Menschen & Meinungen

Annelie Buntenbach, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB, zuständig für Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Migrations- und Antirassismuspolitik/Kampf gegen Rechtsextremismus

»Zutiefst unsozial«

Was will die AfD? | Annelie Buntenbach vom DGB analysiert 
die Programme | Unkonkret zu sein, gehört zur Strategie

Jetzt sind es nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl am 24. September. Die sind auch für uns ein Thema. Wie wir die Wahlen zum Thema machen, was wir aufgreifen und was wir weglassen, haben wir in der Redaktion diskutiert. Einig waren wir uns nicht. Warum soll nur die AfD herausgepickt werden? Ausgerechnet einer Rechtsaußenpartei, in der sich auch Nazis tummeln, geben wir Platz in DRUCK+PAPIER? Die Debatte, ob und wie über rechte Parteien geschrieben, berichtet und gesendet wird, findet in vielen Redaktionen statt.

Die Berichterstattung über die AfD ist in der Vergangenheit kritisiert worden. Eine Kritik lautet: Die Medien hätten die AfD 
stark gemacht und ihnen zu ihren Wahler
folgen verholfen. Wenn das stimmte, könnten die Medien die Partei ja auch wieder 
zum Verschwinden bringen. So einfach ist es aber nicht.

Eine andere Kritik: Meist würden AfD-
Politiker/innen nur zum Thema Flüchtlinge gefragt. Aber was sagt die Partei zur Rente? Zur Arbeitslosenversicherung? Darüber wird nur wenig berichtet. Das wollen wir jetzt tun. Um Kolleginnen und Kollegen, die sich im Betrieb mit AfD-Sympathisanten und Wählerinnen auseinandersetzen, Argumente zu geben.

Wir haben das Wahlprogramm und das Grundsatzprogramm sowie das Strategiepapier der AfD gelesen und Annelie Buntenbach vom geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB gefragt: Was will die AfD?

DRUCK+PAPIER: Abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren – was gibt es daran auszusetzen? 


Annelie Buntenbach: Auf den ersten Blick klingt das nicht schlecht. Kaum anders als die Rente mit 63, für die sich die Gewerkschaften eingesetzt 
haben. Wer 45 Jahre lang eingezahlt hat, kann mit 63 Jahren in Rente gehen. Aber das Renteneintrittsalter, das fehlt bei der AfD. Nicht mit 65 oder 67 soll einem eine Rente zustehen; allein die 45 Jahre sollen der Maßstab für die Rente werden. Millionen von Menschen würden nach diesem Modell erst mit 70 oder später Rente erhalten.

Wie kann das sein?

Wer studiert hat und mit 24 Jahren ins Berufsleben einsteigt, erreicht frühestens mit 69 Jahren die von der AfD geforderten 45 Jahre. Wer eine schulische Ausbildung absolviert hat, wer lange arbeitslos oder krank war, wird lange 
auf seine Rente warten müssen. In Zahlen: Rund 40 Prozent müssten bis 
70 arbeiten, um eine abschlagsfreie Rente zu erhalten. Das ist zutiefst unsozial. Ursprünglich stand im Programmentwurf, wer keine 45 Jahre zusammen bekommt, geht bei der Rente völlig leer aus. Das wurde auf dem Parteitag im April in Köln zwar korrigiert. Aber es bleibt dabei: Wer die 45 Jahre nicht schafft, soll Abschläge in Kauf nehmen müssen. Wie hoch die sind, dazu gab es keine Erklärung.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
Bei einer Lebensarbeitszeit von bis zu 45 Jahren soll künftig der Rentenanspruch abschlagsfrei gegeben sein. Bei der Berechnung der Rente werden alle Beitragszeiten in dem Maß berücksichtigt, in dem sie tatsächlich erbracht wurden.

Wo will die AfD bei der Rente hin?

Das ist völlig unklar. An einer Stelle sagt die AfD, es werde notwendig sein, die Rentenkasse aus Steuern zu unterstützen, damit die Rentenbeiträge nicht steigen. An anderer Stelle steht aber, es soll eine sogenannte Abgabenbremse eingeführt werden, die im Grundgesetz festgeschrieben wird. Steuern, Beiträge und Gebühren dürften danach nicht mehr erhöht werden. Aber von welchem Geld soll die Rentenkasse dann aufgefüllt werden? Zumal die AfD die Vermögenssteuer nicht wieder einführen und die Erbschaftssteuer abschaffen will.

Das heißt, mit der AfD bleibt die Rente niedrig.


Ja. Sie ist keine Partei, die die Lebensleistung im Alter würdigt, für sie geht privat vor gemeinschaftlich. Wir müssen aber dringend umsteuern bei der Rente, damit die Menschen wieder gut von ihrer Rente leben können. Doch die AFD sagt kein Wort zu einer Rentenreform.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
Die AfD wendet sich gegen eine Ausweitung der Abgabenbelastung und fordert (…) die Einführung einer allgemeinen Abgabenbremse (für Steuern, Beiträge und Gebühren) zugunsten der Bürger. Diese ist im Grundgesetz festzuschreiben.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
Die AfD ist für eine Abschaffung der Erbschaftsteuer als Substanzsteuer und gegen die Reaktivierung der Vermögensteuer.

Betriebsrente und private Altersvorsorge werden aber doch erwähnt?

Richtig. Aber so ist das eine rein neoliberale Forderung. Arbeitnehmer/innen sollen das aus ihrer Tasche bezahlen, die Versicherungen bereichern sich. 
Zudem ist diese Forderung verbunden mit dem Ausstieg aus der Eurozone.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
(…) müssen die beiden Säulen Betriebsrente und rein private Altersvorsorge gesetz-
geberisch gestärkt werden.

Länger als nur ein Jahr Arbeitslosengeld I beziehen zu können, das fordern auch andere Parteien …


Stimmt. Man sollte sich davon aber nicht blenden lassen. Die AfD pickt sich gern ein, zwei Punkte bei einem Thema heraus, die gut klingen, aber nicht zum Gesamtpaket der Partei passen. In Wirklichkeit ist es so, dass jeder fünfte Arbeitslose direkt in Hartz IV fällt; von einem längeren Bezug des Arbeitslosengelds I würden diese Menschen also nicht profitieren. Das Arbeitslosengeld I ist Teil des Hartz-Konzepts. Dazu steht aber im Wahlprogramm kein Wort. Wenn nur dieser Punkt korrigiert werden sollte, hieße das ja, der Rest sei völlig in Ordnung. Das stimmt hinten und vorne nicht. Zudem will die AfD die Arbeitslosenversicherung abschaffen.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
Die AfD setzt sich für eine Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I in Abhängigkeit 
von der Dauer der Vorbeschäftigung ein.

Die Bundesagentur für Arbeit managt die Arbeitslosenversicherung mitsamt 
den Ansprüchen. Wer die auflösen will, schafft die Arbeitslosenversicherung ab. Von daher ist es Etikettenschwindel, einen längeren Bezug des Arbeitslosengelds I zu fordern.

Wie passt das alles zusammen?


Gar nicht. Vieles bei der AfD ist widersprüchlich, selbst innerhalb eines Programms, und es wird gar nicht versucht, diese Widersprüche aufzulösen. 
Es gehört zur Strategie, möglichst unkonkret und wolkig zu bleiben.

Aus dem Wahlprogramm der AfD:
Die AfD will die Bundesagentur für Arbeit 
auflösen und ihre Aufgaben vor allem auf kommunale Jobcenter übertragen.

Warum will die AfD bei solchen Themen, die für die meisten Menschen wichtig sind, unkonkret bleiben?


Weil sie – ganz nach Belieben – jedem Anhänger ihrer Partei das präsentieren kann, was der hören will. Der Unternehmer fürchtet die Erbschaftssteuer? Also gibt es eine Forderung, die Erbschaftssteuer abzuschaffen. Niedriglohn-Beschäftigte brauchen den Mindestlohn? Also wird der ins Programm aufgenommen, obwohl er im Programmentwurf zuerst nicht enthalten war und sich Parteichefin Frauke Petry immer dagegen ausgesprochen hat. Wie hoch der Mindestlohn 
ausfallen soll, das verrät die AfD nicht. Der Unternehmer will Bürokratieabbau? Steht im Programm. Der Beschäftigte will weniger Leiharbeit und Werkverträge? Steht auch drin. Solche Forderungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie 
stehen.

Worauf müssten wir uns einstellen, würde dieses Programm Wirklichkeit?

Ich bin ja keine Christin, sonst würde ich sagen: Da sei Gott vor, dass uns das passiert. Und wenn man nicht an Gott glaubt, muss man eben selbst gemeinsam mit vielen engagierten Demokratinnen und Demokraten dafür sorgen, dass dieses Programm nicht Wirklichkeit wird. Das ist zutiefst autoritär, in deren Köpfen wimmelt es von Eliten und Gefolgschaft. Gewerkschaft oder Mitbestimmung kommen nicht vor. Die AfD will sich als Lobby für Deutsche profilieren und richtet sich gegen alle, die angeblich nicht zum ›Volk‹ gehören. Das ist rassistisch und völkisch-nationalistisch. Wir müssen der AfD als Gewerkschafter/innen konsequent entgegentreten.

Aus dem Strategiepapier der AfD:
Es geht für den Erfolg der AfD darum, bei wenigen ausgesuchten und für die derzeitige Wählerschaft der AfD konsensstiftenden Themen das für die eigenen Wähler Richtige an die Öffentlichkeit zu bringen. Kurze Slogans sind erfolgversprechend, nicht lange Abhandlungen, klare Worte darüber, was man will, wirken mehr als Statistiken. (…)

Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft der AfD nicht auseinanderdividiert. Während Teile des liberal-konservativen Bürgertums auf der einen und Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite bei Themen wie Euro/Europa, Sicherheit, Migration/Islam, Demokratie, nationale Identität oder Genderismus durchaus ähnliche Positionen vertreten, kann es Differenzen bei Fragen wie Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung geben.

 

Zum Weiterlesen

Das Recherchezentrum Correctiv, finanziert von Stiftungen und Leser/innen, zeigt im »Schwarzbuch AfD« Verbindungen ins rechtsextreme Milieu, beschreibt die dubiose Finanzierung der Partei und analysiert die unsozialen Punkte im Programm.

Correctiv.org (hg.): Schwarzbuch AfD. Fakten, Figuren, Hintergründe, 226 Seiten, 2017, 10 Euro. https://correctiv.jimdo.com/#product-desc-15467293325

Die Otto-Brenner-Stiftung (Wissenschaftsstiftung der IG Metall) hat eine Studie zur AfD veröffentlicht. Darin analysiert sie die Lagerkonflikte, beschreibt, wie andere Parteien auf sie reagieren, die AfD selbst immer weiter nach rechts rückt und warum sie an-
geschlagen in den Bundestagswahlkampf zieht.

Die AfD vor der Bundestagswahl 2017 – Vom 
Protest zur parlamentarischen Opposition«. OBS-
Arbeitsheft Nr. 91, Juli 2017. www.bit.ly/ottoAFD