Allgemein

Lebensadern im Ausland

Gewerkschaftlicher Widerstand von Steindruckern und Lithographen 
recherchiert und aufgeschrieben

Heinrich Hansen, den alle nur Hein nannten, war durch und durch Gewerkschafter. Von 1951 bis 1962 führte er die Industrie-
gewerkschaft Druck und Papier, eine Vor- Vorläufer-Gewerkschaft von ver.di, die 1952 zum Zeitungsstreik aus Protest gegen den Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes aufrief, gegen Wiederbewaffnung und Wehrpflicht kämpfte und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 45 Stunden durchsetzte.

Dass der Steindrucker Hansen und etliche seiner Kollegen aus der Gewerkschaft der Lithographen und Steindrucker im anti- faschistischen Widerstand aktiv waren, ist kaum bekannt. Man wusste viel zu lange viel zu wenig, wie nach Hitlers Machtübernahme in den überrumpelten, dann verbotenen und zügig in der Deutschen Arbeitsfront gleichgeschalteten Gewerkschaften Untergrundarbeit aussah. Nachgeforscht wurde erst spät, als kaum mehr Zeitzeugen befragt werden konnten. Umso wichtiger ist, dass Rüdiger Zimmermann jetzt alles recherchiert und aufgeschrieben hat, was sich über die Untergrundaktivitäten in der kleinen Vorgängergewerkschaft von ver.di noch in Erfahrung bringen ließ.

Bestens in Europa vernetzt

Denn ihre politische Opposition war einzigartig. Die hochspezialisierte Berufsgewerkschaft der sogenannten Flachdrucker hatte Anfang der 1930er Jahre knapp 20 000 Mitglieder. Sie betrachteten sich als Künstler. Brachten sie doch zu druckende Texte und Bilder manuell und seitenverkehrt auf den Lithographie-Stein als Druckform auf. Und sie grenzten sich gern gegen die Buchdrucker ab.

Rüdiger Zimmermann: Der internationale
gewerkschaftliche Widerstandskreis der
Lithografen und Steindrucker gegen den
Nationalsozialismus. Veröffentlichungen
der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung,
 Bonn 2017, ISBN 978-3-95861-759-9 
Auch digital unter: www.bit.ly/widerSt

Besser als andere haben es die Steindrucker und Lithographen verstanden, ihre Identität und gewerkschaftlichen Kontakte während der Nazizeit zu bewahren. Rüdiger Zimmermann, früher Leiter der Bibliothek der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und Experte für die Historie der grafischen Gewerkschaften, erklärt, warum: Die Flachdrucker waren bestens in ganz Europa vernetzt.

In der Nazizeit erwiesen sich ihre Auslandsverbindungen geradezu als Lebens
adern: Ihr Internationales Berufssekretariat in Amsterdam, geleitet vom Holländer 
Jacob Roelofs, gab ihnen entscheidende Anregungen, ein eigenes Widerstandsnetz zu schaffen. Roelofs kam 1934 mehrfach über die Grenze und traf auch Heinrich Hansen, der – durch Roelofs Vermittlung – Vertreter einer niederländischen Steindruckerei wurde. Dadurch war es möglich, unverdächtig zu reisen. Bis zu seiner Verhaftung im Oktober 1936 war Hein Hansen der Kopf aller Verbindungen im Untergrund. Und weil sich die Untergrundkämpfer an die Anweisung aus Amsterdam hielten und sich nur mündlich absprachen und nichts aufschrieben, wurden sie auch nicht aufgedeckt.

Vier Jahre war Hein Hansen inhaftiert. Später sagte er: »Der Wirkungsbereich gegen das Hitlerregime war nur klein.« Doch hätten sich noch nach Kriegsbeginn »eine Menge kleiner und kleinster Zersetzungsmöglichkeiten« geboten.

Dass all das später selbst in der DRUCK+ PAPIER kaum beleuchtet wurde, ist ein nicht aufzuholendes Manko. An ihm leidet auch die akribische, sehr wissenschaftliche Studie: Konkrete Aktionen kann sie kaum schildern, Interessierten aber eine Fülle auch biografischer Informationen liefern. Seit das Heinrich-Hansen-Haus in Lage-Hörste geschlossen ist, fehlt ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Zeit, das zu ändern. Einen Beitrag leistet die druckfrische Schrift.