mit einer wenig aufmunternden Frage: »Kommt nun die Epoche der Printmedien zu ihrem Abschluss?« Viele Indizien sprächen dafür, schreiben die beiden Herausgeber Constanze Lindemann und Harry Neß in der Einleitung.

Was sich seit über 50 Jahren durch Computerisierung und digitale Medien getan
hat, das sei in den Auswirkungen nur zu vergleichen mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Der hatte die Art der Kommunikation und Information verändert; heute sind es Internet und soziale Netzwerke, die vieles umwälzen. Was in der Zwischenzeit passiert ist, bezeichnen Neß und Lindemann als »technologische Zeitenwende«.

Viele Arbeitsplätze vernichtet

Tatsächlich ist die Druckindustrie seit Jahren im Dauerumbruch: vom Blei- zum Fotosatz, vom Fotosatz zum Desktop-Publishing, vom Buch-, zum Offset-, zum Digitaldruck. Mit jeder neuen Technik sind Berufe und Tätigkeiten verloren gegangen und neue entstanden.

Die Druckindustrie hat notgedrungen Erfahrung mit technischen Umwälzungen. Doch kaum eine andere Branche habe die technischen Entwicklungen so massiv dazu genutzt, um Beschäftigung abzubauen, wie die Druckindustrie, schreibt Frank Werneke, Leiter des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie in ver.di. Als während der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 andere Produktionszweige alles taten, um Arbeitsplätze zu halten, wurden allein in diesen beiden Jahren in der Druckindustrie 13.400 Arbeitsplätze vernichtet.


Constanze Lindemann/Harry Neß (Hrsg.): 
Vom Buchdrucker zum Medientechnologen. 
Wege der Druckindustrie in die Welt der Digitalisierung, 352 Seiten, VSA-Verlag, Hamburg 2018, 24,80 Euro.

Doch nicht nur technische Rationalisierungen kosten Arbeitsplätze. Oft genug ist 
der Abbau die Folge von Preisunterbietungs- und Verdrängungswettbewerben der Druck-
unternehmer, macht Werneke deutlich. Dann sinken Standards, werden Tarifbindungen verlassen und Menschen arbeitslos gemacht. Gestoppt sei der Abbau nicht, aber so geradlinig werde er sich auch nicht fortsetzen, prophezeit er. Allerdings hänge das davon ab, ob Druckunternehmen sich 
zu Medienunternehmen wandeln. Wer sich aufs Drucken beschränke, riskiere, vom Markt zu verschwinden.

Die Gewerkschaft als Magnet

Um den Übergang von der Druck- zur Medienindustrie in allen Facetten zu erfassen, kommen in dem Buch Menschen aus der Wissenschaft, aus der Medientechnologie, der Berufsbildung und Praxis, aus Archiven und Hochschulen zu Wort. Dazu gibt es spannende Interviews, etwa mit dem ehemaligen Vorsitzenden der IG Medien, Detlef Hensche. Darin geht es vor allem um die technische Entwicklung und die tarifvertraglichen Kämpfe um den RTS-Tarifvertrag (Rechnergesteuerte Textsysteme). Das ist auch heute noch interessant, weil damals alle – Journalistinnen und Journalisten, Schriftsetzer und Drucker – betroffen waren. Heute ist das nicht anders. In dem Gespräch wird detailgenau die Entwicklung nachgezeichnet. Hensches Fazit: »Meine Erfahrung ist per Saldo immer: Eine Gewerkschaft, die die Mitglieder fordert, auch Solidarität zu zeigen und aufzubegehren, ist tendenziell eher ein Magnet zum Beitritt.«

Das Buch begnügt sich aber nicht damit, eine Entwicklung von oben nachzuzeichnen, sondern lässt die Menschen zu Wort kommen, die davon betroffen waren: Journalisten und Journalistinnen, Facharbeiter der Druckvorstufe und Drucker. Auch wenn es Geschichten sind, die inzwischen Geschichte sind, so spiegeln sich darin wertvolle Erfahrungen. Heinz Jürgen Riekhof, ehemals Drucker bei Axel Springer, empfiehlt jungen Kollegen: »Leute, bleibt am Ball. Informiert euch, macht euch ein Bild, wie es aussehen kann in der Zukunft. Schult nach, versucht, so viel wie möglich an Wissen ranzubekommen. Schließt euch möglichst zusammen mit anderen Kollegen.«

Das Buch gibt einen tiefen Einblick in 
die Entwicklung der Druckindustrie. Es ist eine geballte Ladung an Informationen mit dem Ziel, die Suche nach Wegen in eine Zukunft zu erleichtern, die den Menschen nützt.

»Erfolgreiche Gegenwehr und die Weiterentwicklung unserer Strategien verlangen kontinuierliche Diskussionen in der Kollegenschaft zusammen mit den Gewerkschaftshauptamtlichen. Auch darüber, wie die Technik uns zu Diensten gemacht werden kann, welche Machtperspektiven wir dabei zu verfolgen haben und wie wir Bündnispartner gewinnen können.« 

Constanze Lindemann, Mitherausgeberin des Buches

»Gut ausgebildete Fachkräfte bekommt die Druckindustrie nicht, wenn sie nur durchschnittliche Bedingungen bietet. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich Unternehmen die Besten unter den Besten herauspicken können.«

Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender

Qualifizierung wichtiger denn je

Von gescheiterten und genutzten Möglichkeiten | Interview: Hermann Zoller

Harry Neß, Buchdrucker und Druckingenieur, ist assoziierter Wissenschaftler am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Druckhistoriker und Vorsitzender des Internationalen Arbeitskreises für Druck- und Medien­geschichte (IADM).

Was war dein Motiv, dieses Buch herauszugeben?

Harry Neß: Es gab zwei Auslöser. Zum einen ist es der Beruf des Buchdruckers, den ich noch von der Pike auf gelernt habe; ihn gibt es nur noch im künstlerisch-grafischen Bereich. Seine Bedeutung in der industriell arbeitende Druck- und Medienindustrie geht gegen Null. Zum anderen war es die Fachtagung des Internationalen Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte (IADM), die 2014 unter dem Titel »Die Druckindustrie im Umbruch: Technologie, Arbeit und Beruf in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts« im Deutschen Zeitungsmuseum stattfand. Ihre Ergebnisse waren nach Auffassung der Tagungsteilnehmer qualitativ so hochwertig, dass ich mich als Vorsitzender des IADM zusammen mit Constanze Lindemann ermutigt sah, diese und weitere Lagebeschreibungen des technologischen Strukturbruchs einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

In der Einleitung ist von genutzten und gescheiterten Möglichkeiten der Mitgestaltung die Rede. Welche Möglichkeiten wurden denn nicht genutzt?

Die Antwort passt nicht in einen Satz. Die genutzten Möglichkeiten überwiegen. Man mag es bedauern, aber von außen gesehen gelang es nicht, den sogenannten technischen Fortschritt, der alle Produktions- und Verwaltungsbereiche zu erfassen begann, mitzugestalten. Möglicherweise war nicht allen damaligen Akteuren der volle Umfang der Konsequenzen einer technologischen Revolution bewusst, den die Digitalisierung nach sich ziehen würde. Zugegeben: In ihren Auswirkungen auf die Arbeitsplätze war das damals auch noch wenig einzuschätzen. Mit dem 1978 durchgesetzten RTS-Tarifvertrag (Rechnergestützte Textsysteme; d. Red.) gelang es deshalb nur sehr eingeschränkt, die damit verbundenen Prozesse zu entschleunigen, aber es gelang nicht, sie umzusteuern. Logisch, dafür fehlte die mitbestimmende Macht.

So ist es auch mit der Forderung nach einer 35-Stunden Woche: Sie 1984 mit einem Schritt durchzusetzen scheiterte – und weitgehend damit auch ihre Beschäftigungswirksamkeit. Aber wie auch immer die rückblickende Bewertung der gewerkschaftlichen Erfolge zum Erhalt von Arbeitsplätzen ausfällt, darüber gibt es meiner Ansicht nach noch Diskussionsbedarf. Viel schwerer wiegen Beobachtungen, die von mir im Rückblick nicht erklärt werden können. Die positive Lernerfahrung einer gelebten Solidarität während der großen Tarifkämpfe konnte generationsübergreifend als Leitwert nicht bewahrt werden, und es gelang nur sehr mühsam, die in den neuen Techniken auch mit Begeisterung arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Gewerkschaft zu binden.

Welchen Stellenwert wird in Zukunft die berufliche Ausbildung haben?

Das sogenannte duale System wird bei aller Kritik auch künftig für die Berufsausbildung eine überragende Bedeutung behalten. Besonders unter den Vorzeichen von Wirtschaft und Arbeit 4.0 ist die Druck- und Medienindustrie darauf angewiesen, die Berufsbilder, Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der zunehmenden Verschmelzung von Mensch und Technik in den Betrieben aktuell zu halten. Ohne Abstriche: Die Berufsangehörigen sind zur Sicherung des eigenen Status, des Arbeitsplatzes und des Einkommens dafür ausreichend zu qualifizieren. Ein Segen für die Branche ist der seit 1949 paritätisch arbeitende Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA). Dort werden die Voraussetzungen geschaffen, den beruflichen Nachwuchs zukunftssichernd zu professionalisieren. Das muss so bleiben.

Stehen die Beschäftigten in der Medien-Industrie heute vor grundsätzlich anderen Problemen als ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich vor Jahrzehnten mit Computer und Elektronik anfreunden mussten?

Inzwischen haben sich fast alle gesellschaftlichen Parameter wie beispielweise Freizeitverhalten, Familienverständnis, Mobilität, Kommunikationsformen und so weiter von Grund auf verändert. Ja, in den Betrieben hat unter diesen Vorzeichen mit der Einführung neuer Technologien und Produktionsabläufen inzwischen eine Entsolidarisierung eingesetzt. Das kann ja jeder in seinem Umfeld feststellen. Verstärkt wird dieser Trend zur Vereinzelung durch Zeitarbeitsverträge, Auslagerung von Betriebsteilen, zurückgehender Tariftreue von Betrieben und geringerer Bereitschaft zum Engagement der Beschäftigten in Organisationen, Vereinen und damit auch in den Gewerkschaften.

Welche Folgen wird die technische Entwicklung in den Medien für die Gesellschaft haben?

Ich bin kein Zukunftsforscher (lacht). Aber vielleicht lassen sich einige Prognosen wagen. Da wären individuell die zunehmende Vereinzelung, die berufsgeschichtliche Vergessenheit und der Zuwachs an psychischen Erkrankungen durch eine veränderte Arbeitsbelastung zu nennen. Gesellschaftlich sind Entwicklungen erkennbar, wonach die direkten Kontakte weiter abnehmen, die Verdrängung des Politischen aus dem öffentlichen Raum und die Deskreditierung des Kompromissbegriffs zunehmen werden. Ich weiß: keine so erfreuliche Perspektiven. Dennoch, die Verantwortung für das, was uns erwartet, liegt in der heutigen Weichenstellung, denn die Vielfalt alter und neuer Medien bietet eine Fülle an Chancen. Die Entscheider über ihre Nutzung sind wir.